Die vergessene Küste. Archäologische Forschungen im Nordosten von Honduras
Sprechen wir von den Alten Kulturen Mittelamerikas, denken wir zunächst an sogenannte Hochkulturen wie die der Maya oder Azteken. Deren städtische Zentren waren geprägt von monumentalen Pyramiden und Palästen. Solche Stätten ziehen seit langem die Aufmerksamkeit der Archäologen auf sich, zumal dort oft spektakuläre Funde von Königsgräbern und Monumenten mit Inschriften gemacht werden.
Monumentalarchitektur und Schriftzeugnisse sind konstituierende Merkmale einer Kulturregion, die wir als „Mesoamerika“ bezeichnen und die weite Teile von Mexiko, Guatemala, Belize und El Salvador umfasst. Die Kulturregion weiter südlich und östlich, mit dem Osten von Honduras, Nicaragua, Costa Rica und Panama, bezeichnen wir als „Südliches Zentralamerika“. Im südlichen Zentralamerika finden wir keine Monumentalarchitektur, wohl aber Gesellschaften mit weit entwickeltem Kunsthandwerk. Beredte Zeugnisse davon sind zum Beispiel die tausenden von Funden im Jademuseum und im Goldmuseum von Costa Rica. In Panama wurden sogar Fürstengräber gefunden, die zu den reichsten in ganz Altamerika zählen. Das südliche Zentralamerika wurde im Vergleich zu Mesoamerika in der archäologischen Forschung bisher vernachlässigt.
Das Deutsche Archäologische Institut (DAI) leistet mit seiner Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen (KAAK) wichtige Beiträge zur Erforschung bisher weitgehend unbekannter Regionen. Seit 2012 sind wir kontinuierlich mit Projekten in Honduras tätig. Angefangen haben wir in der Maya-Stadt Copán, einer beeindruckenden Ruinenstätte, an der östlichen Grenze von Mesoamerika und gleichzeitig im äußersten Westen von Honduras gelegen. Während unserer Arbeiten in Copán unterstützten wir unsere Kollegen von der honduranischen Denkmalbehörde bei Explorationen im Osten des Landes, wo bisher kaum archäologische Arbeiten stattgefunden hatten. 2016 starteten wir ein gemeinsames Pilot-Projekt zur Siedlungsarchäologie in Nordost-Honduras. Unser Forschungsgebiet liegt an der Karibikküste von Honduras, einer Region, die lange Zeit unter sozialen Konflikten und Drogenhandel zu leiden hatte. Durch Ausgrabungen und Siedlungsprospektionen konnten wir Stück für Stück die reiche vorspanischen Geschichte im Nordosten von Honduras erschließen.
Als Ergebnis unserer bisherigen Forschungen können wir heute sagen, dass der Nordosten von Honduras in vorspanischer Zeit dicht besiedelt war und in weitreichende Austauschnetze eingebunden war, die bis nach Westmexiko und mindestens bis nach Costa Rica reichten. Durch archäologische Siedlungsprospektionen mit modernsten Techniken und Methoden konnten wir das komplexe Siedlungsgefüge der Region rekonstruieren. Durch Ausgrabungen dokumentieren wir repräsentatives Fundmaterial der wichtigsten Siedlungsphasen. Wir analysieren die Funde mit modernen archäometrischen Methoden bis hin zur Anwendung künstlicher Intelligenz. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass die Gesellschaften im südlichen Zentralamerika ganz anders organisiert waren als ihre Nachbarn in Mesoamerika, die Königstümer und Staaten mit hierchischen Gesellschaften und Monumentalen Repräsentationsbauten errichteten. Die Gesellschaften Zentralamerikas waren flacher organisiert, ohne ausgeprägte Hierarchien, aber mit sehr dynamischen Netzwerken für den wirtschaftlichen und kulturellen Austausch. In der Forschung werden solche Organisationsformen als „heterarchisch“ bezeichnet, im Gegensatz zu den hierarchisch organisierten, vertikalen Gesellschaften vieler Regionen Mesoamerikas.
Honduras ist ein faszinierendes Land, mit einer Vielfalt an Lebensräumen, von bergigen Waldlandschaften bis hin zu paradiesischen tropischen Karibikküsten und Inseln. Honduras hat auch eine vielfältige, allerdings wenig bekannte Geschichte: in unserem Forschungsgebiet gelangte Kolumbus erstmals an das amerikanische Festland. Die Europäer bauten seit dem 16. Jh. koloniale Strukturen auf, um die Reichtümer der eroberten Gebiete auszubeuten. Zum Schutz des Transportes von Gold und Silber entlang der Küsten wurden 1524 die ersten Befestigungsanlagen im heutigen Trujillo erbaut, das in dieser Zeit auch Hauptstadt von Honduras war. Piraten aller Couleur machten die Karibik unsicher und zerstörten Trujillo vier Mal. Im 18. Jahrhundert besiedelten ehemalige Sklaven aus der Karibik die Küsten von Honduras, Guatemala, Belice und Nicaragua und gründeten die heute weit verbreiteten Garifuna-Gemeinden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Küste von Honduras zu einer der wichtigsten Exportregionen tropischer Südfrüchte (United Fruit Company) und erlebte eine kurze wirtschaftliche Blüte. Heute ist das Leben in Honduras von politischer Instabilität, wirtschaftlichen Problemen, Korruption, gewaltsamen Jugendbanden und dem allmächtigen Drogenhandel geprägt. Viele Menschen verlassen das Land, um illegal über die Landesgrenzen zu kommen und ihr Glück in den Vereinigten Staaten zu suchen.
Umso wichtiger ist es, Ansätze zum Aufbau und zur Stärkung des Landes zu unterstützen. Die Erforschung der eigenen, vor allem der vorkolonialen Geschichte, kann wichtige Impulse geben. Die Rekonstruktion der bisher nur wenig bekannten vorspanischen Geschichte im Nordosten von Honduras liefert einen wichtigen Beitrag zur Identitätsfindung der lokalen Bevölkerung und damit einen Impuls für kulturelle und wirtschaftliche Entwicklungen. Durch Öffentlichkeitsarbeit, Ausstellungen, Filme im In- und Ausland und nicht zuletzt durch den Bau eines Museums in dem Ort Guadalupe, der mit Unterstützung der Theodor Wiegand Gesellschaft initiiert wurde, liefern wir wichtige Beiträge für die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung der Region.
Markus Reindel, Jahrgang 1960, ist Referent für Amerika an der Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen (KAAK) des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) und Honorarprofessor am Institut für Archäologie und Kulturanthropologie der Universität Bonn. Er studierte Altamerikanistik, Ethnologie, Geographie und spanische Philologie an den Universitäten Freiburg/i. Br., Madrid und Bonn, wo er 1991 mit einer Disseration über „Monumentale Lehmarchitektur an der Nordküste Perus“ promoviert wurde. In den folgenden Jahren leitete er archäologische und interdisziplinäre Forschungsprojekte mit Schwerpunkt Siedlungsarchäolgie und Baugeschichte in Ekuador (1992 – 1993), Mexiko (1993-1997), Peru (1997-2024) and Honduras (2012-2024). Seine Forschungsinteressen liegen bei der Siedlungsarchäolgie, Baugeschichte, Archäometrie, Landschaftsarchäologie, Paläoklimatologie und der Entstehung komplexer Gesellschaften in Mittel- und Südamerika. Derzeit leitet er Forschungen zur Siedlungsarchäologie im nordöstlichen Honduras und zur Landschafts- und Siedlungsgeschichte im südlichen Peru (Nasca-Palpa).