Kurzer Überblick
Von Südarabien bis zum nördlichen Horn von Afrika reicht das Arbeitsgebiet der Außenstelle Sanaa. Der zeitliche Rahmen erstreckt sich vornehmlich vom 3. Jahrtausend v. Chr. bis zu den Anfängen des Islam.
Untersucht werden zentrale Fragen zur Entstehung komplexer Gesellschaften und ihren Vorläuferkulturen, zu Sakralbauten und Sepulkrallandschaften sowie zu Interaktionsprozessen zwischen benachbarten und geographisch weit entfernten Regionen. Dazu zählen Forschungen zur Mobilität von Menschen, Ideen und Objekten einschließlich Tausch- und Handelsnetzwerken. Ein weiteres Thema bildet die Rekonstruktion der Paläoumwelt und die Anpassungsstrategien des Menschen an seine Umwelt in Wechselwirkung mit den jeweiligen politischen und wirtschaftlichen wie auch klimatischen Bedingungen. Soziale und technische Innovationen wie die Entwicklung von Wasserwirtschaftsbauten in ariden Regionen, sich ändernde Gesellschaftsstrukturen oder auch die Erschließung und Nutzung von Ressourcen stellen Parameter dieser Mensch-Umwelt-Beziehung dar.
Umweltanpassung und siedlungsgeographische Phänomene
Fragen zur Anpassung des Menschen an seine Umwelt sowie zu Umweltveränderungen durch den Menschen sind aktueller denn je. Die Außenstelle Sanaa erforscht in ihren Projekten, wie Gesellschaften in der Vergangenheit mit Klimawandel (Groundcheck) oder auch akuten Krisen wie etwa Kriegen oder Naturkatastrophen umgingen.
Forschungsschwerpunkt bildet dabei die südarabische Kulturlandschaft von Saba (Jemen): Trotz klimatisch ungünstiger Voraussetzungen am Rande der Wüste ar-Rub `al-Khali entstand am Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. in den Oasen von Marib und Sirwah eine komplexe Gesellschaft, deren ökonomische Grundlage eine intensive Landwirtschaft auf Grundlage eines hochentwickelten Bewässerungssystems war. Spätestens im 8. Jahrhundert v. Chr. erlangte Saba in Südarabien die Kontrolle über eine der bedeutendsten antiken Interaktionsrouten, die Weihrauchstraße. Diese ist als Synonym für ein Netzwerk von Verbindungswegen zu verstehen, deren Verlauf nicht statisch, sondern abhängig von den politischen Konstellationen und wirtschaftlichen Zentren immer wieder Änderungen unterlag.
Anhand der im Kernland von Saba gewonnenen Forschungsdaten werden Fragen nach den Wechselbeziehungen von naturräumlichen Voraussetzungen und Landschaftsnutzung in den sabäischen Siedlungsräumen beantwortet. Dabei werden siedlungsstrukturelle Veränderungen bis ins 6. Jh. n. Chr. aufgezeigt, die unmittelbare Reaktionen auf klimatisch bedingte sowie politische und wirtschaftliche Entwicklungen in der Region darstellten. Ziel des Vorhabens ist, die Korrelation zwischen technologischen Innovationen, Klimawandel und politischen sowie ökonomischen Veränderungen zu untersuchen.
Nutzung von Ressourcen
Effektive Gewinnung und Nutzung von Ressourcen ist nicht nur heute, sondern war auch in der Vergangenheit essentiell für eine nachhaltige Entwicklung von Gesellschaften. Die Projekte der Außenstelle beziehen Erschließung und Verteilung von Ressourcen in ihre Fragestellungen ein und beschäftigen sich mit potentiellen Konflikten bei Knappheit und Mangel.
Ein Beispiel von Ressourcennutzung bilden die monumentalen Bauprogramme im Kernland von Saba sowie in den sabäisch beeinflussten Gebieten in Nordäthiopien. Mit Hilfe der archäologischen Bauforschung, des Bauingenieurwesens und der Geowissenschaften werden in Yeha, Melazo/Hawelti (Äthiopien) und Sirwah (Jemen) die dafür benötigten Ressourcen sowie ihr Vorkommen und ihre Erschließung ermittelt. Dabei wird u. a. untersucht, inwieweit der hohe Verbrauch von Bauholz zu Veränderungen des Naturraums führte und unterschiedliche Bauweisen in Abhängigkeit zu den jeweiligen naturräumlichen und kulturellen Rahmenbedingungen stehen.
Mobilität und Kulturtransfer
Triebfedern für Mobilität und einen damit einhergehenden Kulturtransfer zwischen zuweilen weit voneinander entfernten Regionen bildeten neben Überlebenssicherung vor allem die Ausweitung und Kontrolle wirtschaftlicher Aktivitäten, eine Maximierung von materiellem Gewinn kombiniert mit machtpolitischem Streben. Nicht nur über Mobilitätssysteme wie Tausch und Handel, sondern auch über Migration konnten Kulturlandschaften vernetzt sein.
Im Rama-Becken in der Region Tigray (Äthiopien) werden die Mobilitätsformen und Interaktionsrouten der Hochlandkulturen des nördlichen Horns von Afrika zum Mittleren Nil, dem Gash-Delta sowie Teilbereichen Ägyptens vom 2. bis zum frühen 1. Jahrtausend v. Chr. untersucht. Dabei gilt es zu klären, inwieweit die innerafrikanische Mobilität der Menschen und der Austausch von Ideen und Objekten zur Entwicklung der äthiopischen Hochlandkulturen beitrugen und gleichzeitig, welchen Einfluss das Hochland auf das Niltal und Gash-Delta besaß. Ein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Rekonstruktion der Siedlungsmuster und Verbindungswege.
Einer anderen Form der Mobilität wird in den Fundorten Yeha und Melazo/Hawelti (Äthiopien) nachgegangen. Hier stehen Fragen nach dem Interaktionsprozess der im frühen 1. Jahrtausend v. Chr. aus der Region von Marib (Jemen) eingewanderten Sabäer mit der ansässigen Bevölkerung im Vordergrund. Anhand der archäologischen und epigraphischen Quellen werden die Formierung und der Wandel dieses Kulturraums analysiert und Traditionslinien bis in die nachchristliche Zeit aufgezeigt.
Bei den Projekten im Jemen wie auch im Hochland Äthiopiens beschäftigt sich die Außenstelle auch mit den engen Kontakten, die diese Regionen ab dem 1. Jahrhundert v. Chr. mit der hellenistisch-römischen und später byzantinischen Welt verbanden. Markantestes Beispiel ist der in 3000 m Höhe gelegene Fundplatz Jabal al-Awd im jemenitischen Zentralhochland. Hier bezeugen u. a. die zahlreich freigelegten, importierten und von Handwerkern aus der Mittelmeerraum vor Ort gefertigten Bronzen in hellenistisch-römischem Stil die weitverzweigten kulturellen Beziehungen.