Elephantine | Lebenswirklichkeiten

Die Überreste der Siedlung von Elephantine liegen an der Südspitze der Insel Gezirat Aswan am Nordende des ersten Nilkatarakts. In der Bildmitte befindet sich der Siedlungshügel mit den Tempelanlagen, nach Norden schließt sich das nubische Dorf Koti an. © DAI Kairo // A. Hassan

Forschung

Das wissenschaftliche Ziel des Projekts 'Lebenswirklichkeiten' ist es, die Erkenntnisse aus früheren Bearbeitungen von Wohnbauten auf Elephantine zu verfeinern (und ggf. zu korrigieren) und dabei mehr über die Menschen und die Wirklichkeit des alltäglichen Lebens hinter den Architekturresten und Funden herauszufinden. Für die Erforschung des Alltagslebens liegt der Fokus auf drei Aspekten (s. Sigl in: Seidlmayer et al. 2016, 2–6 und in: Sigl et al. 2018, 161–165): 1) Ernährung, 2) weitere (produktive) Aktivitäten und 3) Lebensumfeld. Zu diesem wissenschaftlichen Ziel gesellt sich eine methodische Zielsetzung. Im Rahmen des Projekts werden umfangreiche naturwissenschaftliche Untersuchungsmethoden in die reguläre archäologische Arbeit integriert. Damit im Zusammenhang stehen Neudefinitionen für Ausgrabungs-, Fundbearbeitungs-, Probennahme-, Lagerungs- und Verarbeitungsstrategien, die auf die jeweiligen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Anwendung der Methoden vor Grabungsbeginn bereits abgestimmt werden müssen. Höchstes Gebot ist die Vermeidung von moderner oder nicht rückverfolgbarer Kontaminierung der Funde und Proben (z. B. durch Sonnencreme und Bleistiftreste). Gleichzeitig unterliegt dieses Ziel den größten Auflagen und Einschränkungen durch technische Verfügbarkeiten in Ägypten wie auch durch die Vorgaben der alle archäologischen Projekte beaufsichtigenden ägyptischen Behörden. Im Rahmen des Lebenswirklichkeitenprojekts soll demnach – auf Nachhaltigkeit bedacht, d. h. auch nach Ende des Teilprojekts bzw. nicht nur für das DAI nutzbar – ein Netzwerk von geeigneten Laboren ausgekundschaftet, die Verständigung mit den entsprechenden offiziellen Stellen ausgebaut, ggf. Equipment für die Arbeit im Feld wie auch im Labor angeschafft und Methoden sowie Arbeitsprotokolle an lokale Kolleg*innen weitergegeben werden. Das Projekt Lebenswirklichkeiten gliedert sich in drei Hauptaktivitätsphasen: Ausgrabungsarbeiten, Analyseprozesse und Interpretation. Die Ausgrabungen fanden von Herbst 2013 bis Herbst 2018 statt. Seit Herbst 2018 konzentrieren wir uns auf Fundbestimmungen, Analyse- bzw. Laborarbeiten und Interpretation.

