Wonach wir fragen
Archäologische Fragestellungen führen uns weit in die Vergangenheit: Wir wollen Ursprung und Entwicklung technischer Innovationen verstehen, die Entstehung und Veränderung von Siedlungsräumen, Alltag und Handel erforschen, den menschlichen Einfluss auf Klima- und Umweltveränderung nachvollziehen und dessen Auswirkungen untersuchen. All diese Forschungsthemen reichen in langen Linien zugleich bis in unsere Gegenwart: Die Einführung von Ackerbau und Viehzucht vor etwa 12.000 Jahren, Sesshaftwerdung und schließlich Entstehung früher Städte sowie die Herausbildung komplexer Gesellschaften sind Grundlagen unserer heutigen Lebensweise, unseres Wissens und Denkens.
Vom kleinen Papyrusfragment bis zur monumentalen Kolossalstatue spiegeln Texte und Artefakte aus Ton, Holz oder Metall, Knochen- und Pflanzenreste, Klimaarchive in Form von Bohrkernen, aber auch antike Architektur Lebenswelt und Alltag vergangener Gesellschaften facettenreich wider. Die Rückschau über Jahrtausende hinweg erlaubt es uns, kulturelle Dynamik nachzuvollziehen, zu erkennen, welche gesellschaftlichen oder technischen Strategien erfolgreich waren und welche scheiterten – und vor allem: warum.
Archäologische Forschung hilft uns dabei, mehr über das Leben, Umwelt und Alltag von Menschen und Gesellschaften in der Vergangenheit herauszufinden. Kann uns dieses Wissen dabei helfen, unseren eigenen Alltag zu bewältigen, wie hat es Einfluss darauf, wie wir Gegenwart und Zukunft gestalten?
Archäologische Forschung setzt sich dem Gegenstand ihres Interesses nach zwar in ganz besonderem Maße mit Gesellschaften der Vergangenheit auseinander, richtet ihren Blick dabei aber auch auf Veränderungen und Konstanten, die bis in die Gegenwart hineinwirken. Mit der Erforschung vielfältiger Lebensverhältnisse menschlicher Gemeinschaften über lange Zeiträume hinweg, ergründet die Archäologie auch den historischen Hintergrund unserer modernen Welt – und der Herausforderungen, die unser eigener Lebensalltag bereithält. Welche dieser Probleme haben schon unsere Vorfahren beschäftigt? Wie sind sie mit knappen Rohstoffen und Klimawandel umgegangen, wie haben frühere Gesellschaften Krisen und Konflikte gelöst?
Zu verstehen, wie diese Gruppen und Gemeinschaften sich an neue Situationen anpassten, wie sie die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen effektiv nutzen, ihr Zusammenleben organisierten und ihre Welt formten, erweitert nicht nur unseren eigenen Erfahrungshorizont, sondern auch die sich daraus ergebenden Handlungsoptionen. Die archäologischen und altertumswissenschaftlichen Disziplinen sind unser Schlüssel zum Verständnis menschlicher Geschichte. In der eingehenden Auseinandersetzung mit den materiellen Hinterlassenschaften, mit Schrift- und Bildquellen und der naturwissenschaftlichen Untersuchung auf Ausgrabungen gewonnener Umweltdaten können wir die lokalen und globalen Auswirkungen früherer Entscheidungen und Entwicklungen über die Zeit hinweg verfolgen. Und darin sinnvolle Lösungsansätze und erfolgreiche Bewältigungsstrategien erkennen, von denen wir auch heute noch immer oder erneut profitieren können.
Nachhaltiger Konsum, Zugang zu Bildung, Klimaschutz und Abbau von Ungleichheiten sind, neben anderen, wichtige Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zur Verwirklichung einer weltweiten nachhaltigen Gesellschaft. Wie kann auch die Archäologie einerseits selbst nachhaltig arbeiten und forschen und andererseits eigene Impulse zum Erreichen dieser Ziele beitragen?
Zur Bekämpfung von Armut und Reduzierung von Ungleichheit haben die Vereinten Nationen (UN) in der „Agenda 2030“ einen globalen Plan mit insgesamt 17 Zielen für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals) zur Förderung nachhaltigen Friedens, Wohlstands und zum Schutz unseres Planeten vorgelegt. Seit 2016 arbeiten alle Länder gemeinsam daran, diese Vision einer globalen nachhaltigen Gesellschaft in nationale Entwicklungspläne überzuführen.
Auch hier kann die Archäologie mit Wissen aus der Vergangenheit helfen, aktuelle Herausforderungen wie Ernährungssicherheit, Klimaschutz und den Erhalt biologischer Vielfalt oder Recycling und Abfallmanagement aus einer historischen Perspektive heraus zu betrachten. Altertumswissenschaftliche Forschung kann die ökonomischen und gesellschaftlichen Folgen von Umweltwandel und Klimaveränderung illustrieren und zeigen, warum Epidemien, Ernteausfälle und Nahrungsknappheit gerade vulnerable Gruppen noch stärker treffen. Wie dabei Machtstrukturen und Geschlechterungleichheit bis in unsere heutige Zeit nachwirken, kann die Erforschung der Vergangenheit ebenso aufzeigen, wie die Notwendigkeit technische und soziale Innovationen frühzeitig auf den Weg zu bringen, um nachhaltig erfolgreich zu sein.
