Forschung
Für eine methodisch neuartige und nachhaltige Grundlage siedlungsarchäologischer Forschung ist ein umfassendes Verständnis des physischen und landschaftsräumlichen Umfelds notwendig. Bei der Untersuchung geht es nicht um Städte in ihrer Landschaft, sondern um die Landschaft als Grundlage für die Ausbildung und Veränderung von Siedlungs- und Lebensräumen, seien diese öffentlich oder privat, kulturell oder kultisch konnotiert. Daher werden die Parameter der Landschaft und ihrer Veränderung untersucht, das Klima, die Ernährungsgrundlagen. Ferner geht es um Verkehrswege und Achsen der Kommunikation, aber auch der Ausgrenzung. Sie stellt sich die Frage, inwieweit vermeintlich natürliche Grenzen wie der Flussverlauf oder Berge als solche akzeptiert oder überwunden wurden oder welchen Einfluss anthropogene Grenzen wie etwa extraurbane Befestigungsbauten auf das Verhältnis von Stadt und Umland hatten.
Forschungsgeschichte
Im antiken Phokis haben bislang neben Notgrabungen kaum systematische Ausgrabungen stattgefunden. Ausnahmen bilden zwei bedeutende Heiligtümer: Das seit 1892 von der École Française d‘Athènes ausgegrabene und in zahlreichen Bänden publizierte Heiligtum von Delphi und das Heiligtum von Kalapodi, das mit Unterbrechungen seit 1973 von dem Deutschen Archäologischen Institut in Athen erforscht wird. Nur in wenigen Kampagnen im späten 19. Jh. wurde – ebenfalls von der École Française d‘Athènes – das Heiligtum der Athena Kranaia bei Elateia erforscht. Darüber hinaus wurde in den 1990er Jahren von einem griechisch-österreichischen Team in der spätbronzezeitlich-früheisenzeitlichen Nekropole von Elateia-Alonaki gegraben.
Die oftmals sehr gut erhaltenen phokischen Befestigungen sind zwar in Grundzügen bereits von Laurence B. Tillard 1911 beschrieben worden, aber die ersten Planaufnahmen von Erich Gose und Friedrich Schober aus dem Jahr 1926 blieben bis 2017 unpubliziert. 1962–1966 nahm dann J. P. Michaud mit J. Blécon von der École Française d'Athènes Umgebungs-, Gesamt- sowie exemplarische Detailpläne zu einer Reihe phokischer Mauern auf. Sie sollten in eine größere Studie Michauds zur Topographie von Phokis Eingang finden, die aber nie abgeschlossen wurde. Die eigens angefertigten Pläne – die allerdings ganz auf eine Kartierung des Mauerverlaufs beschränkt blieben – wurden erst 40 Jahre später im Jahr 2004 in den Arbeiten von C. Typaldou-Fakiris und Ph. Dassios publiziert.
Forschungsziele
Ziel des Forschungsprojekts ist die Analyse der Entwicklung der Siedlungen und der zugehörigen Aktionsräume (Heiligtümer, Nekropolen, Infrastruktur) in der Antike innerhalb ihres naturräumlichen Kontexts. Gerade die Frage, welche Auswirkungen neben historischen Begebenheiten auch natürliche oder anthropogene Ereignisse auf die Nutzung der fruchtbaren Felder beiderseits des Flusslaufs und die Relozierung von Siedlungen haben, ist dabei von großer Bedeutung. Ein chronologischer Schwerpunkt der Untersuchungen liegt hierbei auf dem Zeitraum von der Stadtwerdung bis zur Spätantike, wobei gerade der Prozess und die Chronologie der Stadtwerdung in den einzelnen Regionen Griechenlands wichtige Forschungsfragen darstellen.
