Die Orient-Abteilung forscht mit den Methoden der verschiedenen archäologischen Disziplinen und ihrer Nachbarwissenschaften in den Ländern Südwestasiens südlich der Türkei und westlich des Iran, einschließlich der Arabischen Halbinsel sowie am nördlichen Horn von Afrika. Sie unterstützt die fachwissenschaftliche und disziplinäre Vielfalt sowie die internationale Zusammenarbeit und die Entwicklung integrierender Forschungsansätze.

Sie trägt damit insbesondere in den von politischen Konflikten, moderner Landschaftsnutzung oder natürlichen Katastrophen bedrohten Regionen zum Schutz, Erhalt und zur Vermittlung des kulturellen Erbes bei. Hierfür setzt sie ihre Erfahrungen aus langjährigen Forschungen ein und entwickelt Methoden des Kulturerhalts weiter.

Das Arbeitsgebiet der Abteilung ist durch eine naturräumliche und kulturelle Vielfalt geprägt, die zu unterschiedlichen sozialen und technologischen Innovationen führte. Neben einst dicht besiedelten Gunsträumen (z. B. entlang von Flussläufen, Regenfeldbaugebiete, Oasen), in denen teilweise über Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende hinweg Siedlungen am selben Ort bestanden, gibt es weite Regionen, die nicht zuletzt aufgrund ihrer Aridität sehr dünn besiedelt waren und oftmals nur sporadisch von überwiegend nomadischen Gesellschaften genutzt wurden. In der Levante, in Mesopotamien sowie auf der Arabischen Halbinsel sind etliche Fundplätze mit umfangreichem Denkmälerbestand erhalten, die detaillierte Einblicke in die Prozesse der Genese, des Wandels und des Kulturschaffens der jeweiligen Gesellschaften bieten. Der Diversität der sehr unterschiedlichen Regionen begegnet die Orient-Abteilung mit einer multidisziplinären Forschungsstrategie.

Die besonderen naturräumlichen und historischen Gegebenheiten der Forschungsregion erlauben die Untersuchung grundlegender Themen der Menschheitsgeschichte im Spannungsfeld zwischen sesshaften und mobilen Lebensformen. Hierzu zählen die Organisation menschlichen Zusammenlebens und Methoden der Subsistenzsicherung in ariden und semiariden Regionen, die in kaum einer Region der Welt so klar archäologisch untersucht werden können wie hier. Mit den Projekten der Orient-Abteilung werden viele dieser zentralen, übergreifenden Themen gezielt erforscht. Sie sind auch Gegenstand von Grundlagenforschungen, die in vielen Arbeitsgebieten der Abteilung noch dringend zu leisten sind.

Die regionalen und überregionalen Verflechtungen des großen Arbeitsgebiets bieten aus archäologisch-historischer Perspektive großes Potential für globalarchäologische Forschungsfragen. Derzeit werden zentrale Themen wie z. B. Wirtschaft, Religion und Politik in den Blick genommen und insbesondere (1) Umweltanpassungen, (2) Mobilität, (3) siedlungsgeographische Phänomene und (4) Aspekte der Ressourcennutzung im regionalen und globalen Vergleich erforscht. Fragen des (5) Kulturerhalts und seiner konzeptionellen Weiterentwicklung sind oft integraler Bestandteil der Forschung und werden in enger Zusammenarbeit mit lokalen Partnern durchgeführt.

Projekte der Orient-Abteilung beziehen Forscherinnen und Forscher in allen Karrierephasen ein. In der Regel gehören nur die Projektleitungen sowie die mit Serviceaufgaben befassten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Stammbelegschaft der Abteilung, unterstützt von Wissenschaftlichen Hilfskräften, die sich wissenschaftlich und in der Forschungsorganisation weiterbilden. Über Drittmittel, Sonderprogramme und Kooperationen wird für fast alle Forschungsprojekte weiteres Personal hinzugewonnen. Ziel ist ein ausgewogenes Verhältnis von Nachwuchswissenschaftlerinnen und –wissenschaftlern sowie erfahrenem, spezialisierten Personal, um die selbständige Umsetzung der vielfältigen Projekte in den Gastländern zu gewährleisten.