Um diese Komplexität gesellschaftlichen Wissens und materieller Kultur zu erschließen und das damit verbundene kulturelle Erbe langfristig auch für kommende Generationen zu erhalten, muss auch die archäologische Forschung selbst in besonderem Maße nachhaltig arbeiten. Dazu gehört neben einem an Selbstverständlichkeit gewinnenden ressourcenschonenden Arbeitsalltag in Feld, Institut sowie auf Konferenzen und der verstärkten Investition in neue, digitale Technologien auch die Aufarbeitung kolonialen Unrechts und die aktive Einbeziehung lokaler Gemeinschaften und betroffener indigener Gesellschaften in aktuelle archäologische Forschungsprojekte.
Wie kann archäologische Forschung zeigen, welchen Weg Gemeinschaften eingeschlagen und wie Gesellschaften sich langfristig entwickelt haben? Können wir erkennen, wann Innovationen entstanden und wie sie in unterschiedlichen Gruppen aufgegriffen und umgesetzt worden sind? Können wir nachvollziehen, wie sich solche Neuerungen schließlich verbreitet haben?
Archäologinnen und Archäologen können auf eine Fülle Einzelbeobachtungen zu materiellen Hinterlassenschaften und kulturellen Phänomenen über lange Zeiträume zurückgreifen und daraus ein großes Gesellschaftpanorama zusammensetzen. Wo sich Bestattungssitten ändern, neue Geräteformen oder Siedlungsstrukturen durchsetzen, wirken im Hintergrund immer auch soziale Dynamiken.
Mit dem Studium materieller Hinterlassenschaften können wir solchen Wandel erschließen und über lange Zeiträume nachverfolgen, naturwissenschaftliche Untersuchungen geben Auskunft über Zusammensetzung und Mobilität von Gemeinschaften. Die Archäologie ermöglicht es uns damit, Gemeinschaften über die Zeit hinweg zu begleiten, Brüche und Konitnuitäten sichtbar zu machen und gesellschaftliche Entwicklungslinien nachzuzeichnen.
Auch neue Kulturtechniken wie Ackerbau und Viehzucht zur Nahrungsproduktion oder die Erfindung von Rad und Wagen finden ihren Niederschlag im archäologischen Fundmaterial. Mit der Identifikation von Innovationszentren und deren Einfluß auf benachbarte Räume und Kulturen schließlich werden auch die komplexen Kommunikationsnetzwerke der Vergangenheit greifbar, die uns über geografische und chronologische Grenzen hinweg die erfolgreiche Ausbreitung, Adaption oder lokale Ablehnung neuer Ideen, Konzepte und Technologien nachvollziehen lässt.
Archäologie Global
Mit seinen weltweiten Projekten und vergleichenden Forschungsansätzen ist das DAI in ganz besonderer Weise in der Lage, gesellschaftliche Entwicklungen nicht nur in deren lokalen Auswirkungen zu verfolgen, sondern aus globaler Perspektive zu betrachten. Die Fülle regionaler Daten aus unterschiedlichen Teilen der Welt helfen großräumige Klimamodelle zu aktualisieren, Mensch-Umwelt-Szenarien zu entwickeln und bis in die Gegenwart zu verlängern. Wir können Abbau und Nutzung natürlicher Ressourcen in der Vergangenheit mit Erkenntnissen zu sozialen Praktiken und Machtstrukturen verknüpfen und so nicht nur den Einfluss des Menschen auf seine Umwelt, sondern auch die Nachhaltigkeit und Stabilität von Gesellschaften rekonstruieren.
Klimawandel erforschen
Die globalen Folgen des Klimawandels gehören zu den großen Herausforderungen unserer Zeit. In ihrer gesellschaftshistorischen Perspektive erlaubt archäologische Forschung auch, diese langfristigen Auswirkungen auf menschliche Gemeinschaften nachzuvollziehen. Dank unserer langen Tradition archäologischer und naturwissenschaftlicher Kooperation, bietet das DAI eine einmalige Forschungsumgebung, diesen Fragen nachzugehen. Nachhaltige Lösungen vergangener Gesellschaften zu verstehen und für die Zukunft nutzbar zu machen, steht dabei ebenso im Mittelpunkt unter anderem unseres „Groundcheck“-Forschungsprogramms wie der Schutz von Kulturgut vor den Folgen gegenwärtigen Klimawandels.
Wissen ordnen und erschließen
Umwelt und Lebensalltag vergangener Gesellschaften zu erforschen, ist nur ein Teil unserer vielfältigen Aufgaben, wenn auch ein wichtiger. Mit der systematischen Erschließung und strukturierten Verknüpfung alter und neuer Forschungsdaten, von Ausgrabungs- und Bildarchiven und der konsequenten Weiterentwicklung digitaler Infrastrukturen kommen wir außerdem auch unserem Auftrag nach, dieses Wissen zu ordnen, mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft und Öffentlichkeit nicht nur zu teilen, sondern darüber hinaus auch langfristig und nachhaltig zugänglich zu machen.
