Heliopolis

Tempelbezirk von Heliopolis © DAI Kairo // Klara Dietze

Forschung

Seit den früharabischen Epochen war Heliopolis stets ein Ort touristischer Besuche. Von daher liegen eine Vielzahl von Berichten zu den Denkmälern vor, die oft auch mit Besuchen an der Stätte eines Aufenthalts der Heiligen Familie am Baum der Maria in Matariya in Zusammenhang standen.

Die Nutzung Tempelbezirks als landwirtschaftliche Fläche, der große Aufwand für Ausgrabungen wegen starker Lehm-Sedimente über dem Tempelniveau, und die Besitzverhältnisse (Privatbesitz, Vizekönigbesitz) standen lange systematischen Ausgrabungen im Weg. Eine wichtige Ausnahme stellen hier die Grabungen des Ägyptischen Museums von Turin (1903-1906) und die britischen Grabungen von W. M. Flinders Petrie (1912) dar. Die Universität Kairo führt im nördlichem Bezirksabschnitt seit den 1970er-Jahren ausgedehnte Grabungen durch.

Kontinuierlich wird seit dem frühen 20. Jahrhundert die urbane Entwicklung in Matariya und Ain Schams durch Notgrabungen des ägyptischen Antikendienstes in der Nekropole von Heliopolis begleitet.

Seit 2012 unterstützt das Heliopolis Project die Anstrengungen der Ägyptischen Antikenbehörde bei ihren Notgrabungen im Zuge der fortschreitenden Stadtentwicklung Nordost-Kairos. Aufgrund der fortschreitenden Bebauung kommen die Ausgrabungen voraussichtlich 2023/2024 zu ihrem Ende. Anschließend wird sich das Projekt auf die Veröffentlichungen der bisherigen Arbeiten konzentrieren.

Areal 005: Die südlichen Umfassungsmauern von Heliopolis

Im Anschluss an Arbeiten der Ägyptischen Antikenbehörde konnte eine architekturgeschichtliche Untersuchung der Umfassungsmauern von Heliopolis im Rahmen einer Dissertation von Max Beiersdorf zu den undulierenden Tempelmauern der ägyptischen Spätzeit untersucht werden. Hier konnte gezeigt werden, wie durch neuartige Modulplanung die Effizienz in der Errichtung derartiger, gut 17 m starker Mauerzüge deutlich gesteigert werden konnte.

Weitere Nachuntersuchungen zeigten, wie hierdurch ältere Mauerzüge des Neuen Reichs ersetzt wurden. Deren Mauerstärke von gut 15 m ermöglichten gleichermaßen die Funktion einer monumentalen Tempeleinfriedung als auch als Flutschutz. Diese auf Ramses II. zurückgehenden Maßnahmen wurden in der 26. Dynastie im Zusammenhang eines an vielen Stellen im Tempel zu beobachtendem Bauprogramm realisiert. Sie stehen mit einem groß angelegten Erneuerungsprojekt der Zeit des Amasis in Verbindung, das aus kontemporären Inschriften von Priestern des Sonnentempels belegt ist.

Areal 200 - Ein Festtempel im westlichen Tempelbezirk

Unmittelbar hinter dem archäologisch nicht mehr erreichbaren Westportal des Tempels befand sich ein monumentaler Festtempel der Ramessidenzeit. Lediglich der Vorbereich des gewaltigen Pylons von ca. 120 m Breite konnte noch freigelegt werden. Von besonderem Interesse war hier die rundbildliche Ausstattung mit Granitstatuen des Mittleren Reichs, die anzeigen, dass unter Sesostris I. um 1950 v. Chr. ein enormer staatlicher Aufwand in die Ausgestaltung des Sonnenheiligtums investiert wurde. Diese Skulpturen wurden, genau wie eine Vielzahl von Blöcken aus Tempeln des Echnaton für Aton, von Ramses II. und seinen Nachfolgern wiederverwendet.

Diese sehr eindrückliche visuelle Situation wurde 600 Jahre später durch Psammetich I. wieder aufgenommen: Zwischen den Skulpturen seiner Vorgänger und vor den Reliefs des zu diesem Zeitpunkt exemplarischen Idealkönigs Ramses II. konnte hier 2017 die erste Kolossalstatue der ägyptischen Spätzeit mit einer Höhe von etwa 10,5 m in ca. 6500 Fragmenten entdeckt werden.

Stratigraphische Untersuchungen und Bohrungen konnten in diesem Bereich eine Sequenz vom späteren Alten Reich (ca. 2300 v. Chr.) bis in die Hyksos-Zeit (um 1600 v. Chr.) nachweisen.

Areal 211 – Untersuchungen im direkten Umfeld des Obelisken Sesostris I.

Unter den Umständen einer stetig intensivierten Stadtentwicklung konnten im direkten Umfeld des Obelisken Sesostris I. nochmals Einblicke in die Umgestaltungen der zentralen Kultbezirke von Heliopolis gewonnen werden. Die ältesten Schichten deuten auf einen aus Lehmziegeln errichteten Sanktuarbereich des späten 4. Jts. v. Chr., gefolgt von Nutzungsschichten der 4. Dynastie (um 2600 v. Chr.) und Hinweisen auf Königsfeste der Zeit um 2300 v. Chr., in denen große Mengen an Libationsgefäßen aus Keramik festgestellt werden konnten.

Von besonderem Interesse sind hier die zahlreichen Hinweise auf die originale Ausstattung der Tempelbauten des 2. – mittleren 1. Jts. v. Chr. Eine Vielzahl von Fragmenten können Götterschreinen zugeordnet werden. Auch die Skulpturenausstattung des Tempels konnte hier um zahlreiche Sphingen ergänzt werden. Wichtige Einblicke lieferte hier die Identifikation einer zuvor unbekannten Gebäudeeinheit von etwa 60 m Breite aus der Spätzeit.

