Samos

Heraion von Samos, Archäologisches Gelände © DAI Athen // Stefan Biernath

Forschung

Die archäologischen Arbeiten im antiken Stadtgebiet von Samos von 1925 bis in die 1970er Jahre unter Ernst Buschor und Ulf Jantzen verfolgten grundlegende topographische und chronologische Fragestellungen zur Besiedlung sowie zu konkreten Monumenten. Neben sporadischen Sondierungen in den Nekropolen fokussierten sich die Arbeiten auf den Kastrohügel mit neolithischen und spätbronzezeitlichen Siedlungsresten sowie einer hellenistisch-kaiserzeitlichen Perstylvilla und dem Bischofssitz, der Stadtmauer, der Wasserleitung des Eupalinos, dem hellenistischen Gymnasium und der kaiserzeitlichen Thermenanlage sowie einem kleinen Klostergut bei Misokampos, dem ein hellenistischer Wachturm und ein kleines Heiligtum vorausgingen.

Darüberhinaus sollte die Insel historisch sowie als Kunstlandschaft erschlossen werden. So initiierte das DAI gemeinsam mit weiteren Partnerinstituten die bis heute andauernde Aufarbeitung der Inschriften, der Plastik oder der dekorierten Keramik oder führte diese fort.

Die jüngere Forschung rückt zunehmend auch das naturräumliche Umland ins Blickfeld und fragt nach der Relevanz von ökologisch-klimatologischen Prozessen für die Entwicklung der Gemeinschaft. Dies schließt weitere Fragen zum agrarwirtschaftlichen Potential der Insel sowie ökonomischen Nutzungs- und Erschließungskonzepten der einzelenen Inselregionen mit ein.

Herodot: (Her. III 60, Übers. A. Horneffer)

„Ich habe so ausführlich über Samos berichtet, weil die Samier die gewaltigsten Bauwerke geschaffen haben, die sich in ganz Hellas befinden. Erstens haben sie durch einen einhundertfünfzig Klafter hohen Berg einen Tunnel gebohrt, der am Fuße des Berges beginnt und nach beiden Seiten Mündungen hat. Dieser Tunnel ist sieben Stadien lang und acht Fuß hoch und breit. Unter diesem Tunnel ist seiner ganzen Länge nach ein zweiter, zwanzig Ellen tiefer und drei Fuß breiter Tunnel gegraben. Durch diesen letzteren wird aus einer großen Quelle das Wasser in Röhren in die Stadt geleitet. Diese Wasserleitungsanlage wurde gebaut von Eupalinos, Sohn des Naustrophos aus Megara. Das zweite Werk ist ein Wellenbrecher in der See, der den Hafen einschließt, einhundertzwanzig Fuß tief und mehr als zwölfhundert Fuß lang. Das dritte Bauwerk der Samier ist der Tempel, welcher der größte aller Tempel ist, die wir kennen. Sein erster Baumeister war Rhoikos, Sohn des Philes aus Samos.“

Es waren unter anderem diese Worte Herodots, bzw. der damit bereits für das 6. Jh. v. Chr. von ihm bezeugten Bauwerke, die schon früh das Interesse erster neuzeitlicher Forschungsreisender und schließlich der modernen Altertumswissenschaften an der antiken Stadt Samos und dem zugehörigen ca. 6 Kilometer entfernt liegenden Heiligtum der Hera, der Hauptgottheit der Insel, weckten.

Im Heraion fanden bereits seit 1702 mehrere kleinere Untersuchungen des Tempels durch Joseph Pitton de Tournefort, die Londoner Society of Dilettanti, Victor Guérin, Carl Humann, Paul Girard oder de Clerc statt. Erste systematische Grabungen unternahm 1902–1903 die Archäologische Gesellschaft Athen unter Leitung von Panagiotis Kavvadias und Themistokles Sophoulis, die kleinere Bereiche des Tempels und des östlichen Vorplatzes sondierten. Erst mit Aufnahme archäologischer Grabungen durch die Königlichen Museen Berlin unter Theodor Wiegand von 1910–1914 wurden großräumig Ländereien angeworben und weite Teile des Temenos einschließlich des gesamten monumentalen Tempels des 6. Jhs. v. Chr. von fast 6000 m² Grundfläche freigelegt.

1925 nahm Ernst Buschor für die Athener Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts die Grabungen wieder auf, in deren Verantwortung sie mit einer Unterbrechung während des zweiten Weltkrieges seit nun schon fast 100 Jahren mit umfangreicher Unterstützung des lokalen Denkmalamtes und des Ministeriums für Kultur und Sport liegen. Aktuell rückt dabei auch das Umland des Heiligtums verstärkt in den Untersuchungsfokus und klärt grundlegende Fragen zur naturräumlich-ökologischen Genese der Region und deren Relevanz für die gesellschaftliche Entwicklungsgeschichte auf Samos.