Einmalige Orte – besondere Kulturlandschaften
KRISEN ANTIZIPIEREN
Katastrophen und Krisen unterbrechen die gewohnten Strukturen unseres Alltags. Neben individuellen, persönlichen Herausforderungen müssen wir dabei vor allen Dingen auch als Gesellschaft mit Unsicherheiten umgehen, Lösungsstrategien entwickeln und gemeinsam umsetzen.
Extremwetterfolgen, Konflikte und Kriege, Seuchen – schon in der Vergangenheit haben einschneidende Ereignisse die Menschen begleitet und vor vergleichbare Herausforderungen gestellt. Auch sie mussten Lösungen finden und sich in Krisen behaupten.
Was aber macht eine Gesellschaft resilient?
Fragen sozialer und kultureller Dynamik gehören zu den Kernthemen, mit denen sich auch die Forschung am DAI auseinandersetzt. Ihre Beantwortung hilft uns, auch mit Bezug zu gegenwärtigen Veränderungen, zu verstehen, wie frühere Gemeinschaften Krisen bewältigt haben und wie sie daraus hervorgegangen sind. Sie zeigen uns die ganze Spannbreite möglicher Strategien im Umgang mit gesellschaftlichen Stresssituationen, zeichnen erfolgreiche Pfade ebenso nach wie Sackgassen.
Wir haben den Vorteil, diese Krisen der Vergangenheit von ihrem Ende her analysieren zu können. Erfolgreiches Krisenmanagement setzt zunächst voraus, dass eine sich anbahnende Krise überhaupt erst einmal als solche erkannt wird. Erst dann können Entscheidungen getroffen, Lösungen gesucht und schließlich umgesetzt werden. Der Blick in die Vergangenheit lässt uns nachvollziehen, wann und welche Reaktionen den Ausgang einer Krise beeinflussen konnten. Er lässt uns aber auch noch weiter zurückschauen, Auslöser und Kipppunkte erkennen.
Einschneidende Ereignisse können wie Katalysatoren wirken; können unter der gesellschaftlichen Oberfläche bereits angelegte Veränderungsprozesse beschleunigen und ihnen eine Richtung geben. Sie stellen mitunter Weichen, die technische Innovationen hervorbringen und gesellschaftlichen Wandel anstoßen. Auch das vermag die historische Auseinandersetzung mit vergangenen Krisen zu zeigen. Und sie gibt uns damit das nötige Werkzeug an die Hand, bestehende Risiken zu mindern, neue Risiken zu vermeiden und neuen Krisen vorzubeugen.
Die Resilienz gegenüber Katastrophen und der Wunsch, mit einer Krise einhergehende Wandlungsprozesse zu lenken, sind fundamentaler Bestandteil menschlichen Sicherheitsbedürfnisses. Die Vergangenheit kann uns deshalb auch lehren, unsere Widerstandsfähigkeit gegen ein breites Spektrum unterschiedlicher Krisensituationen stärken.
Gesellschaftliche Dynamiken sichtbar machen
Mit der Erforschung antiker Kulturen blickt die Archäologie nicht nur auf vergangene Gesellschaften, sondern legt auch das Fundament heutiger Zivilisation frei. Sie zeichnet damit sowohl die Entstehung politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Prozesse nach, kann vor allem aber auch deren Wandel im Laufe ihrer Entwicklung zu zeigen. Die Forschungen des DAI gehen solchen Fragen in globaler und globalarchäologischer Perspektive über lange Zeiträume von der Steinzeit bis in die Gegenwart nach, um die damit verbundene kulturelle und soziale Dynamik auch mit Bezug auf aktuelle Herausforderungen in den Blick zu nehmen.
Zu verstehen, wie frühere Gemeinschaften auf Krisen reagiert haben, ist dabei ebenso wichtig wie die verschiedenen Faktoren auszumachen, die in der Vergangenheit überhaupt erst zu derart einschneidenden Ereignissen geführt haben. In den Projekten unseres „Groundcheck“-Forschungsprogramms beispielsweise verfolgen DAI-Kolleginnen und Kollegen gemeinsam mit internationalen Kooperationspartnern das Ziel, lokale und regionale Umweltdaten mit Erkenntnissen zu gesellschaftlicher und kultureller Dynamik zu verknüpfen, um zu ergründen welche möglichen Wechselwirkungen zwischen Klima- und Gesellschaftswandel bestanden haben könnten. Durchaus eine Frage die auch für unseren Alltag heute von großem Interesse ist.
Aber auch die Betrachtung des Verlaufs historischer Epidemien, von Bevölkerungsdynamik und Migrationsprozessen sowie vergangener globaler und regionaler Netzwerke können hier einen wichtigen Beitrag zu aktuellen Diskussionen leisten. Die Beobachtung solchen sehr unterschiedlichen Austauschs über lange Zeiträume hinweg kann uns zeigen, welche Auswirkungen politische, ökonomische oder soziale Veränderungen auf die so miteinander vernetzten Partner hatten – und wo sie in ganz unterschiedlichen Formen unter Umständen bis heute nachwirken.