Ansätze und Methode
Das Kephissos Valley Project verfolgt einen vielseitigen, interdisziplinären methodischen Ansatz. Neben archäologischen und bauhistorischen Untersuchungen umfasst dieser die Anwendung von großflächigen GIS-Applikationen, LiDAR-Analysen, geophysikalische Prospektionen sowie geomorphologische und paläoklimatische Studien.
Fernerkundungsmethoden
Der erste großflächige airborne LiDAR scan in Griechenland
Im Herbst 2018 fand mit Finanzierung der Fritz Thyssen Stiftung in Kooperation mit der Universität Münster (Prof. Dr. Peter Funke) durch die Firma Geosystems Hellas (Betty Charalampopoulou) innerhalb von zwei Tagen eine Überfliegung des gesamten Untersuchungsgebietes des mittleren Kephissostals zum Ziel der Dokumentation statt. Anhand der Laseraufnahmen (12 Punkte per Quadratmeter) sowie der Luftbilder konnten ein digitales Höhenmodell (DEM), ein digitales Landschaftsmodell (DSM) sowie ein georeferenziertes Orthophoto der Gesamtregion von ca. 145 Quadratkilometern mit einer Auflösung von bis 8 cm/ pixel erstellt werden. Die Erfassung war die erste dieser Größenordnung in ganz Griechenland. Die 2019 erfolgte erste Auswertung der LiDAR-Daten hat für das gesamte Untersuchungsareal über 2700 Strukturen im Geländemodell der Landschaft deutlich machen können.
Historische Luftbilder und Satellitenbilder
Zusätzlich bildet die systematische Auswertung historischer Luftbilder (seit den 1940er Jahren für das Untersuchungsgebiet verfügbar) und, seit 2021, extensive Analyse multispektraler Satellitenbilder einen weiteren Kernbestandteil der Fernerkundungsmethoden des Projektes. So konnte das Untersuchungsgebiets um den östlichen Teil des Kephissos-Tals erheblich erweitert werden. Insbesondere die Infrarotkanäle enthalten Informationen, die im normalen visuellen Spektrum nicht zugänglich sind. Dies unterstützt die Identifizierung von archäologisch bedeutsamen Befunden maßgeblich.
Sowohl die beobachteten LiDAR-Anomalien, als auch Ergebnisse der Analyse der Luft- und Satellitenbilder bilden seither den Ausgangspunkt für Untersuchungen und Geländebegehungen sind. Sämtliche archäologisch und naturräumlich relevante Beobachtungen werden in einem projekteigen GIS-System (QGIS) kartiert. Archäologische Informationen werden in iDAI.field hinterlegt.
Geophysikalische Prospektionen
Mit geophysikalischen Methoden lassen sich verschiedene Arten von archäologisch bedeutsamen unterirdischen Bodenmerkmalen nachweisen. Somit kann auf völlig zerstörungsfreie Weise das Unsichtbare sichtbar gemacht werden. Hierbei werden die physikalischen Eigenschaften des Bodens unter der Oberfläche (z. B. magnetische Resonanz, elektrischer Widerstand usw.) gemessen, so dass geophysikalische Signale mit unter der Erde liegenden archäologischen Strukturen in Beziehung gesetzt werden können.
Im Rahmen des Kephissos-Valley Projects wurden vom IMS-FORTH Rhethymnon (Apostolis Sarris und Nikos Papadopoulos) von 2018 bis 2021 geophysikalische Prospektionen zur Klärung spezifischer archäologischer Fragen durchgeführt. Planung und Durchführung der geophysikalischen Arbeiten umfasste ein vielseitiges Konzept zur Untersuchung mehrerer Projektstandorte mit einer hohen Anzahl an Testflächen. Über einen Zeitraum von vier Jahren wurden Multisensor-Magnetfeldmessung, Bodenradar, elektromagnetische Induktion und elektrischer Widerstand eingesetzt, wobei mehr als 58 ha Fläche an verschiedenen Orten, insbesondere in Elateia, aber auch in Modi, Panagia, Synteleio, Palaiothiva, Anemomylos erfasst wurden.
