Kom el-Gir – eine ptolemäisch-römische Siedlung im Nildelta

Blick über den Kom el-Gir nach Nordwesten. © DAI Kairo // R. Schiestl

Forschung

Die Prospektion der Siedlung erfolgte in einem ersten Schritt durch die Dokumentation der Oberfläche und Oberflächenfunden. In einem zweiten Schritt wurden Bohrungen mit einem Handbohrgerät durchgeführt. Dadurch konnte Aufschluss über die Dicke der Siedlungsschichten, den Untergrund, auf dem der Ort gegründet wurde, und über die Keramik aus den älteren Schichten der Siedlung erzielt werden. Nachdem Satellitenbilder schon erste Hinweise auf orthogonale Strukturen dicht unter der Oberfläche geliefert hatten, erfolgte anschließend eine Untersuchung durch magnetische Prospektion, wodurch ein Grundriss der Siedlung gewonnen wurde. Diese Ergebnisse wurden mit einem digitalen Höhenmodell der Oberfläche kombiniert. Dieses Verfahren erfolgte auf zwei Wege: zum einen, für das gesamte Siedlungsareal, durch das Messen mithilfe eines DGPS (Differential Global Positioning System), zum anderen, für ausgewählte Areale, mit dem SFM-Verfahren (Structure from Motion), bei dem große Mengen sich überlappender Digitalfotos zum einem digitalen Höhenmodell kombiniert werden. Auf dieser Grundlage ist über die Struktur der Siedlung schon einiges bekannt und archäologische Ausgrabungen können gezielt zum Einsatz gebracht werden. Nach ersten Testgrabungen im Bereich des Kastells sollen nun weitere Grabungen im Areal des Kastells, in einem Wohnhaus und im Bereich des Tempels erfolgen. Die Dokumentation der Grabungsbefunde erfolgt durch Structure from Motion und Orthofotografien, die anschließend digital umgezeichnet werden.

Die Erforschung der Siedlung in ihrem regionalen Kontext liefert grundlegende Daten zur Siedlungsgeschichte einer bisher kaum untersuchten Region. Die Landschaftsrekonstruktion widmet sich den Veränderungen der Umwelt – durch natürliche Prozesse wie auch durch menschlichen Einfluss. Das Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt war in der Antike, wie auch heute, in einer marginalen Zone wie dem küstennahen Norddelta besonders brisant. Es waren landschaftliche Rahmenbedingungen, die einerseits Siedlungsgründungen auf breiter Basis möglich machen, andererseits aber auch eine wesentliche Rolle spielten, wenn Siedlungen verlassen wurden. Die Erschließung neuer Lebensräume durch Siedlungsgründungen ist für historische und wirtschaftsgeschichtliche Diskussionen innerhalb der hellenistischen und römischen Geschichte von erheblicher Relevanz. Innerhalb Ägyptens trägt Kom el-Gir zum Verständnis der materiellen Kultur des Norddeltas bei, vor allem der Keramik. Diese ist bisher kaum bekannt, kann aber mit gut dokumentierten anderen Regionen Ägyptens verglichen werden. Dabei können Fragen der regionalen Eigenheiten und lokalen Produktionen, des überregionalen Handels, der Importbeziehungen und der Einbindung in das Römische Reich beleuchtet werden. Das spätrömische Kastell des Kom el-Gir ist der erste archäologische Nachweis eines Kastells aus dem Inneren des Deltas und ist damit für die Militärgeschichte Ägyptens von besonderer Bedeutung. Aber schon die Lage im Delta macht deutlich, dass hierbei nicht die Sicherung der Grenze gegenüber äußeren Feinden im Vordergrund steht, sondern die Rolle des Kastells in der Durchsetzung staatlicher Aufgaben gegenüber der ägyptischen Bevölkerung zu beleuchten ist. Damit werden grundlegende soziale Fragen des römischen und spätrömischen Ägyptens angesprochen.

