Elephantine | Lebenswirklichkeiten

Die Überreste der Siedlung von Elephantine liegen an der Südspitze der Insel Gezirat Aswan am Nordende des ersten Nilkatarakts. In der Bildmitte befindet sich der Siedlungshügel mit den Tempelanlagen, nach Norden schließt sich das nubische Dorf Koti an. © DAI Kairo // A. Hassan

Raum & Zeit

Abriss über die Siedlungsgeschichte auf Elephantine

Seit etwa 3300 v. Chr. kann auf der Insel Elephantine (heute 'Gezirat Aswan') am Nordende des ersten Nilkatarakts eine kontinuierliche Siedlungstätigkeit nachgewiesen werden. Ausgehend von der frühen Besiedlungsstruktur konzentrierten sich kultische und administrative Bauten der Stadt auf dem östlichen der zwei Granitrücken, die das Fundermet der Insel bilden. Im Westen sind über den Bestattungsanlagen der frühen Stadt überlagernde Sequenzen von vorwiegend als Wohnbauten interpretierten Lehmziegelstrukturen feststellbar. Sie werden durchzogen von schmalen Gassen, die ganz ähnlich wie diejenigen des im Norden der archäologischen Zone anschließenden modernen Dorfes Koti erscheinen. Das altägyptische Wohnviertel entstand nach stratigraphischen Befunden und der Auswertung der Keramik zu urteilen etwa in der 11. Dynastie (ab ca. 2000 v. Chr.). In den Bauten wohnte wahrscheinlich die nicht elitäre Bevölkerung der Inselstadt. Je nach politischer Situation war das gesamte Siedlungsgebiet inklusive der kultischen und administrativen Strukturen durch Stadtmauern befestigt, die für die Inselbewohner einerseits Schutz, andererseits aber auch Einschränkungen des Zugangs zum Nil bedeuten konnten. Im Nordwesten des historischen Siedlungsgebiets lag eine saisonal landwirtschaftlich nutzbare Schwemmlandzunge. Das seither zusätzlich angeschwemmte Land zwischen den modernen Dörfern Koti und Siou wird heute in gleicher Weise genutzt. In alter Zeit konnten so auf der Insel in eingeschränktem Maß Nutzpflanzen angebaut und Haustiere gehalten werden. Aus der späteren Zeit der Besiedlung der Insel sind Wohnbauten noch bis in das 1. Jt. n. Chr. eindeutig nachweisbar, doch die Stadt scheint merklich an Bedeutung zu verlieren. Nach derzeitigem Kenntnisstand klang die Besiedlung der Hauptinselrücken im 10./11. Jh. n. Chr. aus. Arabisch beschriebene Ostraka lassen annehmen, dass weiterhin einzelne Bauten, eventuell Lagergebäude und Wohnhäuser, auf der Insel existierten. Von diesen ist jedoch archäologisch sonst nichts erhalten. Heute setzt das Dorf Koti die Besiedlung der Insel fort – mit großer äußerlicher Ähnlichkeit in Baumaterial und Wegeführung zu den archäologischen Resten der pharaonischen Stadt. Der Bereich des Dorfes Siou sowie die modern von Menschenhand aufgeschüttete Erweiterung für einen großen Hotelkomplex im Norden der archäologischen Zone sind als jüngste Additionen zur Geschichte Elephantines zu verstehen.

Räumlicher und zeitlicher Fokus des Projekts 'Lebenswirklichkeiten'

Seit Beginn der Arbeiten auf Elephantine im Jahr 1969 wurden vom DAI diverse Untersuchungen zu Wohnbauten, darunter auch so denen des Mittleren Reichs (ca. 1980–1760 v. Chr.), auf der Insel Elephantine angestellt. Seit Ende 2013 liegt der Fokus der archäologischen Arbeiten des DAI auf Elephantine im Rahmen des Teilprojekts 'Lebenswirklichkeiten' auf kulturanthropologischen Fragestellungen und einer Rekonstruktion der täglichen Lebensrealität in dieser Zeitphase. Siedlungen und der Alltag ihrer Bewohner aus dem Mittleren Reich sind bisher in ganz Ägypten nur eingeschränkt erforscht und daher von besonderem Interesse für die Wissenschaft. Das Fokusgebiet des Projekts 'Lebenswirklichkeiten' liegt südöstlich der kleinen Steinpyramide des Alten Reichs, an der westlichen Grenze der Bebbauung des Mittleren Reichs. Dieser Bereich wurde vom DAI bisher nicht eingehender untersucht, liegt für archäologische Arbeit gut zugänglich, aber außerhalb der für den Publikumsverkehr erreichbaren sowie durch Aufmauerungen kenntlich gemachten Flächen. Direkt an der Oberfläche anstehend sind Schichten des Mittleren Reichs, die nun mit aktuellen archäologischen und naturwissenschaftlichen Methoden erforscht werden. In zwei 10 x 10 m messenden Schnitten, die parallel zu den oberflächlich sichtbaren Architekturresten angelegt wurden, kamen Siedlungsreste der 6. bis späten 13. Dynastie zum Vorschein. Aufgrund der modern ungestörten Erhaltung der stratigrafischen Schichten im südwestlichen der beiden Schnitte liegt das Augenmerk der Forschungsarbeit auf dem dort entdeckten Haus 169 (bewohnt von Ende der 12. bis Ende der 13. Dynastie, ca. 1850–1650 v. Chr.). Dieses Gebäude und sein archäologisches Inventar werden als Exempel für die angestrebten Ziele des Projekts herangezogen. Die Ergebnisse werden danach mit den Befunden und Funden der gestörten nordöstlich anstehenden Bauten verglichen und durch dort gewonnene Informationen ergänzt. Zusammenfassend konzentriert sich das Projekt 'Lebenswirklichkeiten' auf die Beantwortung verschiedener Fragen zum täglichen Leben der Bewohner*innen des Hauses 169 (und seiner Umgebung) um die Zeit der 13. Dynastie auf Elephantine.