In abgeschlossenen Feldprojekten werden Auswertungsarbeiten, die häufig im Rahmen von universitären Qualifikationsarbeiten entstehen, und die Publikation der Forschungsergebnisse kontinuierlich vorangetrieben. Für die langfristige Sicherung und Weiterverarbeitung der Forschungsdaten und ein erfolgreiches Forschungsdatenmanagement nutzen die Projekte vielfältige IT-Komponenten, die das DAI in den vergangenen Jahren entwickelt hat.

Mensch & Umwelt

Die Forschungsarbeit der Orient-Abteilung ist stark an die räumlichen und klimatischen Gegebenheiten der antiken Kulturen Westasiens gekoppelt. Grundsätzlich gilt der Großraum als aride Klimaregion, es gibt jedoch nur wenige Regionen auf der Welt, wo Regen im Überfluss und trockenes Wüstenklima so nahe beieinander stehen. Mensch-Umwelt-Beziehungen gehören daher zu den Kernfragen in den Arbeitsgebieten der Orient-Abteilung: Wie beeinflusst das Klima die Menschen und Gesellschaften? Beeinflussen Menschen das Klima durch den Einsatz neuer Techniken und Methoden in der Landwirtschaft oder durch Veränderungen, die der Anbau neuer Pflanzen oder die Haltung bestimmter Tiere mit sich bringen?

Wasser ist seit jeher in vielen Regionen Westasiens ein knappes Gut. Innovationen im Bereich des Wasserbaus, aber auch innovative Techniken in der Landwirtschaft werden in den Forschungsprojekten der Abteilung und ihrer Außenstellen vielfältig untersucht. Themen wie der Austausch von Kulturtechniken im Wassermanagement oder Experimente mit dem Anbau von bestimmten Pflanzen und der Haltung von Tieren können über teils große geographische Räume und Zeitabschnitte nachvollzogen werden und bilden Kernbereiche der Forschungen vieler Abteilungsprojekte. Diese Fragekomplexe werden auch seit 2020 im Rahmen des GroundCheck-Programms des Auswärtigen Amtes in Projekten der Orient-Abteilung verstärkt untersucht.

Archäologische Untersuchungen an der Schnittstelle von Mensch und Umwelt sind ohne länder- und fachübergreifende Forschungsnetzwerke nicht denkbar. So vernetzt die Orient-Abteilung durch die facettenreiche Arbeit in Ländern wie Äthiopien, dem Emirat Fujairah, Irak, Jordanien, Libanon, Qatar, Saudi Arabien und Syrien verschiedenste Natur- und Wirtschaftsräume mit verschiedenen Gesellschaftsmodellen vom Neolithikum bis in die Spätantike und islamische Zeit (ca. 10.000 vor heute bis ins 19. Jahrhundert).

Mobilität

Die Bewegungen von Personen, Waren und Ideen sowie von Wissen und Innovation sind seit der frühen Menschheitsgeschichte Motor und Triebkraft gesellschaftlicher Veränderungen. Ohne Mobilität sind manche Entwicklungen und ihre Verbreitung, beispielsweise die Verhüttung von Erzen zur Herstellung von Werkzeugen und Waffen aus Metall, undenkbar. Für die Verbreitung von Innovationen ist jedoch nicht nur großräumige Mobilität wichtig, sondern ganz besonders auch die Mobilität in kleinen Bereichen. Der Nachweis und die Untersuchung von Gemeinschaften, deren Wirtschaftsweise die meist saisonale Viehwanderweidewirtschaft einschließt, ist nur ein Beispiel von vielen Arbeitsschwerpunkten in diesem Bereich.

Neue Methoden der Mobilitätsforschung integrieren in hohem Maße direkte Nachweise von Mobilität durch naturwissenschaftliche Messverfahren (u. a. Strontium- und Schwefelisotopenuntersuchungen). Dadurch können Migrationsbewegungen, aber auch soziale Phänomene, die an Mobilität oder, umgekehrt, an Sesshaftigkeit gekoppelt sind, besser verstanden werden.

