Geschichte
Die inzwischen fast 130-jährige Geschichte des DAI Kairo ist von Kontinuität sowie Umbrüchen und Neuanfängen geprägt
Das ägyptologische Institut während der Kaiserzeit
1906 wurde auf eine Eingabe Adolf Ermans (1854-1937) das Kaiserliche Deutsche Institut für ägyptische Altertumskunde in Kairo gegründet. Am 5. August des folgenden Jahres wurde Ludwig Borchardt (1863-1938) zum Direktor dieser neuen Institution berufen. Mit der Einrichtung des Kairener Instituts wurden die Fotothek, die von Friedrich Wilhelm von Bissing (1873-1956) zur Verfügung gestellte Ebers-Bibliothek, die Feldausrüstung sowie das Deutsche Haus in Theben, das 1904 als internationales Gästehaus für das Wörterbuch-Projekt errichtet wurde, zu einem Etatposten zusammengefasst. Ein eigenes Institutsgebäude sah das Budget nicht vor. Die Dienstgeschäfte verrichtete Borchardt weiterhin von seiner Privatvilla auf Zamalek aus. 1909 erwarb Borchardt die Nachbarvilla seines Privathauses in der Sharia Aziz Abaza Nr. 11 und richtete dort das Institut ein, deren Unterhalt er trotz eines bestehenden Mietvertrages mit dem Institut weitgehend privat subventionierte.
Ein Institut war die Kairener Einrichtung nur den Namen nach. Die damaligen Geschäftsanweisungen schlossen eigene wissenschaftliche Unternehmungen und die Herausgabe von Publikationen, wie bei den Kaiserlichen Deutschen Archäologischen Instituten in Rom und Athen, aus. Die archäologischen Unternehmungen Borchardts vor dem Ersten Weltkrieg erfolgten im Auftrag der Berliner Museen und wurden von ihm privat und von der Deutschen Orient-Gesellschaft getragen.
Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges musste das Institut erstmals seine Türen schließen.
In der Weimarer Republik und der NS-Zeit
Nach dem Ersten Weltkrieg stand das Institut kurz vor seiner Schließung. Borchardt verhinderte die Schließung mit Hilfe einer Eingabe Schweizer Professoren beim Auswärtigen Amt (AA), indem er die Rückgabe der konfiszierten Gebäude und des Institutsinventars, darunter die Ebers-Bibliothek bewirkte.
Wohl einhergehend mit strukturellen Veränderungen der universitären Landschaft setzte sich ab 1924 Georg Steindorff (1861-1951), gegen den Widerstand Borchardts, für eine Anbindung der Ägyptologie an das finanzstärkere Deutsche Archäologische Institut ein. Das unabhängige Deutsche Institut für ägyptische Altertumskunde in Kairo sollte als eine neue Abteilung in das DAI, das bereits seit 1829 mit einer Abteilung in Rom und später auch Athen (1874) im Ausland vertreten war, eingegliedert werden. 1927 wurde auf Betreiben von Steindorff und dem DAI-Präsidenten Gerhart Rodenwaldt (1886-1945) der katholische Priester und Ägyptologe Hermann Junker (1877-1962) für den Posten als Abteilungsdirektor ausgewählt.
1929 wurde das „alte“ Kairener Institut abgewickelt und die neue Abteilung Kairo unter Junkers Führung strukturell bis 1930 an das DAI angepasst. Mit der Anbindung an das DAI wurde das Forschungsspektrum zudem bis in die islamische Zeit ausgeweitet.
Unmittelbar nach dem Ausbruch des 2. Weltkriegs wurde das Institut am 3. September 1939 auf britischen Befehl besetzt und das Inventar beschlagnahmt. Die Abteilungsgeschäfte wurden bis auf weiteres ausgesetzt.
