Kom el-Gir – eine ptolemäisch-römische Siedlung im Nildelta

Blick über den Kom el-Gir nach Nordwesten. © DAI Kairo // R. Schiestl

Raum & Zeit

Die Gründung der Siedlung des Kom el-Gir erfolgte, nach momentanem Wissensstand, in ptolemäischer Zeit (4. Jh.–1. Jh. v. Chr.). Diese Datierung basiert auf Keramikfunden an der Oberfläche und aus Bohrkernen. Es ist durchaus denkbar, dass sich die Siedlung bei näherer archäologischer Untersuchung als älter erweisen könnte. Nur 4 km südwestlich liegt mit Buto (Tell el-Fara’in) ein Ort, der seit dem 5. Jh. v. Chr. besiedelt ist. Die bisherigen Ergebnisse des regionalen Siedlungs-Surveys, die für eine Besiedlung der Region auf breiter Basis erst ab ptolemäischer Zeit sprechen, fußen vorwiegend auf Oberflächenfunden und einzelnen Bohrungen. Da Oberflächenfunde spätere Siedlungsphasen bevorzugen und Bohrungen nur winzige Ausschnitte repräsentieren, kann die Frage, ob der Kom el-Gir auch eine vorptolemäische Geschichte hat, nur mithilfe archäologischer Grabungen geklärt werden. Textquellen, wie z. B. die Satrapenstele (311 v. Chr.) beschreiben eine vorptolemäische Landschaft in der Region Butos, die keineswegs unbesiedelt ist. Die Hypothese ist, dass die Region vor der ptolemäischen Zeit dünn besiedelt war. Der antike Name der Siedlung ist nicht bekannt. Texte auf Papyri sind aus dem Nildelta, aufgrund der hohen Bodenfeuchtigkeit, äußerst selten erhalten und auch die Funde anderer Schriftträger sind sehr spärlich. Es ist also an der Archäologie, hier andere Quellen zu erschließen. Die Siedlung des Kom el-Gir scheint in römischer und spätrömischer Zeit floriert zu haben. In diesen Phasen sind archäologisch zahlreiche Siedlungen in der Region nachgewiesen. Es ist davon auszugehen, dass staatliche bzw. imperiale Strategien der Motor der Siedlungsgründungen waren, um dadurch neue Regionen für die landwirtschaftliche Produktion zu erschließen. Woher die Bevölkerung kam, die diese neuen Orte bewohnte, ist nicht klar. Der Kom el-Gir, wie beinahe alle antiken Siedlungshügel dieser Region, weist keine aufragenden Monumente auf. An der Oberfläche finden sich große Mengen von Keramikscherben, einige Glasscherben und einzelne Reste von Steinartefakten, wie Mahlsteine. Die antiken Wohnhäuser wurden aus ungebrannten Lehmziegeln errichtet, die, der Witterung ausgesetzt, wieder zu Lehm zerfielen. Der Name Kom el-Gir („Kalksteinhügel“) verweist jedoch auf die ehemalige Existenz von steinerner Architektur, die sich nur mehr in Splittern an der Oberfläche und in den Bohrkernen manifestiert. Am wahrscheinlichsten ist es, dass es sich dabei um Reste der Blöcke einer Tempelanlange handelt. Weil im Delta Stein nicht natürlich ansteht, musste dieses Material eigens herangebracht werden. Nach Aufgabe der Siedlungen wurden die steinernen Monumentalbauten des Deltas häufig als Steinbrüche verwendet und abgebaut, was auch am Kom el-Gir zu vermuten ist. Im Rahmen der Prospektion wurde neben Wohnhäusern auch ein Tempelgeviert, in dem womöglich Kalksteinblöcke ursprünglich verbaut waren, entdeckt. Das im Inneren des ummauerten Gevierts errichtete Tempelgebäude ist jedoch auf der magnetischen Prospektion nicht zu fassen, da der Bereich durch eine große Störung gekennzeichnet ist. Diese am magnetischen Bild undeutliche Zone gibt möglicherweise die Reste des im Rahmen der Gewinnung der Blöcke zerstörten Tempelgebäudes wieder. An das Tempelgeviert grenzt unmittelbar ein spätrömisches Kastell an, das durch Testschnitte auch archäologisch nachgewiesen wurde. Die Mauerkronen der aus Lehmziegeln errichteten Anlage liegen nur wenige Zentimeter unter der Oberfläche.