Aufbruch in eine neue Welt
Die Kaukasusregion an der Schnittstelle zwischen Asien und Europa war in der Bronzezeit Schmelztiegel und Wiege der frühesten Viehzüchter der Steppe. Neue aDNA-Befunde zeigen, wie sich neolithische Lebensweisen in verschiedenen Populationen ausbreiteten und die Interaktion zwischen Bergen und Steppen die genetischen und kulturellen Landschaften Eurasiens prägten.
Neue Studie zur weiteren Kaukasusregion
Die neue Studie, die von der Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) und dem Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie (MPI) federführend durchgeführt wurde, umfasst einen Zeitraum von über 6000 Jahren und kombiniert genomische und archäologische Daten aus der weiteren Kaukasusregion, darunter mehr als hundert neu analysierte Individuen. Anhand dieser achäogenetischen Befunde wurde es nun möglich, entscheidende Entwicklungslinien des kulturellen, wirtschaftlichen und demografischen Wandels nachzuvollziehen, die den Beginn und die Transformation der ersten mobilen Viehzüchter Eurasiens markieren: „Es ist genau diese Schnittstelle zwischen verschiedenen ökogeographischen Habitaten und den diversen archäologischen Kulturen, die diese Region so interessant macht“, erklärt der Genetiker Wolfgang Haak, Mitinitiator der Studie am MPI.
Genetische und kulturelle Interaktionen
Mobile Pastoralwirtschaft, die sich auf Nutztiere und Milchprodukte spezialisierte, Transport mit Wagen und die ersten Schritte zur Domestizierung von Pferden etablierte sich um 3500 v. Chr. in den Steppen nördlich des Kaukasus. Die genetische Herausbildung und Transformation der Pastoralistenpopulationen im Zuge dieser entscheidenden wirtschaftlichen Veränderungen zeichnet die neue Studie nach: Ihr Beginn ist in die Mitte des 5. Jahrtausends v. Chr. zu datieren, als die neolithische Bevölkerung mit genetischen Vorfahren aus Südwestasien (Anatolian ancestry) über den Kaukasus migrierte und auf verschiedene Jäger- und Sammlergruppen traf, die in den Vorgebirgen und benachbarten Steppen lebten. Sie stellten zwei Bevölkerungsgruppen, die als Caucasus bzw. Steppe ancestry bezeichnet werden. Die Forschungsergebnisse können belegen, dass deren genetische Abgrenzung selbst während der raschen Verbreitung technischer, sozialer und wirtschaftlicher Innovationen im 4. Jahrtausend v. Chr. weitestgehend intakt blieb, während sich dieselben kulturelle Innovationen in beiden Gruppen aufzeigen lassen. So finden sich in der frühbronzezeitlichen Maikop-Kultur fünf verschiedene genetische Profile, während die ikonischen archäologischen Kulturen des 3. Jahrtausends v. Chr. – die Yamnaya-, Katakomben- und nordkaukasischen Gruppen – ein fast identisches genetisches Profil aufweisen. Insgesamt beschreibt diese Phase „eine Blütezeit des Wissens- und Technologietransfers in der nördlichen Kaukasusregion, in der wir sehr ähnliche kulturelle Elemente in genetisch unterschiedlichen Gruppen sehen, aber auch viele Anzeichen von Vermischung und Interaktion“, erklärt Sabine Reinhold, Co-Hauptautorin der Studie.
Aufbruch in eine neue Welt
Im späten 4. Jahrtausend v. Chr. begannen Gruppen nördlich des Kaukasus ihren Lebensstil an mobilere Wirtschaftsformen anzupassen, die wohl besser zu den endlos erscheinenden Steppen Eurasiens passten. Die archäologischen Funde zeigen jedenfalls entscheidende Innovationen, beispielsweise im Herdenmanagement und in der Milchwirtschaft, aber auch im Bereich der Mobilität: „Haltbare Lebensmittel wie die ersten Formen von Käse und Innovationen im Transportwesen ermöglichten es, die großen Graslandschaften der eurasischen Steppe dauerhaft zu besiedeln. Sie trugen dazu bei, ein den Kontinent übergreifendes Kommunikationsnetzwerk aufzubauen, das bis heute den Atlantik und den Pazifik verbindet“, ergänzt Svend Hansen, Direktor der Eurasien-Abteilung am DAI und PI des ERC Advanced Grants ARCHCAUCASUS, ebenfalls Mitinitiator der Studie. Erst die Kombination der Innovationen ebnete den Weg für einen vollständig mobilen Lebensstil als Viehzüchter im Übergang zum 3. Jahrtausend v. Chr. und bildete die Grundlage unter anderem für jene Gruppen, die mit dem Yamnaya-Kulturkomplex und der Steppe ancestry in Verbindung stehen. Schließlich breitete sich der mobile Pastoralismus rapide über die gesamte westliche Steppenzone aus – von der östlichen Mongolei bis zum Karpatenbecken im Westen.
Soziale und verwandtschaftliche Netzwerke
Die neuen archäogenetischen Methoden ermöglichen die Ermittlung der biologischen Verwandtschaft untersuchter Personen und damit die Bestimmung von sozialen und biologischen Beziehungen als potenzielle Grundlage für die Verbreitung technologischer Innovationen. Überraschendstes Ergebnis der Studie: Die geografische Entfernung zwischen biologisch verwandten Personen mit unterschiedlichen genetischen Profilen variiert erheblich und verweist somit auf die Vielgestalt möglicher Beziehungskonzeptionen: Sie deutet einerseits auf sehr enge Verwandtschaftsbeziehungen innerhalb der Caucasus ancestry, andererseits auf breitere regionale, soziale Netzwerke der Menschen der Steppe ancestry.
„Unsere integrative Studie ist ein hervorragendes Beispiel für die menschliche Widerstandsfähigkeit, Anpassungsfähigkeit und Innovationskraft angesichts ökologischer, wirtschaftlicher und gesellschaftspolitischer Veränderungen“, erläutert Svend Hansen. „Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung des Kaukasus für die kulturellen Entwicklungen in Eurasien, aber auch, wie wichtig es ist, bei der Erforschung dieser Prozesse mit vielen Disziplinen zusammenzuarbeiten.“ Fragen zur genauen Ausgestaltung und zur geografischen Reichweite der Beziehungsnetzwerke der Viehhirten des 4. Jahrtausends v. Chr. bilden spannende Grundlage für künftige, interdisziplinäre Untersuchungen.
Publikation
Ayshin Ghalichi et al. The rise and transformation of Bronze Age pastoralists in the Caucasus. Nature, 30 October 2024, DOI: 10.1038/s41586-024-08113-5 (Open Access)
Kontakt
Prof. Dr. Dr. h.c. mult.
Svend Hansen
, Leitender Direktor der Eurasien-Abteilung
Svend.Hansen@dainst.de
PD Dr.
Sabine Reinhold
, Referentin für die Archäologie Sibiriens und des Ural
Sabine.Reinhold@dainst.de
Doris Fleischer
, Pressereferentin und stellv. Leitung Kommunikation
Doris.Fleischer@dainst.de
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