Felsinschriften und Felsbilder der Region von Assuan

Die Inschrift des Iyi-seneb beginnt mit einer sog. Opferformel, einer Bitte um die Gewährung gewisser Gnaden, welche an Osiris und die Götter der Katarakttriade (Chnum, Satet und Anuket) gerichtet war. Im unteren Teil des Tableaus sind in zwei Registern Iyi-seneb selbst und zehn seiner Familienangehörigen abgebildet sowie mit Namensbeischriften versehen. © DAI Kairo // Linda Borrmann

Forschung

Forschungsgeschichte

Das Interesse der Wissenschaftler erregten die Felsinschriften der Region Assuan erstmals Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Königlich Preußische Expedition (1842-1845) unter der Leitung von Carl Richard Lepsius auch einige Wochen am Ersten Katarakt Halt machte, um die dortigen pharaonischen Denkmäler zu dokumentieren. Dabei fand neben den architektonischen Hinterlassenschaften auf der Insel Elephantine, den Tempelbauten Philaes und den Gaufürstengräbern der Qubbet el-Hawa unter anderem auch eine kleine Selektion von Felsinschriften Eingang in das bald darauf veröffentlichte 12-bändige Tafelwerk Denkmaeler aus Aegypten und Aethiopien (1849-1859). Dennoch sollte es noch weitere 40 Jahre dauern, bis das Gebiet an Ägyptens Südgrenze einem ersten epigraphischen Survey unterzogen wurde. Zwar verbrachten Sir W. M. Flinders Petrie und Francis Llewellyn Griffith im Jahr 1887 lediglich wenige Tage an Ort und Stelle, doch gelang es ihnen, zu insgesamt 356 Texten Abschriften anzufertigen und diese bereits 1888 in einer Publikation (A Season in Egypt) vorzulegen. Nur sechs Jahre später erschien das bis heute umfassendste Kompendium zu diesem Thema: der erste Band von Jacques de Morgans Catalogue des Monuments et Inscriptions de l’Égypte Antique. Seitdem sind - abgesehen von einem Sammelwerk zu den rund 550 Texten der Nilinsel Sehel (A. Gasse und V. Rondot, Les inscriptions de Séhel, 2008) - in der Folge vor allem Einzelstudien zu Inschriften oder kleineren Inschriftengruppen erschienen. In diesem Zusammenhang hervorzuheben ist sicherlich das Verdienst Labib Habachis, der sich bis zu seinem Tod 1984 intensiv der historisch-archäologischen Erforschung des Kataraktgebietes und insbesondere der darin beheimateten Felsinschriften gewidmet hatte.

Bereits 1908 wurden auch schon Felsbilder auf dem westlichen Ufer bei Assuan erwähnt. Der deutsche Chemiker und Pionier der Farbphotographie, Adolf Miethe, hatte nach einer Reise in das Gebiet von Assuan die ersten Farbphotographien eines Felsblockes mit Felsbildern veröffentlicht und seine Beobachtungen vor Ort festgehalten ("Unter der Sonne Oberägyptens: Neben den Pfaden der Wissenschaft"). Sich auf diese Photographien stützend, war Georg Schweinfurth der nächste, welcher den Bildern seine Aufmerksamkeit widmete und die Kenntnis von ihnen durch seine eigenen Forschungen vor Ort verifizierte und erweiterte. Im Zuge einer Betrachtung verschiedener Felsbildergruppen im Raum Assuan beschrieb er auch einige Bilder am Eingang des Wadis Berber und unterzog sie einer ersten chronologischen Klassifizierung, welche er für die Bilder des Gebietes Assuan aufstellte. Seine Erkenntnisse veröffentlichte er 1912 in seinem Artikel "Über alte Tierbilder und Felsinschriften bei Assuan". Seit Ende der 1980er Jahre ist die Abteilung Kairo des Deutschen Archäologischen Instituts zusätzlich zu der von ihr durchgeführten Stadtgrabung auf Elephantine auch epigraphisch in der Region tätig gewesen. Unter der Leitung Stephan J. Seidlmayers und mit zeitweiser Unterstützung durch die DFG sind im Verlauf dieser Tätigkeit vor allem die zahlreichen Inschriften auf und im direkten Umkreis der Insel aufgenommen worden. Vor dem Hintergrund der modernen Expansion der Großstadt Assuan und der massiv voranschreitenden Bebauung freier Areale war es allerdings 2010 an der Zeit, für die so begonnene Arbeit einen neuen strukturellen Rahmen zu schaffen. Demgemäß wurde das Unternehmen nicht nur personell aufgestockt, sondern auch ein Kooperationsvertrag mit dem ägyptischen Antikenministerium (MSA) aufgesetzt. Grundgedanke dieses partnerschaftlichen Projektes ist es, am lokalen Inspektorat des MSA in Assuan ein Kompetenzzentrum für die Epigraphik der pharaonischen Felsinschriften aufzubauen und auf diese Weise die möglichst vollständige Dokumentation vor allem gefährdeter Plätze zu gewährleisten.