Fast alle Projekte der Orient-Abteilung untersuchen in multi-disziplinären Kooperationen kulturelle Interaktionen mit Nachbarregionen. Die Projekte in Äthiopien, beispielsweise, sind in besonderer Weise auf den Jemen, aber auch das afrikanische Umfeld ausgerichtet; diejenigen auf der Arabischen Halbinsel blicken auf Ägypten, die Levante und Mesopotamien. Die Projekte im Irak haben die Vernetzung nach Osten und auf die Arabische Halbinsel als Schwerpunkte.

Siedlungsgeographische Phänomene

Die Landschaft prägt unser Leben im Raum, in der Moderne ebenso wie in der Antike. Flüsse beispielsweise können Hindernisse und zugleich Verbindungsadern zwischen entfernten Regionen sein. Das menschliche Verhältnis zur Landschaft ist äußerst vielfältig und kann sehr eindrücklich ganze Landstriche prägen. Der Bereich der Landschaftsarchäologie entwickelt Methoden, wie antike Siedlungslandschaften heute wieder lesbar gemacht werden können, und wendet diese an. Mehrere Projekte der Orient-Abteilung haben Schwerpunkte im Bereich der Siedlungsgeographie. Topographische Bedingungen antiker Siedlungen, ihre Wegenetze oder auch Wasserrouten sind nur einige der Aspekte, die erforscht werden.

Die Projekte verzahnen sich hierbei mit anderen Forschungsschwerpunkten der Abteilung: Umweltanpassungen sind in besonderem Maße über siedlungsgeographische Phänomene zu beobachten. Das ist zum Beispiel in den großen Städten Südmesopotamiens, so bereits vor 5000 Jahren in Uruk, aber auch im frühchristlichen al-Hira erkennbar. Dort stehen durchdachte Wasserwirtschaft sowie effektive städtische Strukturen direkt in Zusammenhang.

Die Landschaften Westasiens bieten sehr facettenreiche Forschungs- und Vergleichsmöglichkeiten: Der geographische Großraum ist sehr vielfältig und vereint verschiedenste Bedingungen von Wasserressourcen im Überfluss bis zu trockensten Wüsten, fast nicht zu überwindenden Bergen und weiten flachen Ebenen. Die Orient-Abteilung ist mit Projekten in nahezu all jenen geographischen Zonen der Region vertreten und leistet wichtige Beiträge in der Erforschung unter anderem von urbanen Räumen, Bewässerungstechnologien oder religiöser Landschaft.

Aspekte der Ressourcennutzung

Der Zugang zu regionalen und überregionalen Ressourcen wurde, wie heutzutage auch, bereits in der Vorgeschichte und Antike über komplexe Beziehungsgeflechte innerhalb der Gesellschaften geregelt. Teile dieser Netzwerke können durch die Untersuchung der Verteilung, aber auch der Verarbeitung von Rohstoffen und ihre Herkunft aufgedeckt werden. Hierbei spielen naturwissenschaftliche Analyseverfahren eine wichtige Rolle. Sie erlauben etwa die Bestimmung möglicher Herkunftsgebiete und Materialeigenschaften. Zusätzlich können technische Herstellungsmerkmale identifiziert werden.

Neben global verhandelten Materialien wie Aromata (Weihrauch, Myrrhe), Metall, Halbedelsteinen, Obsidian, Tieren und Tierprodukten sind Bau- und Werkstoffe zum Beispiel Stein, Holz, Ziegel, Lehm, Keramik, Glas und Fayence von Bedeutung. Die physische Untersuchung von Ressourcen als Teil der Objektgeschichte ist Bestandteil fast aller Projekte der Orient-Abteilung, je nach Befundlage werden auch Projekte mit umfangreicheren Rohstoffanalysen durchgeführt.

