Neue Untersuchungen zur `Kultkeramik´ im Heraion von Samos

Archaische Festkeramik aus dem Heraion von Samos © DAI Athen // Jan-Marc Henke

Raum & Zeit

Über die Kultausübung im archaischen Heraion von Samos, dem überregional bekannten Heiligtum der Hera von Samos, in dem sie nach Meinung der antiken Samier unter einem Lygosbaum geboren worden sein soll, lassen uns die historischen Quellen leider weitestgehend im Dunkeln. Immerhin sind zwei unterschiedliche Kultfestnamen „Heraia“ und „Tonaia“ überliefert, die unter Umständen jedoch das gleiche Ereignis, das jährliche Hauptfest zu Ehren der Hera, bezeichnen könnten. An diesem Fest wurde, wie aus einer bei Athenaios von Naukratis (193-235 n. Chr.) überlieferten Kultlegende des Lokalhistorikers Menodotos von Samos (letztes Viertel 3. Jh. v. Chr.) erschlossen wird, das Kultbild aus dem Tempel geholt, zum Strand getragen, mit Lygoszweigen – dem heiligen Baum der Hera umwunden, dann wieder davon befreit, gewaschen, neu eingekleidet, mit einem Opferkuchen gespeist und zurück auf seine Basis gestellt. Ferner informiert uns Athenaios, dass die Festteilnehmer Lygoskränze trugen, die Priesterin allerdings einen Lorbeerkranz, zuvor schritt man offensichtlich festlich gekleidet im Rahmen einer Prozession zum Heiligtum, wo man während der Feier auf dem Boden lagerte. Mehr wissen wir im Grunde nicht. Immerhin erwähnt Pausanias im 2. Jh. n. Chr., dass der Altar der Hera anscheinend den Eindruck eines überdimensionierten Aschenkegels gemacht haben muss, da die Asche der verbrannten Teile der Opfertiere (zumeist Steißbein und Schwanz, Oberschenkelknochen und Bauchfett) nicht beseitigt, sondern auf dem Altar belassen wurde.

Auf Grund dieser spärlichen Quellenlage sind die zahlreichen im Heraion angetroffenen archäologischen Überreste der Kultfeiernaus der Frühzeit des Heiligtums von herausgehobener Bedeutung für die Rekonstruktion des Kultgeschehens. Ein großer Teil stammt von den u. a. bei dem Hauptfest stattgefundenen Opfermahlzeiten des 7. und frühen 6. Jh. v. Chr., bei denen der nicht auf dem Altar verbrannte Teil der Opfertiere sowie weitere Speisen und Getränke (vermutlich hauptsächlich Wein) gemeinschaftlich verzehrt wurden. Neben den organischen Rückständen macht den Hauptteil dieses Fundgutes, die bei den Mahlzeiten und anderen Kultereignissen verwendete Keramik (überwiegend Trink-, Speise-, Misch-, Schank- und Vorratsgefäße) aus. Darüber hinaus fanden sich allerdings auch zahlreiche weitere Gegenstände des Kultbetriebes, wie z. B. aus dem gesamten Mittelmeerraum importierte Votivgaben, die einen wichtigen Einblick in die weitreichenden Kulturkontakte der antiken Samier sowie spezifische Kultpraktiken erlauben.