Der Weg zu einer Globalarchäologie
„Ungeahnte Zusammenhänge verbinden in den verschiedensten Epochen Europa mit dem nördlichen Afrika und reichen bis zum Fernen Osten; an die Stelle Europas ist für Archäologie und Kunstgeschichte ein erweiterter Schauplatz getreten, der außer dem Alten Europa ganz Asien und Nordafrika umfasst.“
Schon 1929 hielt der damalige DAI-Präsident Gerhart Rodenwaldt anläßlich der 100-Jahr-Feier des Instituts fest, in welcher Spannbreite sich das Arbeitsgebiet der Archäologie räumlich und zeitlich entfaltet. Ein wesentlicher Gedanke für die ganzheitliche Betrachtung kultureller Phänomene und Querverbindungen zwischen Regionen und Kulturen, den auch Rodenwaldts späterer Nachfolger Edmund Buchner aufgreifen und vertiefen sollte, der um eine Erweiterung des DAI-Profils warb. Ein Bemühen, das beispielsweise 1979 zur Gründung der Kommission für Allgemeine und Vergleichende Archäologie (KAVA) in Bonn führte (die ihre Arbeit seit 2015 als KAAK, Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen, fortführt). In einem programmatisch „Wozu Weltarchäologie“ betitelten Aufsatz von 1980 hob Buchner die Bedeutung vergleichender und interdisziplinärer Studien kultureller Beziehungen in historischer Tiefe noch einmal hervor:
„Das ist gewiss ein anspruchsvolles Programm. Es bedeutet, dass Fragen, die der Archäologie gestellt sind, durch weltweite Betrachtung gelöst werden sollen. Solche Fragen sind z. B.: Die Geschichte der frühen Technologie, die Entstehung von Ackerbau und Viehzucht, die Geschichte des Siedlungswesens bis hin zu den frühesten Städten.“
Ein derart umfassender Blick kann nur mit einem breiten Netzwerk an Kooperationen und weltweiten Partnern gelingen. Die international und interdisziplinär kooperierenden Forschungsprojekte des DAI spiegeln deshalb eine ganz in diesem Sinne globalarchäologische Forschung wider.
Mobilität und Interaktion
Zu den zentralen Themen, die das DAI erforscht, zählen auch verschiedene Formen von Mobilität. Durch die zeitliche Tiefe und räumliche Breite unserer Forschungen, beispielsweise in den Projekten des DAI-Forschungsclusters „Connected Cultures? Konzepte, Phänomene, Praktiken kultureller Interaktion“, können wir dabei ganz unterschiedliche Akteure, Wege und Räume kulturellen Austauschs in den Blick nehmen. In globalarchäologischen Studien werden gesellschaftliche Phänomene über große geographische Räume hinweg verglichen. Auf diese Weise können Unterschiede und Gemeinsamkeiten regionaler und überregionaler Kulturerscheinungen erkannt und in ihrer historischen Tragweite untersucht werden:
Wie grenzten Gemeinschaften sich von ihren Nachbarn ab, wie wurden solche Grenzen wahrgenommen – und wie durchlässig waren sie?
Haben Migrationen und Bevölkerungsverschiebungen zur Verbreitung neuer innovativer Errungenschaften beigetragen oder haben die Ideen dahinter Grenzen überschritten, sind kommuniziert und adaptiert worden?
Archäologische Funde und Befunde können uns helfen zu verstehen, ob (vermeintlich) fremde Formen von Neuankömmlingen mitgebracht oder lokal nachgeahmt wurden, moderne naturwissenschaftliche Untersuchungen geben Auskunft zu Herkunft und Verwandtschaft von Gruppen und einzelnen Individuen. So können zum Beispiel überregionale Kulturkontakte nachvollzogen und Zentren solchen Austauschs identifiziert werden – die nicht zwingend immer in den Grenzregionen verschiedener Siedlungs- und Herrschaftsgebiete liegen müssen und ihre ganz eigene Dynamik kulturellen Wandels haben können.
Der globalarchäologische Blick in die Vergangenheit zeigt uns eine komplexe Vielfalt unterschiedlicher Beziehungen und Spielarten großräumiger Vernetzung. Mit diesem Verständnis von kultureller Veränderung als fortschreitender Entwicklung von Gesellschaften weitet er auch unsere Wahrnehmung aktuellen gesellschaftlichen Wandels und erweitert das Spektrum unserer Handlungsoptionen.
Ökonomische Netzwerke
Ein weiteres zentrales Thema der Globalarchäologie sind wirtschaftliche Interaktionen. Der Bedarf unterschiedlichster Ressourcen hat zu verschiedenen Zeiten verschiedene Akteure zusammengeführt und ganz eigene kulturelle und historische Verbindungen hervorgebracht. Lokale, regionale und globale Wirtschaftsdynamiken stehen unter anderem im Zentrum der Forschungen unseres Clusters szu „Ökonomischen Netzwerken“.
Der Zugang zu Rohstoffen und anderen Ressourcen kann Entwicklung und Vorankommen von Gesellschaften maßgeblich mitbestimmen und hat wesentlich Einfluss auf die Entstehung von Austausch- und Handelsbeziehungen, die Gründung von Siedlungen bis hin zu Kolonisierung und gewaltsamer Eroberung. Wer Ressourcen kontrolliert, kann über Produktionsprozesse entscheiden, Angebot und Nachfrage steuern und Versorgungsnetzwerke beeinflussen.
Damit einher geht auch die Entwicklung von Standardisierungen, beispielsweise einheitlicher Maße und Gewichte, sowie eines Verwaltungsapparats, der seinerseits wiederum eng mit der frühen Nutzung von Schrift und angewandter Mathematik verbunden ist. Diese Forschung vermag aber auch Licht auf Fragen zur Struktur von Gesellschaften werfen, zur Ausbildung von Hierarchien und den politischen und wirtschaftlichen Bedingungen, unter denen einzelne Individuen materiellen Besitz anhäufen, Macht und Einfluss gewinnen.
Mit der Erforschung ökonomischer Netzwerke trägt die Globalarchäologie dazu bei, vergangene Gemeinschaften innerhalb der gesellschaftlichen Verflechtungen ihrer Zeit zu verorten und ergänzt das kulturelle Portfolio urgeschichtlicher und historischer Perioden und geographischer Räume um einen wichtigen Aspekt. Denn sie versetzt uns damit in die Lage, die Auswirkungen lokaler politischer Veränderungen im Umfeld eines Akteurs auf komplexe regionale und überregionale Austausch- und Kommunikationsnetzwerke nachzuvollziehen.