Forschungsziele

Primäres Ziel des Projektes ist es, in enger Zusammenarbeit mit dem lokalen Inspektorat des ägyptischen Antikenministeriums, die pharaonischen Felsinschriften und Felsbilder der Region Assuan epigraphisch und archäologisch zu dokumentieren, zu kartieren und das in diesem Zusammenhang gesammelte Material in naher Zukunft in einer georeferenzierten Bild- und Textdatenbank im Internet zu veröffentlichen. 

Denn obwohl in den letzten 150 Jahren bereits rund tausend Inschriften des Ersten Kataraktes erfasst und publiziert worden sind, harren noch immer mehr als doppelt so viele Texte ihrer Entdeckung und Entzifferung. Eingedenk dessen ist der ausführliche epigraphische Survey wichtiger Bestandteil einer jeden Feldkampagne und der erste Arbeitsschritt bei der Identifizierung eines neuen Einsatzgebietes. Die Dokumentation der hierbei gefundenen Felsinschriften geschieht daraufhin gemäß projektinterner Richtlinien in einem standardisierten Ablauf. Ihm folgend werden zunächst die fraglichen Granit- oder Sandsteinfelsen geographisch verortet und ein Geländeplan des Areals erstellt. Ergänzend können auch photogrammetrische Aufnahmen der beschrifteten Ansichtsflächen angefertigt werden. Anschließend beginnt die eigentliche epigraphische Arbeit, im Zuge derer die betreffenden Texte untersucht, protokollarisch beschrieben und photographiert werden. Eine erste Abschrift, Transliteration und Übersetzung bilden im weiteren Verlauf die Grundlage für die Faksimilezeichnung, welche mit Permanentstift auf transparente Zeichenfolie aufgebracht wird. Ist diese dann digital umgezeichnet worden, wird das Ergebnis noch mindestens einmal vor Ort am Stein mit dem Original abgeglichen und gegebenenfalls kollationiert, bevor es schließlich zur Publikation gebracht werden kann. 

Jenes zeitaufwendige Verfahren ermöglicht es indes nicht nur, auch stark verwitterte Inschriften zu lesen oder bereits existierende Kopien früherer Veröffentlichungen zu revidieren bzw. zu ergänzen, sondern auch die paläographischen Eigenheiten des jeweiligen Textes zu erfassen. All diese Informationen tragen letztlich entscheidend dazu bei, unser kulturgeschichtliches Verständnis der Felsinschriften und Felsbilder der Region Assuan umfassend zu erweitern. Jedoch sind die Texte nicht nur hinsichtlich ihres Inhaltes von historischem Interesse. Auch ihre Einbettung in den geographischen Kontext liefert entscheidende Informationen zur Topographie des antiken Kataraktgebietes sowie zur Semantik seiner Landschaft. Denn Felsinschriften und Felsbilder sind keineswegs beliebig in die Landschaft gesetzt. Vielmehr beziehen sie sich auf ihre topographische Umgebung und gestalten diese gleichzeitig auch in beträchtlichem Maße mit. Jede einzelne Inschrift für sich genommen bietet so meist nur einen vergleichsweise geringen Informationsgehalt. In der Gesamtschau indes offenbaren sich Gemeinsamkeiten wie Unterschiede, geographische und thematische Schwerpunkte, Gesetzmäßigkeiten, aber auch Brüche und Ausnahmen. Diese Beobachtungen wiederum korrelieren mit den Anbringungsorten, sind mit ihnen gar untrennbar verbunden und erst als gedankliche Einheit verstehbar. In diesem Sinne markieren die Felsinschriften zum Beispiel alte Straßen und Handelsrouten oder kulminieren in der Sichtachse von lokalen Heiligtümern und entlang hiesiger Prozessionswege. 

Neben der epigraphischen Erforschung der Assuaner Felsinschriften sind heutzutage allerdings auch Öffentlichkeitsarbeit und Site Management wichtige Tätigkeitsbereiche unseres Projektes. Zentrales Anliegen beider Arbeitsfelder ist die Kommunikation unserer Ziele und Arbeit nach außen. Daher wurde im November 2012 durch Mittel des „Transformationspartnerschaft“-Programms des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland eine Informationsbroschüre zu der Gruppe der königlichen Felsstelen in Südassuan (in englischer und arabischer Sprache) finanziert. Diese soll sowohl den umliegenden Anwohnern des archäologischen Fundplatzes als auch interessierten Touristen die Bedeutung der dortigen Felsinschriften, ihrer landschaftlichen Einbettung sowie der epigraphischen Projektarbeit im Allgemeinen veranschaulichen. Ziel ist es, das Bewusstsein vor allem der ortsansässigen Bevölkerung für den Wert dieser einzigartigen historischen Denkmäler, die im Gelände oftmals nur schwer als solche zu erkennen sind, zu schärfen und auf diese Weise um ihre Unterstützung bei deren Bewahrung zu werben. 

