Ergebnisse
1. Die Siedlung: Wohnhäuser, Tempel und das Kastell
Die magnetische Prospektion am insgesamt etwa 20 Hektar großen Kom el-Gir erbrachte den Grundriss einer orthogonal angelegten Siedlung, die durch ein nordwestlich-südöstlich orientiertes Raster charakterisiert ist. Zentrale Straßen und monumentale Bauten richten sich daran aus, während einzelne kleinere Straßen und Gebäude davon leicht bis deutlich abweichen. Eine dichte Bebauung durch Wohnhäuser charakterisiert den Westen und Süden des bisher untersuchten Gebiets, wobei sich die Grundrisse zahlreicher Gebäude als sog. Turmhäuser erkennen lassen. Dabei handelt es sich um mehrstöckige, aus ungebrannten Lehmziegeln errichtete Bauten mit einem quadratischen oder leicht länglich rechteckigen Grundriss. Im Nordosten wird die dichte Bebauung durch ein monumentales rechtwinkeliges Mauergeviert von 125 x ca. 189 m, von den Außenkanten gemessen, unterbrochen. Die Mauern, aus ungebrannten Schlammziegeln errichtet, sind etwa 4,3 bis 4,7 m dick. Bohrungen zeigten, dass die Mauern an den beprobten Stellen bis zu mehreren Metern hoch erhalten sind. Die Ausmaße, Gestalt und Mauerstärke sprechen für eine Deutung als Tempelumfassungsmauer. Das Innere des Gevierts ist stark gestört, und es lassen sich daher noch keine Aussagen über die darin befindliche Bebauung treffen. Direkt an dieses Geviert grenzt eine weitere monumentale Struktur, die sich durch ihre Ausstattung mit Ecktürmen und Bastionen als spätrömisches Kastell ausweist. Die aus ungebrannten Lehmziegeln errichtete Anlage misst in ihrem Inneren ca. 150 x 90 m. Teile des südwestlichen Eckturms, die angrenzende Außenmauer und ein kleiner Ausschnitt des Inneren des Kastells konnten 2019 durch Testschnitte verifiziert werden. Es handelt sich um den ersten archäologischen Nachweis eines römischen Kastells aus dem Inneren des Deltas. Die nach außen ragenden Türme und das Fehlen gerundeter Ecken sprechen für eine Errichtung ab der 2. Hälfte des 3. Jhs. n. Chr. Nach Aufgabe des Kastells wurde das Areal außerhalb der Anlage mit Siedlungsabfall aufgeschüttet. Dieser Abfall bestand vor allem aus Keramik, Tierknochen, und einigen metallenen Resten. Die Keramik, die von Heike Möller untersucht wurde und von ihr publiziert werden wird, datiert vorwiegend in die ptolemäische und römische Zeit, also vom späten 4. Jh. v. Chr. bis zum 3. Jh. n. Chr. Es handelt sich also nicht um Abfall der Nutzungsphasen des spätrömischen Kastells, sondern um älteren Siedlungsmüll, der hier umgelagert wurde. Neben einem erheblichen Anteil an Gebrauchskeramik wie Back- und Kochgeschirr fanden sich auch sehr große Mengen an ägyptischen Niltonamphoren. Vermutlich wurde diese Ware lokal hergestellt. Zu den späten Formen zählen Fragmente von Amphoren der Typen Late Roman 1, Amphores Egyptiennes 5/6 und Schalen mit weißen Bändern. Die jüngsten Funde datieren in das 6. Jh. n. Chr. In diese Verfüllung schneiden die Fundamente eines Gebäudes ein, das vermutlich noch in spätrömischer Zeit errichtet wurde.
2. Rekonstruktion der antiken Landschaft um den Kom el-Gir
Der heute von landwirtschaftlich intensiv genutzten Feldern umgebene Siedlungshügel lässt nichts von der Gestalt der antiken Landschaft erahnen. Durch die Auswertung des digitalen Höhenmodells des TanDEM-X–Satellitenpaars konnte ein antiker Uferwall nachgewiesen werden, der den Verlauf eines ehemaligen Nilarms markiert, an den der Ort angebunden war. Dieser Nilarm verläuft südlich des Kom el-Gir in etwa nordsüdlicher Richtung, umfließt den Ort im Osten und Nordosten, um dann zum etwa 1 km nördlich gelegenen Kom el-Dab’a Shaba weiterzuführen. Nördlich des Kom el-Dab’a Shaba teilt sich der Arm in drei kleinere Arme, die wiederum 12 km weiter nördlich teilweise wieder zusammenlaufen. Durch Bohrungen unmittelbar um den Kom el-Gir und weiter im Norden konnten diese ehemaligen Flussläufe bestätigt werden. Zur genaueren Erfassung der Lage und Breite des ehemaligen Nilarms kam nördlich und östlich des Kom el-Gir auch elektrische Widerstandsmessung zum Einsatz. Die so verifizierte Wasserstraße war Teil eines Systems fein verästelter kleinerer Nilarme, die sich wohl erst im späteren 1. Jt. v. Chr. im nordwestlichen Nildelta herausbildeten. Diese Flussarme stellten eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Besiedlung der Region auf breiter Basis dar. Eine noch zu klärende Frage ist, in welchem Ausmaß menschliche Interventionen die Bildung dieses Wassernetzes bewirkte. Die strategisch günstige Lage des Kom el-Gir unmittelbar südlich einer Dreiteilung der Nilarme mag ein Grund für die Errichtung des Kastells an diesem Ort gespielt haben.
Publikationen (exkl. e-Forschungsberichte):
R. SCHIESTL und T. HERBICH, Kom el-Gir in the western Delta, Egyptian Archaeology 42, 2013, 28-29.
A. GINAU, R. SCHIESTL und J. WUNDERLICH, Integrative geoarchaeological research on settlement patterns in the dynamic landscape of the northwestern Nile delta, Quaternary International 511, 2019, 51-67.
(Stand: 08/2020)
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