Grundlagen der Feldarbeit

Die Grundlagen der grabungstechnischen und naturwissenschaftlichen Arbeiten im Feld wurden vom 30.11. bis 4.12.2014 im Rahmen eines Workshops („Reality of Life – A synthesis of archaeology and natural sciences“) in enger Zusammenarbeit mit den verschiedenen für das Projekt gewonnen Wissenschaftler*innen gelegt. Als Ergebnis dieses Treffens wurden die Ausgrabungs- und Fundbearbeitungsmethoden des Projekts deutlich umgestellt. Bei Ausgrabung, Bergung und Lagerung von Funden wird nun auf ein Maximum an Kontaminationsfreiheit geachtet: Puderfreie Handschuhe werden bei der Erstsortierung der Funde getragen; der Mund-Nasen-Schutz dient nicht nur der Gesundheit des wissenschaftlichen Personals und der Arbeiter (insbesondere wegen des massiven Staubaufkommens), sondern verhindert auch die versehentliche Verunreinigung der Fundstücke; Arbeitstische für Keramik werden nur mit Plastiküberzug genutzt, um zu vermeiden, dass Kreidereste früherer Arbeiten auf die Scherben übertragen werden; Alufolie wird als Verpackungsmaterial für die Fundstücke genutzt, die zur Untersuchung mittels Gaschromatografie-Massenspektroskopie (GC-MS) vorgesehen sind; die Reinhaltung des Arbeitsgeräts (auch mittels Ultraschallbad) für die Probennahme sichert, dass das Material bei der Probennahme nicht vermischt wird. Zudem wurde die Entnahme ausreichender Mengen an Sedimentproben für etwa makrobotanische (mind. 10 Liter wegen Flotierungsarbeiten), entomologische (3 Liter) und Phytolituntersuchungen (ca. 50 Gramm) angepasst. Aufgrund von Platzmangel in den Lagerräumen wurde eine sofortige Weiterverarbeitung durch Nass- und Trockensiebung für die größeren Sedimentmengen mit den zum Team gehörigen Arbeitskräften eingeübt.

Archäologische und naturwissenschaftliche Methoden

Als Grundlage für alle archäometrisch-naturwissenschaftlichen Analysen werden für das gesamte Ausgrabungsmaterial Standardverfahren der Fundbearbeitung angewendet. Die Untersuchung von Befunden, architektonischen Resten und Kleinfunden im Allgemeinen, aber besonders die Magazinierung und Datenbankführung geschieht mit Unterstützung von Studierenden aus Ägypten, Brasilien, Deutschland, Spanien und den USA. Fundgruppen wie z. B. Gefäßverschlüsse, Feuersteinobjekte, Steinwerkzeuge und Siegelabdrücke, Ostraka- sowie Papyrusfragmente werden nach dem ersten Sortieren gezielt von Spezialist*innen untersucht. Treffen während der Arbeit vor Ort und im Rahmen von (virtuellen) Workshops stellen den Informations- und Datenaustausch in der gesamten Projektgruppe sicher und unterstützen so den interdisziplinären Ansatz bei der Interpretation des Materials und der Beantwortung der Forschungsfragen. Ergänzend zur Bearbeitung von Funden und Proben sind Versuche in Arbeit, die z.B. Aufschluss über das Verhalten von Rohmaterialien und Objekten in ihrer Nutzung geben sollen. Bisher wurden Proben von Rohmaterial, Insektenreste und Pigmente mittels des DAI-eigenen Polarisationsmikroskop im Magazin der Grabung vor Ort und im Labor des Institut français d'archéologie orientale (IFAO) in Kairo untersucht. Röntgenbeugungsanalyse (XRD) und Fourier-Transform-Infrarotspektroskopie (FTIR) sind an ausgewählten Beispielen von diesen im Labor des Centre for Research and Conservation (CRC) des Tourismus- und Antikenministeriums in Kairo durchgeführt worden, um die Herkunft des Rohmaterials und die Produktionstechnologie der Pigmente zu bestimmen. Eine erste Auswertung von Metallfunden wurde mit einem tragbaren Röntgenfluoreszenzgerät (pXRF) in den Lagerräumen vor Ort im Frühjahr 2016 durchgeführt. Die Studie wird seit Frühjahr 2021 vor Ort und auch im Labor des IFAO in Kairo mithilfe optischer metallographischer Mikroskopie sowie an einzelnen Funden mittels Scanning Electron Mikrodkopie (SEM) und Energy Dispersive Spectroscopy (EDS) am Desert Research Center in Kairo fortgesetzt. Dünnschliffe von Streu- und Blockproben für Mikromorphologische Untersuchungen wurden im Labor der geologischen Abteilung der wissenschaftlichen Fakultät der Universität Assuan vorbereitet. Erste Schliffe wurden im Rahmen des von 2019 bis 2021 von der DFG-geförderten Projekts „Alltag in der antiken Stadt Elephantine, Süd-Ägypten – Mikroanalytische Erforschung von Archäosedimenten“ (Projekt Nr. 421874393) untersucht. Aufgrund Veränderung der beruflichen Perspektive der Antragsstellerin stehen die Proben für weitere Analysen noch offen. Die makroskopische Untersuchung von Keramik wird durch petrografische Analysen unterstützt, die am IFAO durchgeführt werden. Die Rückstandsanalyse an Keramikproben konnte aufgrund ägyptischer Regulationen bisher noch nicht durchgeführt werden. Neben der Untersuchung botanischer Makroüberreste und zur Unterstützung bestimmter Fragen der sedimentologischen Analyse und Steinwerkzeuganalyse wurden vor Ort Phytolitenproben aus den Befunden und von den Oberflächen sowie aus den Poren der Objekte entnommen. Sie wurden im Labor des Grand Egyptian Museum (GEM) in Kairo aufbereitet und befinden sich derzeit in Untersuchung. Organische Rückstände und Gebrauchsspuren an Werkzeugen aus Stein (und anderen Materialien) werden im Magazin von Elephantine vor Ort mittels Stereo- und Polarisationsmikroskopie untersucht. Holzkohlefragmente werden mittel mikroskopischer Betrachtung am IFAO Kairo identifiziert werden. Darüber hinaus wird ein Stereomikroskop am Ausgrabungsort zur makroskopischen Identifizierung von Tierresten und zur Bestimmung von Rohmaterialien und Arbeitsspuren an Kleinfunden eingesetzt. Das Polarisationsmikroskop des DAI ermöglicht die ersten entomologischen Studien, die auf der Insel durchgeführt wurden. Über Silikonabdrücke und minimalster Rückstandsprobennahme werden Gebrauchsspuren an Steinwerkzeugen untersucht. Auch hier geschieht die Analyse in Zusammenarbeit mit dem IFAO in Kairo.

