Kalapodi. Ein phokisches Heiligtum mit langer Tradition

Das Grabungsgelände von Osten nach Denkmalpflege in beiden Tempelarealen 2023, Foto S. Biernath © DAI Athen // S. Biernath

Raum & Zeit

Eine wichtige Zäsur in der Geschichte des Heiligtums bildete dessen Zerstörung durch die Perser im Jahr 480 v. Chr. Danach wurde der Nordtempel in klassischer Zeit wieder neu errichtet, der Südtempel blieb in Ruinen liegen. Die Untersuchung des Nordtempels und seiner Vorgänger konnte seinerzeit zu einem Abschluss gebracht werden, nicht aber die des Südtempels und dessen Vorgängerbauten. Der ca. 580 v. Chr. erbaute, von den Persern zerstörte archaische Südtempel ist für die Geschichte des dorischen Tempelbaus von großer Bedeutung, da er am Übergang von der Holz- zur Steinbauweise steht: seine Säulen sind aus Holz, der Giebel aus Stein. Auf der Nord- und Westseite des Tempels sind die Spuren der Zerstörung durch die Perser hervorragend erhalten: verkohlte Holzsäulen und Dachbalken sowie tönerne Dachziegel in Sturzlage. Bisher in Griechenland einzigartige Befunde sind die Überreste von acht hölzernen Wagenrädern mit eisernen Radreifen, die allem Anschein nach als Votive an die Holzarchitrave des archaischen Tempels gehängt worden waren, sowie der steinerne Westgiebel in Sturzlage.

Unter dem archaischen Süd-Tempel liegen mindestens vier Vorgängerbauten, die über die 'Dunklen Jahrhunderte' hinweg bis in die mykenische Epoche der Späten Bronzezeit zurückreichen. Die 'Dunklen Jahrhunderte' stellen eine der interessantesten Epochen der griechischen Kulturgeschichte dar. Galten sie lange als Zeit des Niedergangs und der Stagnation nach dem Untergang der mykenischen Palastkultur um 1200 v. Chr., so bieten nun neuere Entdeckungen, vor allem die der Nekropole von Lefkandi auf Euböa, klare Indizien dafür, dass sie keineswegs überall so dunkel waren, wie bisher angenommen, und dass eine Reihe von für den Aufstieg der griechischen Kultur im weiteren Verlauf des 1. Jt. v. Chr. grundlegende Voraussetzungen bereits in den 'Dunklen Jahrhunderten' gelegt wurden. Wir kennen inzwischen einige Nekropolen und Siedlungen aus dieser Zeit, auf dem griechischen Festland aber bisher noch keine Heiligtümer. Die Grabungen unter dem Südtempel des Heiligtums von Kalapodi boten daher eine einzigartige Gelegenheit, wesentliche Aufschlüsse über die Entwicklung von Kult und Religion im Mittelgriechenland über die 'Dunklen Jahrhunderte' hinweg sowie über die Ursprünge des dorischen Tempels zu gewinnen und damit einen wichtigen Beitrag zur Aufhellung der sog. Dunklen Jahrhunderte zu leisten.