Ähnlich wie im Heraion verhielt es sich zunächst auch in der antiken Stadt, wo die gleichen frühen Griechenlandreisenden der Neuzeit, vor allem dem legendären Tunnel bzw. der Wasserleitung des Eupalinos nachspürten. Immerhin konnte 1812 die Society of Dilettanti die richtige Quelle beim heutigen Agiades sowie erste Überreste der antiken Zuleitung zum Tunnel identifizieren, die 1853 Victor Guérin mit finanzieller Unterstützung des damaligen samischen Hegemons Georgios Konemenos auf den ersten 400 Metern studierte. Der Tunnel selbst bzw. sein Südeingang wurde allerdings erst 1882 durch den Mönch Kyrillos entdeckt, in deren Anschluss die Leitung auf Wunsch des damaligen Fürsten Kostakis Adosidis vergeblich wieder in Betrieb genommen werden sollte. Unmittelbar darauf schickte mit Ernst Fabricius erstmals das Deutsche Archäologische Institut einen Archäologen nach Samos, um die antiken Überreste im Stadtgebiet zu dokumentieren, und den Tunnel soweit möglich systematisch zu untersuchen.

Neben weiteren kleineren dokumentatorischen Aktivitäten des Deutschen Archäologischen Instituts auf der Insel grub 1894 der ehemalige DAI-Reisestipendiat Johannes Boehlau für die Kassler Museen in den Nekropolen der antiken Stadt. Andere punktuelle Aktivitäten in der Westnekropole wurden von James Theodore Bent oder dem griechischen Denkmalamt durchgeführt. Weitere größere Aktivitäten blieben allerdings bis zur damaligen Übertragung der allgemeinen Grabungslizenz für Samos auf das DAI unter Ernst Buschor 1925 aus. Danach fokussierten sich die Untersuchungen weitestgehend auf die Nordnekropole, einem Klostergutkomplex mit antiker Vorgeschichte bei Misokampos und den Hügel Tigani, der vermeintlichen antiken Akropolis, wo ein bedeutender hellenistisch bis kaiserzeitlicher, vermutlich öffentlich organisierter Villenkomplex, der später zum byzantinischen Bichhofssitz umgebaut wurde, sowie darunter liegende prähistorische Kontexte angetroffen wurden. Aber erst mit den Aktivitäten von Ulf Jantzen in den 1960er und 70er Jahren kam es in der Stadt zu umfangreicheren Arbeiten, bei denen die Stadtmauer von ca. 6430 m Länge, die Wasserleitung des Eupalinos mit einer Gesamtlänge von ca. 2551 m (einschließlich des berühmten Tunnels von 1036 m Länge), der Tigani-Hügel und der bedeutsame hellenistisch/römische Gymnasion- und Thermenkomplex im westlichen Stadtgebiet, den man später zu einem byzantinischen Klostergut umbaute, tiefgreifend erforscht und vorgelegt wurden. Heute ist das DAI nicht mehr im antiken Stadtgebiet tätig, wo weitere für das Verständnis der antiken Stadt fundamentale Forschungen durch das örtliche Denkmalamt, der Ephorie für die Altertümer von Samos und Ikaria durchgeführt werden. Hervorzuheben sind hier besonders Untersuchungen in den geometrischen und archaischen Nekropolen, einzelner Wohnquartiere und städtischer Heiligtümer durch Konstantinos Tsakos und Maria Viglaki-Sofianou. Aktuell läuft hier ein kooperierendes Surveyprojekt des Denkmalamtes mit der Universität Zypern, während auf Westsamos ebenfalls ein Survey von der British School in Athens durchgeführt wird.

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Samos, Ebene von Chora nach Osten mit dem mittelaterlichen Turm Sarakini am Unterlauf des Imbrasos im Vordergrund. Dahinter liegen das Heraion sowie der kleinasiatische Mykale-Gebirgszug. Links im Bild liegt das heutige Pythagoreion, die antike Stadt Samos. © DAI Athen // Jan-Marc Henke
Blick auf die Hafenpromenade von Pythagoreion, die antike Stadt Samos, mit dem Kastrohügel links und dem antiken Stadtberg rechts © DAI Athen // Jan-Marc Henke
Samos, Blick auf die Fundamente der antiken Peristylvilla auf dem Kastrohügel von Osten 1928 © DAI Athen // Hermann Wagner
Samos, Blick auf den Kastrohügel von Westen 1930 © DAI Athen // Hermann Wagner
Samos, Stadtmauer © DAI Athen // Walther Wrede
Samos, Stadtmauer © DAI Athen // Walther Wrede
Samos, Stadtmauerturm © DAI Athen // Walther Wrede
Samos, Blick auf die Thermenanlage nach der Ausgrabung von Osten © Wolfram Martini // Wolfram Martini
Samos, Tunnel des Eupalinos © DAI Athen // Gösta Hellner, Eleutherios Feiler
Samos, Sitzstatue des Aiakes, Marmorplastik © DAI Athen // Ludwig Michael Curtius