Ein weiteres interessantes Arbeitsfeld ist die Untersuchung, in welcher Form die Kontrolle über den Zugang und die Verteilung von Rohstoffen mit sozialen Phänomenen in Wechselbeziehung stand. Bilden sich Hierarchien über exklusive Netzwerke oder Expertenwissen heraus (beispielsweise im stark Knowhow-geprägten Metallurgiebereich)? Welche Dynamiken entstehen bei Konflikten um Ressourcen?

Fragestellungen wie diese lassen sich hervorragend mit vergleichbaren Phänomenen in unserer eigenen modernen globalisierten Lebenswelt in Beziehung setzen. Exklusiver Zugang zu Rohstoffen, etwa im Bereich der Halbleiterproduktion, oder massive Veränderungen durch Klimawandel machen die Auswirkungen von Ressourcenverknappung auf moderne Gesellschaften und verschiedene politische Systeme deutlicher denn je. Gegenwartsdiskurse profitieren vom Blick auf historische Verhältnisse, so auch von der Forschungsarbeit der Orient-Abteilung.

Kulturerhalt

Der Orient-Abteilung ist nachhaltiges und vorausschauendes Handeln in allen Bereichen der Forschung sehr wichtig. Hierzu gehört in besonderem Maße das aktive Engagement im Bereich des Kulturguterhalts und Kulturgutschutzes. Projekte der Abteilung und ihrer Außenstellen setzen hierbei auf dezidierte Schulungsangebote beispielsweise für Handwerker:innen sowie den archäologischen Nachwuchs in den Gastländern.

Projekte zu historischen Steinmetz-, Lehm- oder Putzverarbeitungstechniken (z. B. in Gadara und Uruk), zur Statik historischer Bauwerke, zu Materialeigenschaften und deren Funktionsbestimmung sind regelmäßige Begleiter der archäologisch-wissenschaftlichen Unternehmungen. Ziel ist es, den Schutz des eigenen Kulturerbes und den Erhalt von Bauwerken antiker Ruinenstätten, aber auch jüngerer historischer Bauten nachhaltig lokal zu organisieren. Wichtige Bausteine sind die Schaffung lokaler Arbeitsplätze entlang der Interessen der örtlichen Bevölkerung, die Einbeziehung der lokalen Narrative und die Entwicklung modularer Wissenskomponenten.

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Forschungsdatenmanagement (FDM)

Die Forschungsprojekte der Orient-Abteilung generieren eine hohe Anzahl an vielfältigen Forschungsdaten, die systematisch verwaltet, gesichert und bewahrt, aber auch zugänglich gemacht werden müssen. Das Deutsche Archäologische Institut entwickelt hierfür aktiv archäologiespezifische IT-Lösungen, die über die iDAI.world auch öffentlich zugänglich sind. An der Orient-Abteilung ist ein eigener Arbeitsbereich für Archiv und FDM eingerichtet worden, über den die analogen und digitalen Daten der Abteilungsprojekte zentral verwaltet werden.

Grabungsdokumente und Alltagszeugnisse der Forschungs- und Lebenswelt der bei uns arbeitenden Archäologen und Archäologinnen und assoziierten Wissenschaftler:innen selbst werden rasch zu Zeitzeugnissen sich überschlagender Ereignisse und können rasch zu einzigartigen Dokumenten und letzten Belegen unwiederbringbarer Zeiten und Dinge werden.

Der Aufarbeitung und Digitalisierung der Abteilungsarchivbestände kommt daher auch eine inhaltliche Bedeutung zu. Sie ist mit der Verantwortung gekoppelt, über die Forschungsdaten hinaus auch die archäologische Arbeit im Gesamtgefüge der Gesellschaften vor Ort festzuhalten. Daher werden die Bestände der Abteilung sukzessiv digitalisiert und sichtbar gemacht sowie in Projekten auch inhaltlich aufgearbeitet (→ zum Archiv).

Wichtiger Teil des FDM sind die Publikationen der Orient-Abteilung, die von der hauseigenen Redaktion betreut werden (→ zur Redaktion)