Angesichts der unmittelbaren Gefährdung dieses ägyptischen Kulturguts gewinnt insbesondere die Frage des Site Managements an einigen Fundplätzen immer mehr an Bedeutung und erfordert ebenso konzeptuelles wie finanzielles Engagement. Denn auch wenn letztlich nicht alle epigraphischen Zeugnisse der Region vor der Zerstörung bewahrt werden können und daher deren lückenlose wissenschaftliche Dokumentation unser vorrangiges Ziel ist, muss doch im Einzelfall die Sicherung bestimmter Felsinschriften notwendigerweise erfolgen. Gemeint sind hier die exzeptionellen Inschriftenensembles, deren Zerstörung einen nicht zu kompensierenden Verlust für die Stadt Assuan und deren kulturelles Erbe bedeuten würde.

Ansätze und Methoden

- Epigraphischer Survey

- Epigraphische Aufnahme im Feld

- Geländevermessung (Totalstation, DGPS)

- Photogrammetrie

- Laserscanning [Felsbilder des Wadi Berbers]

- Structure from Motion (SfM) [Felsbilder des Wadi Berbers]

Das überaus reiche und vor allem reichhaltige Material epigraphischer Selbstzeugnisse, welches die Assuaner Landschaft darbietet, gewährt auf vielfältige Weise neue Einblicke zu Topographie und Gesellschaft der Region in pharaonischer Zeit. So kann beispielsweise die Auswertung prosopographischer Daten Aufschluss geben über die Organisation der lokalen Stadt- und Tempelverwaltung sowie Fragen zu Verwandtschaftsbeziehungen und Erbfolge klären. Memorialinschriften, welche von ägyptischen Feldzügen nach Süden, wirtschaftlich motivierten Expeditionen oder von großen Bau- bzw. Steinbruchsprojekten berichten, enthalten indes relevante historische und chronologische Informationen. Daneben nennen altägyptische Opferformeln und Lobpreisungen – in Abhängigkeit von Zeitpunkt und Ort der Anbringung – sowohl die traditionellen Kultempfänger der Region, die Triade von Elephantine (Satet, Chnum und Anuket), als auch eine Vielzahl andernorts beheimateter Götter und lassen auf diese Weise Rückschlüsse auf das örtliche Kultgeschehen sowie die Zusammensetzung des beteiligten Personenkreises zu. Im Zuge seiner epigraphischen Erforschung wird demgemäß für jeden Fundplatz pharaonischer Felsinschriften und Felsbilder ein mehrschichtiges Interpretationsmodell zu dessen historischer Nutzung und Bedeutung erstellt.

Antike Felszeichnungen und moderne Graffiti auf den Sandsteinkliffs des Assuaner Westufers
Antike Felszeichnungen und moderne Graffiti auf den Sandsteinkliffs des Assuaner Westufers © DAI Kairo // Linda Borrmann
Die Region Assuan am Ersten Nilkatarakt, Blick nach Süden
Die Region Assuan am Ersten Nilkatarakt, Blick nach Süden © DAI Kairo // Rebecca Döhl
Die Region Assuan am Ersten Nilkatarakt
Die Region Assuan am Ersten Nilkatarakt © DAI Kairo // Linda Borrmann
Dokumentation der Felsstele Thutmosis' II. in Südassuan
Dokumentation der Felsstele Thutmosis' II. in Südassuan © DAI Kairo // Linda Borrmann
Familieninschrift des Beamten Iyi-seneb aus der Regierungszeit Amenemhets III. in Tabyat al-Sheikh, Assuan
Die Inschrift des Iyi-seneb beginnt mit einer sog. Opferformel, einer Bitte um die Gewährung gewisser Gnaden, welche an Osiris und die Götter der Katarakttriade (Chnum, Satet und Anuket) gerichtet war. Im unteren Teil des Tableaus sind in zwei Registern Iyi-seneb selbst und zehn seiner Familienangehörigen abgebildet sowie mit Namensbeischriften versehen. © DAI Kairo // Linda Borrmann
Familieninschrift des Beamten Sehetep-ib-Re aus der Regierungszeit Amenemhets III. in Tabyat al-Sheikh, Assuan
Familieninschrift des Beamten Sehetep-ib-Re aus der Regierungszeit Amenemhets III. in Tabyat al-Sheikh, Assuan © DAI Kairo // Linda Borrmann