  • Wann wurde die Siedlung gegründet und wann wurde sie aufgegeben?
  • Welche Anbindung bestand zwischen der Siedlung und dem angrenzenden Nilarm?
  • Wie veränderte sich die Siedlung im Laufe der Zeit?
  • Wie ...
wurde in der Siedlung gelebt und gearbeitet?
  • Was charakterisiert die materielle Kultur einer Siedlung dieser Region und worin unterscheidet sie sich von anderen Regionen Ägyptens?
  • Wann wurde das Kastell errichtet? Wurde dafür ein Teil der Siedlung planiert? 
  • Wie war der Tempel gestaltet und welche Gottheit wurde darin verehrt? 
  • Wurde der Tempel aufgegeben und das Areal vom Kastell übernommen? 
  • Welche landwirtschaftlichen Produkte wurden in der Region angebaut?
  • Das Nildelta ist im Vergleich zum Niltal immer noch deutlich schlechter untersucht. Im durchfeuchteten Erdreich sind organische Schriftträger wie Papyrus nur in Ausnahmefällen erhalten. Die deshalb weitestgehend textlose Region weist auch vergleichsweise wenige steinerne Monumente auf und ist durch schwierige archäologische Arbeitsbedingungen geprägt. Das trifft auf das nördliche Nildelta im Besonderen zu: diese Region stand lange gänzlich außerhalb des Forschungsinteresses. So liegen uns nur einzelne Berichte über Besuche in dieser Region aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jhs. vor. Thomas von der Way (DAI Kairo) erkundete den Fundplatz erstmals in den 1980er-Jahren durch Bohrungen und eine Feldbegehung. Die gegenwärtige Untersuchung stellt die erste systematische Erforschung der Siedlung dar.

    01_DAI_Kairo_KomElGir_2013_1_ergebnis.jpg
    Magnetischer Plan der Siedlung des Kom el-Gir, auf einem Satellitenbild (google earth). Magnetic plan of the settlement of Kom el-Gir placed on a satellite image (google earth). © DAI Kairo // R. Schiestl
    01_DAI_Kairo_KomElGir_20111105_forschung.JPG
    Magnetische Messungen am Kom el-Gir. Magnetic measurements at the Kom el-Gir © DAI Kairo // R. Schiestl
    01_DAI_Kairo_KomElGir_geschichte.jpg
    Der Kom el-Gir auf historischen Karten: oben, Ausschnitt aus Tafel 36 des Atlas der Description de l’Egypte, 1828, darunter, Karte, El-Falaki 1872/1911. The Kom el-Gir on historical maps: above, from Plate 36 of the atlas of the Description de l’Egypte, below, map, El-Falaki 1872/1911. © DAI Kairo // R. Schiestl
    02_DAI_Kairo_KomElGir_20160921_geschichte.JPG
    Blick auf die westliche Abbruchkante des Siedlungshügels des Kom el-Gir. Die umliegenden Felder werden sukzessive auf Kosten des antiken Tells vergrößert. View of the western edge of the settlement mound of Kom el-Gir. The surrounding fields have been successively expanded at the expense of the ancient tell. © DAI Kairo // R. Schiestl
    02_DAI_Kairo_KomElGir_20190415_1_ergebnis.JPG
    Testschnitt im Bereich des spätrömischen Kastells am Kom el-Gir. Ausschnitt des südwestlichen Eckturms des Kastells. Test excavation in the area of the Late Roman fort at Kom el-Gir. Section of the castellum’s south-western tower. © DAI Kairo // R. Schiestl
    02_DAI_Kairo_KomElGir_Bohrung KG 53_forschung.JPG
    Bohrungen am Kom el-Gir im Bereich des spätrömischen Kastells. Drillings at the Kom el-Gir in the area of the Late Roman fort © DAI Kairo // R. Schiestl
    03_DAI_Kairo_KomElGir_2012613_ergebnis.jpg
    Kom el-Gir, Oberflächenfund einer spätrömische Amphore mit plastisch applizierten Augen. Kom el-Gir, surface find of a Late Roman amphora with plastically applied eyes. © DAI Kairo // R. Schiestl
    03_DAI_Kairo_KomElGir_20181002_geschichte.JPG
    Ansicht des Kom el-Gir von Feldern im Westen. Der Hügel erhebt sich wenige Meter über die umliegenden Felder. View of the Kom el-Gir from the fields to the west. The mound rises only a few metres above the surrounding fields. © DAI Kairo // R. Schiestl
    04_DAI_Kairo_KomElGir_20190416_1_ergebnis.JPG
    Kom el-Gir, Fayenceamulett des Gottes Bes aus Verfüllung mit Siedlungsabfall der hellenistisch-spätrömischen Zeit (4.Jhd.v.-6.Jhd.n.Chr.). Kom el-Gir, faience amulet of the god Bes from fill with settlement refuse of the Ptolemaic–Late Roman period (4th century BCE to 6th century CE). © DAI Kairo // H. Möller
    05_DAI_Kairo_KomElGir_20190413_ergebnis.JPG
    Kom el-Gir, Glasscherbe, ptolemäisch (4.-1. Jhd.v.Chr.), aus Verfüllung mit Siedlungsabfall der hellenistisch-spätrömischen Zeit. Kom el-Gir, glass shard, Ptolemaic (4th to 1st centuries BCE), from fill with settlement refuse of the Ptolemaic–Late Roman period. © DAI Kairo // H. Möller