Die Domitilla-Katakombe in Rom

Forschung

Die über 400 Jahre andauernde Forschungsgeschichte zu den römischen Katakomben haben gewisse traditionelle Fragestellungen insbesondere im Zusammenhang mit der Bedeutung von Inschriften und Bildern für theologische Aussagen zum frühen Christentum privilegiert, während die Monumente in ihrem umfassenden Potential als archäologische Monumente noch wenig erschlossen wurden. Im Projekt wird der Versuch gemacht, sich den Katakomben mit heutigen Augen zu nähern, so als wären sie gerade erst gefunden worden und würden erstmals erforscht.

Auf der Grundlage einer im Rahmen eines START-Projektes an der ÖAW erstellten digitalen Dokumentation der Domitilla-Katakombe stehen erstmals großräumig 3D-Daten zur Verfügung, die umfassende Analysen zur topographisch-chronologischen Entwicklung, zur Grabtypologie, zu Grabverteilung und Grabstatistik sowie zu einer Verbindung von ikonographischen und epigraphischen Studien zulassen. Die so erschlossenen Daten sollen helfen, die Nekropole in ihrer dynamischen Entwicklung und Ausdehnung zu fassen, Etappen der Veränderung chronologisch und nach ihrem Charakter klarer zu bestimmen und sie im Hinblick auf komplexe sozialhistorische Aussagen zu den hier Bestatteten nutzbar zu machen.

Als typisch römische Monumente finden die Katakomben ab dem 3. Jh. Parallelen in ähnlich strukturierten christlichen Gemeinschaftszömeterium in Italien selbst, aber auch etwa in Spanien, Nordafrika oder Kleinasien. Im Rahmen des Forschungsprojektes sollen Gemeinsamkeiten und lokale Ausprägungen des frühchristlichen Bestattungswesens herausgearbeitet werden. Das Ziel ist es, unter Berücksichtigung regionaler Eigenheiten nach Gemeinsamkeiten und Prioritäten im christlichen Bestattungswesen zu suchen und das Verhältnis zu traditionellen Bestattungsformen zu bestimmen. Oftmals hängt die Entwicklung eines frühchristlichen Friedhofs auch von der Präsenz von Märtyrerbestattungen ab, die in der Folge besondere Verehrung genossen und zur Errichtung von Memorialbauten und zur Entstehung von Pilgerzentren führten. Auch diese Dynamik soll für die Domitilla-Katakombe sowie für die Vergleichsbeispiele berücksichtigt werden.

Diese Projektarbeit ist Teil eines weiter gefassten Forschungsschwerpunktes am DAI Rom, der sich kollektiven Bestattungen von der späten Republik bis in die Spätantike hinein widmet (vgl. Th. Fröhlich, R. Bockmann).

Die römischen Katakomben traten, nachdem sie im Mittelalter weitgehend in Vergessenheit geraten waren, seit dem 15. Jh. wieder ins Bewusstsein der Zeitgenossen und standen spätestens seit Antonio Bosios epochalem Werk "La Roma Sotteranea" von 1632 im wechselnden Interesse der Forschung, die lange von konfessionellen Kontroversen geprägt war. Die Domitilla-Katakombe galt bis zur Entdeckung der halb unterirdischen Basilika der Märtyrer Nereus und Achilleus durch Giovanni Battista de Rossi im Jahr 1873 als Teil der unweit an der via Appia liegenden Anlage von S. Callisto. Etliche ihrer Malereien wurden bereits 1903 von Joseph Wilpert publiziert, ihre Inschriften 1956 von Angelo Silvagni und Antonio Ferrua im ICUR III vorgelegt. Zahlreiche Forschungen zu einzelnen Kernregionen legten u.a. Letizia Pani Ermini und bis zuletzt immer wieder Philippe Pergola vor (vgl. LTUR Suburbium II, Roma 2014, Domitillae coemeterium, S. 203-207). Von 2006-2014 entstand im Rahmen eines START-Projektes des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF eine digitale 3D-Dokumnetation der gesamten Katakombe, die als Grundlage der hier angestrebten Untersuchungen dient.

Eine Bauaufnahme mit 3D-Laserscanner bildet die Grundlage für eine möglichst umfassende Erforschung des komplexen Organismus der Nekropole. Bauhistorische, bau- und grabtypologische Analysen werden verbunden mit Untersuchungen zur Ikongraphie und Ikonologie der Grabmalereien und der Auswertung der Epigraphik. Für eine weitere sozialhistorische Auswertung spielen regionenweise Auswetungen von Grabstatistik und Grabverteilung vor dem Hintergrund der chronologischen Entwicklung eine tragende Rolle.

Als ein Beispiel sei die Kooperation mit der Epigraphic Data Base Bari genannt. In Zusammenarbeit mit Antonio E. Felle werden für die Domitilla-Katakombe erstmals alle in-situ-Inschriften in ihrem Kontext betrachtet und durch Verlinkung im digitalen Katakombenplan interaktiv erschlossen. Auf dieser Datenbasis werden die Grabinschriften kontextuell ausgewertet als Bestandteil der Grabfürsorge in Bezug auf Aussagen über die Familien der Bestatteten, ihr Leben und ihren Glauben sowie den Umgang mit Tod und Sterben.

Die traditionellen Methoden der Katakombenforschung sollen um moderne Analyse- und Betrachtungsweisen ergänzt werden, um bislang noch nicht wahrgenommenes oder dokumentierbares Aussagepotential interdisziplinär zu erschliessen.