Paläobotanische, geomorphologische und paläoklimatische Studien
Mehrere Teilprojekte widmen sich Untersuchungen zur Erdqualität, paläobotanischen Rückständen sowie der Veränderungen des Naturraumes. Paläobotanische Untersuchungen werden von Angeliki Livarda (Thessaloniki) und Mila Andonova (Bukarest) an den geschlämmten Bodenproben aus den Grabungen durchgeführt. Die Ergebnisse stehen noch aus. In dem ground-check Projekt „Holocene Flooding in the Kephissos Fluvial System“ von 2021 hat sich Joachim Härtling (Universität Osnabrück, Institut für Historische Geographie) anhand von Bohrkernen und vom Demokritos-Institut für Materialwissenschaften durchgeführten OSL-Untersuchungen der Frage nach Überschwemmungs- und Dürre-Phasen im gesamten Holozän gewidmet. Die Ergebnisse bestätigen in manchem ältere Untersuchungen zur Klimarekonstruktion in Griechenland, bringen aber zu Teil auch neue, aus anderen Regionen Griechenlands nicht bekannte Extremwettersituationen ans Tageslicht. Auch die Untersuchungen von Speläothemen als Klimadepots unter Leitung von Denis Scholz von der Universität Mainz widmen sich explizit Fragen der Klimaveränderungen. In der Phokis wurden drei Höhlen beprobt, die nach derzeitigem Stand kein Material ergaben, das für Klimaveränderungen in der Antike Griechenlands Ergebnisse liefert, dafür aber für paläolithische und ältere Phasen. Weitere Detailuntersuchungen an anderen Höhlen stehen noch aus.
Archäologische und bauhistorische Forschungen
Zur Klärung der durch den Lidar, die Luftbilder und in der früheren Literatur indizierten Strukturen werden im Gelände zwei Zugänge verfolgt: zum einen werden seit 2019 die auffälligsten Anomalien aufgesucht, die bislang unbekannte Befestigungen oder siedlungsähnliche Anlagen nahelegen. Diese Anlagen sind in der Regel von Macchia überwuchert und nur schwer zugänglich. Immerhin konnten so bereits zwei selbst im lokalen Gedächtnis nicht mehr bekannte Siedlungen aufgesucht werden, von denen sich zumindest eine als türkenzeitlich erwiesen hat. Ferner wurden vier antike, heute fast vergessene Befestigungen lokalisiert, deren Alter sukzessive erforscht wird.
Zum anderen werden systematische Architektursurveys durchgeführt, um erhaltene Baubefunde zu dokumentieren, zu klassifizieren und zu interpretieren. An vielen Stellen ging es hier zunächst um eine Schnelldokumentation mit differentiellem GPS und Kamera, um Mauerverläufe festzuhalten, so etwa in Agia Marina, Anemomylos, Modi und Vroulia. In Elateia wurde damit begonnen, abschnittsweise Mauern systematisch zu dokumentieren, um den Verlauf der Stadtmauer und der Binnengliederung der Stadtanlage zu erfassen. In drei Jahren konnten hier über 500 Befunde mit sehr guten Ergebnissen für die Erschließung der Stadtgeschichte dokumentiert werden, doch ist dieses Unternehmen bei der großen Stadtfläche von rund 100 ha noch nicht abgeschlossen.
Schließlich wurden neben den Grabungsschnitten des Teilprojektes der LMU München 2019-2020 zur Erschließung der römischen Militärpräsenz im Jahr 2022 gezielte Testsondagen in Elateia und in Agia Marina angelegt, um Datierungsansätze für Baustrukturen zu gewinnen.
An prägnanten Architekturen wurden wiederum detaillierte bauhistorische Dokumentationen durchgeführt, wie an der Stadtmauer von Tithorea und im Heiligtum der Athena Kranaia bei Elateia, die beide Teilprojekte darstellen.
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