Nicht weniger komplex stellt sich die Zerstörungsgeschichte dieses Tempelareals dar, die sich bis in die osmanische Zeit verfolgen lässt. Die Funde und Befunde werden von Florence Langermann im Rahmen eines Dissertationsvorhabens bearbeitet.

Areal 221 - Der zentrale Tempelbezirk

Die Ausgrabung im Tempelzentrum (Areal 221) führte zur Entdeckung einer Vielzahl von reliefdekorierten Basalt-Blöcken aus der Zeit des Nektanebis (I., 380–362 v. Chr.). Dabei wurde hierbei die seit vielen Jahrzehnten vollständigste sogenannte Geographische Prozession, in der jede Region des Landes dem König mit ihren Gaben zuarbeitet, entdeckt und zwischen 2016–2021 geborgen. Darüber hinaus wurden in unmittelbarer Nähe Portalfragmente von Nektanebis (I.) und Ramses II. entdeckt.

Unter den folgenden Zeiträumen ist vor allem eine intensive hellenistische Geländenutzung mit einer Reihe von Hinweisen auf kunsthandwerkliche Produktionszweige für die Herstellung von Grabausstattung, Amuletten, Reliefs, Skulpturen und Appliken von Interesse. Die materielle Kultur verweist hier auf eine Einbindung in die Handelsnetzwerke des Ostmittelmeerraums. Die wissenschaftliche Bearbeitung liegt beim Promotionsvorhaben von Stephanie Blaschta.

Areal 232 – Stratigraphie des 15.–2. Jhs. v. Chr.

Zwischen 2015 und 2021 wurden von der Ägyptisch-Deutschen Mission, hauptsächlich mit Förderung der Gerda Henkel Stiftung, insgesamt zehn Grabungskampagnen in dem 250 m südöstlichen des Obelisken Sesostris’ I. gelegenen Areal durchgeführt. Dabei wurde eine archäologische Sequenz von sieben Primärstraten greifbar. Wie die Befund-, Fund- und Keramikspektren deutlich anzeigen, waren die im Bezirk angesiedelten Produktionstätigkeiten hauptsächlich auf die Herstellung verderblicher Grundnahrungsmittel ausgerichtet und dürften, zumindest phasenweise, an die zentralisierte Tempelwirtschaft des Haupttemenos angegliedert gewesen sein.

Die Untersuchung durch Klara Dietze führte im Rahmen Ihrer Dissertation an der Universität Leipzig zur Identifikation von Episoden und Prozessen der (De-)Sakralisierung des Kultbezirkes innerhalb des 1. vorchristlichen Jahrtausends. So alternieren Schichten mit bspw. vorsätzlich zerkleinertem Tempelinventar (z. B. Stratum G, sp. 2. Jt. v. Chr.) und Phasenbefunde größerer Investitionen in den Gebäudebestand und intensivierter wirtschaftlicher Nutzung (z. B. Straten E und D, 7.-6. Jh. v. Chr.). Die stratigraphische Sequenz, die noch hervorragend erhaltene hellenistische Backofenbatterien des früheren 2. Jh. v. Chr. enthält, bricht mit der intentionalen Verschüttung und endgültigen Aufgabe der Anlagen im mittleren 2. Jahrhundert v. Chr. ab.

Areal 251 – Früheste Straten von Heliopolis, ein Friedhof und neue Umfassungsmauern

Im südwestlichen Tempelbezirk wurde eine der ältesten bislang dokumentierten Schichten von Matariya erreicht werden. Ein Brauerei-Betrieb der Zeit um 3400 v. Chr. zeigt hier schon für diese Frühphase die Bedeutung von großangelegter Lebensmittelproduktion. Von besonderem Interesse ist, dass bereits baugleiche Produktionsbetriebe sowohl im Nordost- als auch im Nordwestdelta identifiziert wurden.

Überdeckt wurde das Gebiet von einer Nekropole und einer einfachen Bebauung des ausgehenden 2. Jts. v. Chr. Dieser intramurale Friedhof gehört, wie auch wiederverwendete Grabkapellenblöcke der Ramessidenzeit, zu den Indikatoren für soziale Verwerfungen dieser Zeit.

Eine wichtige Zäsur stellt 500 Jahre später der Verlauf einer neuen Umfassungsmauer der 26. Dynastie dar, die die verstärkte Investition in Heliopolis in dieser Phase der Renaissance illustriert. Wie in Areal 232 sind auch hier im Verlauf des 5. Jhs. v. Chr. Nahrungsmittelproduktionsanlagen am südlichen Rand des Tempelbezirks eingerichtet worden.

Kolossalstatue Psammetichs I. Königsdarstellung in Ritualszene des Rückenpfeilers © DAI Kairo // Simon Connor
Deponierung von Sphingen des Mittleren und Neuen Reichs © DAI Kairo // Simon Connor
Tempel Nektanebis‘ I., geographische Prozession: Region von Heliopolis © DAI Kairo // Simon Connor
Wirtschaftsbezirk des 7. – 2. Jhs. v. Chr. © DAI Kairo // Klara Dietze
Erweiterung des Museums am Obelisken Sesostris‘ I. © DAI Kairo // Erweiterung des Museums am Obelisken Sesostris‘ I.
Obelisk Sesostris‘ I. Im Museum von Matariya © Universität Leipzig // Marion Wenzel
Areal 211: Fragment eines Sphinx Amenemhats III. © DAI Kairo // Simon Connor
Areal 211: Fragment eines Sphinx Amenophis‘ III. © DAI Kairo // Simon Connor
Tempelbezirk von Heliopolis © DAI Kairo // Klara Dietze