Siedlungsdynamik und Urbanisierung in Gadara / Umm Qays ab dem Hellenismus

Luftbild vom Grabungsareal © DAI // Günther Schauerte

Forschung

Forschungsgeschichte

Ulrich J. Seetzen deutete 1806 die antiken Ruinen erstmalig als die Dekapolisstadt Gadara. Gottlieb Schumacher lieferte 1886 die erste detaillierte Beschreibung von Gadara und eine topographische Karte, die den antiken Siedlungshügel noch vor der Überbauung um 1900 wiedergibt.

In den 1970er Jahren leiteten umfassende Geländebegehungen und Grabungen unter der Leitung von Ute Wagner-Lux vom Deutschen Evangelischen Institut in Amman (DEI) die Forschungsaktivitäten an prominenten Monumenten der Stadt Gadara ein. Seit 1987 führt das DAI fast jährlich Ausgrabungen in Gadara durch. Diese erstreckten sich anfangs auf das Bogenmonument extra muros, das Hippodrom, das früh- und spätkaiserzeitliche Westtor, das Trikonchos-Areal, die hellenistische und frühkaiserzeitliche Stadtmauer sowie den späthellenistischen Podientempel I (Leitung Adolf Hoffmann bis 2001).

Seit 2002 wurden die Arbeiten zur Siedlungsstruktur als ein Gemeinschaftsprojekt mit den Staatlichen Museen zu Berlin fortgesetzt. Ein archäologischer Survey im Umland von Gadara ergänzt die Forschungen.

Weitere Forschungsschwerpunkte lagen in folgenden Bereichen: Kolonnadenstraße, Zentralkirche mit Atrium auf der Nordwestterrasse (Ute Wagner-Lux – Karel J.H. Vriezen seit 1976, in den 1990er Jahren mit Robert L. Guineé – Nicole F. Mulder); spätantike große Thermenanlage (Inge Nielsen – Svend Holm-Nielsen, 1978–83); Tiberiastor, Hypogäum und frühchristlicher Kirchenkomplex (Thomas Weber, 1986–2000); Podienmonument (Peter C. Bol, 1988–89); Siedlungsgrabung am Westhang der Oberstadt, hellenistisch-römisches Tunnelsystem zur Wasserversorgung Gadaras (Susanne Kerner, 1989–1996); Grabungen im westlichen Stadtgebiet, u. a. Thermenanlage und Oktogonalbau (jordanisches Department of Antiquities, seit 2000).

Der Vorgeschichte im Großraum Gadara dienen die Untersuchungen auf dem Gadarener Hochplateau durch Nadine Riedl (1998, 2000) sowie auf dem Tall Zirā’a im Wādī l-`Arab durch Dieter Vieweger (ab 2001) und Jutta Häser (ab 2004). Des weiteren wird seit 2010 das Hinterland von Gadara/Umm Qays ("Gadara extra muros") in einem Umlandsurvey durch Claudia Bührig erforscht.

Forschungsziele

Im äußersten Nordwesten Jordaniens werden in der antiken Stadt Gadara und ihrem Umland Aspekte der Siedlungsarchäologie, Siedlungsdynamiken und Siedlungsgestalt vom Hellenismus bis in die Frühislamische Zeit mittels archäologischer und bauhistorischer Methoden untersucht werden. Diese sind ist eingepasst in die Prozesse Integration, der Inbesitznahme / Ausbau eines Siedlungsplatzes, bis hin zur Fragmentierung, die in Veränderungen / Aufgabe eines Siedlungsplatzes münden kann.

Dabei lässt eine Vernetzung mit der Forschungsunternehmung auf dem benachbarten Tell Zira´ā, im südlich angrenzende Wādī al-ʿArab gelegen, neue Erkenntnisse zur Siedlungstopografie und -chronologie sowie zur spezifischen Landschaftsnutzung zu erwarten. Im konkreten Fall von Gadara gilt nicht nur die Anfänge der Besiedlung auf der Hügelkuppe und die damit einhergehende Prozesse herauszuarbeiten, sondern mit der Siedlungsentwicklung in der Region insgesamt zu vergleichen:

Feldarchäologische Arbeiten, bauhistorische Dokumentationsmethoden und Grundlagenforschung in Form der Erarbeitung einer Referenzstratigraphie für Gadara inkl. archäometrischer Untersuchungen bilden das Arbeitsprogramm.

Unter Einbeziehung der Ergebnisse der Ausgrabungen der 1990er Jahre und deren Neubewertung, außerhalb und innerhalb der hellenistischen Festung, sind gezielte Sondagen geplant. Für die Klärung der skizzierten Fragen verspricht zum einen das Areal im südöstlichen Bereich der Festung weiterführende Ergebnisse, da es der einzige Bereich auf der Hügelkuppe ist, der nach ihrer Neubesiedlung zum Ende des 19. Jhs. unbebaut blieb. Erste Sondagen in diesem Areal erbrachten vielversprechende Befunde sowohl aus der Frühphase der Festung als auch der Nutzung des Areals in frühislamischer Zeit, vor Ausbruch des verheerenden Erdbebens im 8. Jh.

Mittels Feldforschungen und unter Einbeziehungen der Ergebnisse aus den Altgrabungen sowie der daraus resultierenden materielle Grundlage sind neue Ergebnisse zur Klärung der Entwicklungsstufen, Siedlungsdynamiken, Brüche und Verlagerungen der Siedlungstätigkeit zu erwarten.

Der Fokus der archäologischen und bauhistorischen Forschungen liegt auf den Dynamiken der Siedlungsgeschichte des antiken Gadara / Hara Foqa / Umm Qays.  Die laufenden Ausgrabungen sollen die Anfänge der Siedlungstätigkeit bis hin zur Neubesiedlung der Hügelkuppe am Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts herausarbeiten, um sie mit Entwicklungen in der Region zu vergleichen.  

UQ 2022. Ortophoto von Areal 61 mit eigezeichneten Schnitten. © DAI // Doris Schäffler, Claudia Bührig, Christian Hartl-Reiter
Kanne, scheibengedreht, lokal?, byzantinisch © DAI // Heike Möller
Gadara. Ost-West-Achse © DAI // Claudia Bührig
Panoramaphoto über Gadara © DAI // Claudia Bührig
Die Stadt von Nordwesten © DAI // Claudia Bührig
Das Tonnengewölbe des Hypogäums © DAI // Claudia Bührig
Topographische Karte, Grabungsareal 61 eingezeichnet © DAI // Claudia Bührig, Doris Schäffler, Christian Hartl-Reiter