Grabungen am Altarplatz der Hera von Samos

Samos, Heraion, Altarplatz. Objektnest in der Deponie an Heiligtumsabfällen von 590/80 v. Chr. © DAI Athen // Jan-Marc Henke

Ergebnisse

Die Auswertung der Funde ist bereits zu einem größeren Teil abgeschlossen und erlaubt folgende erste knapp umrissene Ergebnisse:

Die zwischen 2010 und 2013 aufgedeckte Schichtenfolge ermöglichte die Unterscheidung der Fundgruppe XL in mehrere Schüttungen oder Deponien von Heiligtumsabfällen, die in zeitlich aufeinanderfolgenden Intervallen an den östlichen Ausläufern des Altarplatzes abgelagert worden waren. Die älteste dieser Deponien wurde im südlichen Grabungsareal angetroffen und nach aktuellem Stand der Aufarbeitung gegen 630/20 v. Chr. eingebracht oder geschlossen. Eine weitere Schüttung im nördlichen Grabungsareal kann nur unwesentlich später angelegt worden sein. Darüber lag eine dritte Schüttung an Heiligtumsabfällen von ca. 605/600 v. Chr. Die vierte und letzte Deponie kann vorläufig auf ca. 590/80 v. Chr. datiert werden. Diese Folge an Deponien war überlagert von mehreren Auffüllschichten sowie dem Bauhorizont des Großen Altares. Darüber befanden sich wenige zum Teil stark gestörte nacharchaische Befunde sowie überwiegend rezent umgelagertes Material.

Zwischen diesen Deponien ändert sich das Mengenverhältnis stilistisch unterscheidbarer Gefäßformen, was neue Aufschlüsse zur Chronologie der im Heiligtum verwendeten und ungefähr ab dem späten 7. Jh. v. Chr. auch speziell für dieses hergestellten Keramik erlaubt. Ferner konnten zwischen den Deponien Deponierungen von Gefäßen, Obeloi, Speiseresten und Rinderschädeln beobachtet werden, die auf spezielle ›ritualisierte‹ Handlungen, u. a. Libationen,  bei der Anlegung der Deponien schließen lassen. Darüber hinaus lassen sich unterschiedliche Strategien bei der Zerstörung und Einbringung von Kleinvotiven zwischen den Deponien feststellen, die auf ein festgelegtes, zumindest aber nicht völlig willkürliches Vorgehen bei der Einbringung des Materials in die Deponien hindeuten.

Schließlich ändert sich das Spektrum wichtiger Gattungen von Kleinvotiven – zumeist Importe signifikant zwischen den Deponien. So kamen z. B. figürliche ägyptische und ägyptisierende Fayencen fast ausschließlich und in großer Menge in der Deponie um 590/80 v. Chr. vor, orientalische Bronzen und zyprische Terrakotten aber überwiegend in den beiden älteren Deponien. Zyprische oder zyprisierende Kalksteinfiguren gewinnen demgegenüber in der Deponie von 590/80 v. Chr. an Bedeutung. Mit dieser Verteilung ist ein wichtiger Hinweis für die zeitliche Verwendung dieser Gattungen im Heiligtum gewonnen, was neue Aspekte zur Diskussion über Wesen und Genese der griechischen Kulturkontakte zum Orient im 7. und frühen 6. Jh. v. Chr. liefert. Gerade im Fall der in großem Umfang gestifteten zyprischen Terrakotten sowie der ägyptischen und ägyptisierenden Fayencen kann dieses von herausgehobener Bedeutung sein, da beide Gruppen u. U. auch eine Inspiration durch fremde Kultpraktiken im Heraion bezeugen.

Darüber hinaus liefert die Stratigraphie wichtige Einblicke in die Entwicklung der großen Kultfeste im Heraion von Samos. Neben den oben erwähnten Anhaltspunkten zu Entwicklung der Festkeramik lassen sich z. B. signifikante Veränderungen in der quantitativen Relation der Überreste an verzehrten Opfertieren zwischen den verschiedenen Zeithorizonten aufzeigen. Demnach steigt die Zahl an verzehrten Ovicapriden gegenüber dem Rind – dem Hauptopfertier für Hera von den älteren zu den jüngeren Kontexten deutlich an. Dieses könnte auf Veränderungen in der Tierhaltung, aber auch die steigende Zahl an Kultteilnehmern zurückgeführt werden.

Publikationen:

J.-M. Henke, Zwei Glasphialen aus dem Heraion von Samos als Zeugnisse früheisenzeitlichen Technologie- und Kulturtransfers, in: H. Beck – B. Eckhardt – C. Michels – S. Richter (Hrsg.), Von Magna Graecia nach Asia Minor. Festschrift für Linda-Marie Günther, Philippika 116 (Wiesbaden 2017), 1-34.

J.-M. Henke, New Excavations in the Altar Area of the Sanctuary of Hera on Samos. The Archaic Layers, in: P. – K. Sarantidis – K. Birtacha (Hrsg.), Το Αρχαιολογικό Έργο στα νησιά του Αιγαίου, 1ου Διεθνές Επιστημονικό Συνέδριο, Ρόδος 27 Νοεμβρίου – 1 Δεκεμβρίου 2013 (Μυτιλήνη 2017), 201- 212.

J.-M. Henke, New Excavations in the Altar Area of the Sanctuary of Hera on Samos. First Results Concerning Ritual Practices and Deposition Customs of Sacrificial Debris in the Late 7th Century BCE, in: Ionians in the East and West, International Conference, Museu d´Arqueologia de Catalunya-Empúries, Empúries/L´Escala, Spain, 26th–29th October 2015 (Leuven 2022), 303‒332.

J.-M. Henke, Neue Untersuchungen zu den Deponien von Kultabfällen östlich des Großen Altares (›Rhoikos Altar‹) im Heraion von Samos, in: Neue Forschungen zu frühen griechischen Heiligtümern (12.–5. Jh. v. Chr.), Internationales Symposion zu Ehren von Helmut Kyrieleis anlässlich seines 80. Geburtstages, Athen, 19.–21.04.2018 (im Druck).

J.-M. Henke, Überlegungen zur Datierung und Bauzeit des Großen Altares (›Rhoikos Altar‹) im Heraion von Samos auf Grundlage neuer stratigraphischer Anhaltspunkte (im Druck).