Der früheste direkt datierte Reitsattel einer Frau in Nordwest China
Kaum jemand reitet heute noch zur Arbeit, aber viele radeln. Und die wissen, wie wichtig ein bequemer Sattel ist. Gut gefedert und gepolstert soll er sein, damit Gesäß und Rücken selbst bei langer Fahrt schmerzfrei bleiben. Erfunden wurden körpergerechte mobile Sitzpolster für das Reiten zu Pferde, doch wann und wo lässt sich wie in so vielen anderen Fällen nur dann feststellen, wenn ein Exemplar die Zeiten überdauert und entdeckt wird.
Im Gebiet Turfan, Nordwest-China, stehen die Chancen dafür gut. Extrem trockene Klimabedingungen schützen Objekte aus organischem Material vor Zerfall und ermöglichen so die Identifikation alter Techniken, die vielleicht anderswo entwickelt, dort aber nicht erhalten geblieben sind. Wie sich jetzt zeigte, gehört dazu auch das Handwerk der Sattlerei.
Auf dem Friedhof Yanghai bei Turfan wurde eine erwachsene Frau mit nur zwei Beigaben bestattet: einer Tontasse und einem Ledersattel direkt auf ihrem Gesäß. Das Alter des Sattels wurde durch Radiokarbondatierung der Strohfüllung auf 727-396 v. Chr. (95,4 % Wahrscheinlichkeit, Mittelwert etwa 560 v. Chr.) bestimmt. Damit ist er zeitgleich oder möglicherweise älter als die bisher bekannten skythischen Sättel aus der Altairegion und Ostkasachstan.
Im Gegensatz zu den prächtigen Exemplaren aus den skythischen Elitegräbern wirkt der Yanghai-Sattel auf den ersten Blick schlicht. Und doch wurde er mit der gleichen handwerklichen Kunstfertigkeit und Sorgfalt genäht. Sowohl das funktionale Design, das die Anatomie und das Wohlbefinden von Pferd und Reiterin berücksichtigt, als auch die feine Ausführung der Leder- und Nadelarbeiten, bezeugen spezialisiertes Handwerk und Erfahrung mit Gerberei, Pferdehaltung und Reiten. Das Fehlen aufwändiger Verzierungen sowie Spuren von Abnutzungen und die zum Teil weniger professionellen Reparaturen deuten darauf hin, dass der Sattel ein Alltagsgegenstand einfacher Leute war und nicht von Sattlern instandgehalten wurde.
Der Sattel weist die Grundelemente der weichen Sattelkonstruktion auf, die auch heute noch verwendet werden: zwei gepolsterte, flügelförmige Häute, die an den Außenkanten zusammengenäht und durch einen zentralen Abstandhalter und linsenförmige Stützelemente, die den Knie- und Oberschenkelpauschen moderner Sättel ähneln. Bemerkenswert ist eine spezielle Nahttechnik, der so genannte Sattelstich. Wenn Nähte starker Druckbeanspruchung ausgesetzt sind und auch dann noch halten müssen, wenn der Faden schon an manchen Stellen gerissen ist, wählen Sattlerinnen noch heute den Sattelstich.
In den insgesamt 531 in Yanghai untersuchten Gräbern sind nur zwei Sättel gefunden worden. Das lässt darauf schließen, dass die Beigabe von Sätteln eher die Ausnahme als eine Tradition war. Ganz anders verhält es sich mit Zaumzeug und kurzstieligen Peitschen. Diese Basisutensilien für das Bändigen und Navigieren von Pferden tauchen bereits in einigen der ersten Gräber in Yanghai zwischen ca. 1300-1000 v. Chr. auf und gehören von da an tausend Jahre lang zur Ausstattung von etwa 10-20% der Verstorbenen, Männern und Frauen.
Nach diesem Fund beginnt die Geschichte der komfortablen Sitzpolster auf beweglichen Trägern nun vorerst (bis zur nächsten Entdeckung und Datierung) mit dem Reitsattel einer Frau. Vielleicht ist das kein Zufall.
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Prof. Dr.
Mayke Wagner
, Stellvertretende Direktorin, Leiterin der Außenstelle Peking
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