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Kochversuche mit moderner unglasierter Keramik auf Brennmaterialien nach Ausgrabungsfunden zur Analyse von Verrußung und damit Nutzungsarten der Keramik. © DAI Kairo // P. Kopp
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Karneolsplitter aus dem Ausgrabungsschutt zeigen Perlenproduktion aus dem Halbedelstein an. © DAI Kairo // P. Kopp
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Ausgrabungsarbeiten mit Handschuhen zur Vermeidung von Kontamination der Funde. © DAI Kairo // P. Kopp
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Sieben des Erdmaterials bei Ausgrabungsarbeiten im Rahmen des Lebenswirklichkeitsprojekts im Bereich der Wohnviertel des Mittleren Reichs. © DAI Kairo // P. Kopp
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Erste Keramiksortierung mit Handschuhen, um Kontaminierung späterer naturwissenschaftlicher Proben aus der Keramik zu vermeiden. © DAI Kairo // P. Kopp
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Schematische Darstellung des methodischen Ansatzes des Lebenwirklichkeitsprojekts. © DAI Kairo // J. Sigl
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Perlen aus Straußeneischalen in unterschiedlichen Fertigungsstadien aus Haus 169. © DAI Kairo // P. Kopp
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Geschmolzene Phytolite aus der Feuerstelle in Raum 07 in Haus 169 weisen auf das Erreichen extrem hoher Feuerungstemperaturen hin. © DAI Kairo // D. Fritzsch
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Wohnbereich im Westen der pharaonischen Stadt mit der Kultpyramide und den Resten des Friedhofs des alten Reichs im rechten Bildteil: Schnitte des Realities of Life Projekt angezeichnet (Norden = rechte, untere Bildecke). © DAI Kairo // A. Hassan
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Historisches Siedlungsgebiet von Elephantine mit Lage der Ausgrabungsschnitte des Lebenswirklichkeitsprojekts und geographischen Besonderheiten der Inselstadt (nach Ziermann 1993 und von Pilgrim 2010). © DAI Kairo // A. Hassan (photo), J. Sigl (details)