Der Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg
Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland, am 24. Mai 1949, wurden die Voraussetzungen für den Wiederaufbau der Abteilung geschaffen. 1955 waren mit der Ernennung Hanns Stocks (1908-1966) zum kommissarischen Leiter und der Aufnahme der Abteilung Kairo in den DAI-Haushalt die Weichen auf Wiedereröffnung des Kairener Instituts gestellt. Als Arbeitsräume wurde eine Villa in der Sharia Abu el-Feda auf Zamalek angemietet, die nach ihrem Erwerb 1958 bis heute als Institutsgebäude genutzt wird.
Trotz wiederholten Bemühungen konnte die Rückgabe der im Zweiten Weltkrieg beschlagnahmend Institutsbibliothek nicht erwirkt werden. Stock behalf sich daher zunächst mit Bücherspenden, die er aus Deutschland und von der ägyptischen Antikenverwaltung erhielt, sowie mit Ankäufen. Mit dem Erwerb der großen Fachbibliothek Ludwig Keimers (1892-1957) (ca. 12.000 Werke) und seiner Fotosammlung (ca. 3.000 Bilder) standen ab 1957 auch wieder die akademischen Ressourcen für eine wissenschaftliche Betätigung des Instituts zur Verfügung.
Während der Forschungsschwerpunkt der neuen Abteilung Kairo auf der Ägyptologie und Koptologie lag und weiterhin liegt, forderte Stock auch Planstellen für die islamischen Epochen der ägyptischen Geschichte. Bis heute erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am DAI Kairo dieses breite Spektrum der ägyptischen Geschichte.
Die jüngere Geschichte ab der Mitte der 1960er Jahre
Gerade als ein arbeitsproduktiver Alltag für das Institut eintrat und die Grundsteine für größere, eigene Projekte gelegt waren, verunglückte Hanns Stock im Juni 1966 tödlich bei einem Autounfall. Bis zur Wahl von Werner Kaiser (1926-2013) zum neuen Institutsdirektor, am 1. November 1967, übernahm zunächst Wolfgang Müller-Wiener (1923-1991) und später Jürgen Settgast (1932-2004) die Amtsgeschäfte.
1968 war Rainer Stadelmann (1933-2019) in die neue Position des Zweiten Direktors der Abteilung Kairo gewählt worden. Gemeinsam realisierten sie Forschungsinitiativen, die bereits von Stock geplant, jedoch nicht mehr umgesetzt worden waren. So können u.a. die Langzeitgrabungen in Abu Mena, Dahschur und Buto auf Hanns Stock zurückgeführt werden. 1969 begann Kaiser mit Ausgrabungen auf Elephantine. Das auf Langfristigkeit angelegte Projekt ergänzte das Forschungsprofil um den Bereich der ägyptischen Stadt- und Siedlungsforschung. Gleichzeitig wurde mit der Aufnahme der Arbeiten in Abydos wieder, ein Forschungsschwerpunkt auf die prä- und frühdynastische Zeit gelegt und damit Kaisers persönlicher Forschungsagenda Rechnung getragen.
Im Dezember 1988 übernahm Rainer Stadelmann die Position des Ersten Direktors. In seiner Amtszeit wurden neue Projekte, wie u.a. 1991 die Arbeiten von Dra’Abu el-Naga unter der Leitung des 1999 zum Zweiten Direktor gewählten Daniel Polz begonnen.
Am 1. November 1998 wurde die Leitung der Abteilung an den früheren Zweiten Direktor Günter Dreyer (1943–2019) übergeben, der inhaltlich an die Arbeiten Werner Kaisers anknüpfte. Dreyer legte seinen Forschungsschwerpunkt auf die Vor- und Frühzeit Ägyptens und förderte den Einsatz neuer digitaler Methoden und Technologien in der archäologischen Arbeitsweise.
2008 wurde Stephan J. Seidlmayer zum Ersten Direktor der Abteilung Kairo bestellt. Er setzte die Siedlungsforschung fort und ergänzte die Perspektive um landschaftsarchäologische und netzwerkbasierte Methoden. In diesem Zusammenhang wurde auch die Erfassung von Lebenswirklichkeiten der Menschen in den Vordergrund gerückt. Weiterhin steht die Erforschung der Funktion und Kommunikation von sakralen und kultischen Räumen im Fokus der Abteilung.