Grabungen am Altarplatz der Hera von Samos

Samos, Heraion, Altarplatz. Objektnest in der Deponie an Heiligtumsabfällen von 590/80 v. Chr. © DAI Athen // Jan-Marc Henke

Raum & Zeit

Zwischen 2010 und 2013 fanden unter der Leitung von Wolf-Dietrich Niemeier und Planung und Durchführung von Jan-Marc Henke neue Grabungen am Altarplatz im Heraion von Samos statt. Anlass für die Sondierungen war die von Niemeier übernommene Publikation des von Hans Walter verfassten Manuskripts zu den frühen Phasen des Heiligtums, mit welchem die in den 1950er und 1960er Jahren in zentralen Heiligtumsarealen durchgeführten Grabungen abschließend vorgelegt werden. So sollten u. a. ergänzende Erkenntnisse zur Struktur und Chronologie der östlich des Großen Altares (`Rhoikos-Altar´) von Walter zwischen 1963 und 1964 als einheitlicher Kontext (Fundgruppe XL) untersuchten Deponie an Heiligtumsabfällen gewonnen werden. Walter selbst verband die Deponie mit dem Kultgeschehen aus der Zeit der Altarphasen V und VI und datierte das Fundspektrum recht grob zwischen dem 8. Jh. und ca. 550/540 v. Chr. Später korrigierte er mehrmals das Datum für die Schließung der Deponie bis ca. 590 v. Chr. nach oben. Bis heute blieb das absolute Datum allerdings unsicher, nicht zuletzt auf Grund von Anzeichen für eine ursprünglich vorhandene, aber im Feld nicht nachvollzogene Unterteilung der Deponie in mindestens zwei chronologisch aufeinander folgende Phasen.

Die wissenschaftliche Bedeutung der Fundgruppe XL liegt zuzüglich weiterer Aspekte vor allem in ihrer zeitlichen Stellung sowie ihrer räumlichen Nähe zum Altar. Die in ihr gefundenen Überreste beleuchten einen Zeitraum, in dem das Heiligtum mehrere bedeutende bauliche Umgestaltungen bis hin zur Monumentalisierung erfuhr und in dem sich der Kult vermutlich unter dem Eindruck gesellschaftlicher Wandlungsprozesse sowie transmediterraner Kulturkontakte entscheidend verändert zu haben scheint. So barg die Deponie z. B. neben den Überresten der im Heiligtum stattgefundenen Kultmahlzeiten auch reiche Funde an importierten Weihgaben aus dem gesamten Mittelmeerraum, für die das Heraion in der Forschung allgemein bekannt ist. Eine verfeinerte chronologische Sequenzierung der Funde wäre daher hilfreich, die Genese dieser Kulturkontakte sowie der kultischen Veränderungen im Heraion deutlicher als bisher nachvollziehbar zu machen und zu verstehen.

Als sich herausstellte, dass noch großflächig erhaltene Ausläufer dieser Deponie erhalten waren, wurde die einmalige Chance ergriffen, den Kontext (Fundgruppe XL) nach aktuellen Fragestellungen zu rituellen Mahlzeiten, Deponierungssitten, Kultpraktiken und Kulturkontakten neu zu untersuchen. Neben einer genauen Schichtenanalyse konnten nun auch die damals ausgebliebenen paläobotanischen wie -zoologischen Untersuchungen der organischen Rückstände der Kultmahlzeiten sowie der Opferasche nachgeholt werden.

Über die Kultausübung im Heraion von Samos, dem überregional bekannten Heiligtum der Hera von Samos, in dem sie nach Meinung der antiken Samier unter einem Lygosbaum geboren worden sein soll, lassen uns die historischen Quellen leider weitestgehend im Dunkeln. Immerhin sind zwei unterschiedliche Kultfestnamen „Heraia“ und „Tonaia“ überliefert, die unter Umständen jedoch das gleiche Ereignis, das jährliche Hauptfest zu Ehren der Hera, bezeichnen könnten. An diesem Fest wurde, wie aus einer bei Athenaios von Naukratis (193 bis 235 n. Chr.) überlieferten Kultlegende des Lokalhistorikers Menodotos von Samos (letztes Viertel 3. Jh. v. Chr.) erschlossen wird, das Kultbild aus dem Tempel geholt, zum Strand getragen, mit Lygoszweigen – dem heiligen Baum der Hera umwunden, dann wieder davon befreit, gewaschen, neu eingekleidet, mit einem Opferkuchen gespeist und zurück auf seine Basis gestellt. Ferner informiert uns Athenaios, dass die Festteilnehmer Lygoskränze trugen, die Priesterin und der Priester allerdings Lorbeerkränze, zuvor schritt man offensichtlich festlich gekleidet im Rahmen einer Prozession zum Heiligtum, wo man während der Feier auf dem Boden lagerte. Mehr wissen wir im Grunde nicht. Immerhin erwähnt Pausanias im 2. Jh. n. Chr., dass der Altar der Hera anscheinend den Eindruck eines überdimensionierten Aschenkegels gemacht haben muss, da die Asche der verbrannten Teile der Opfertiere (zumeist Steißbein und Schwanz, Oberschenkelknochen und Bauchfett) nicht beseitigt, sondern auf dem Altar belassen wurde.

Auf Grund dieser spärlichen Quellenlage sind die zahlreichen im Heraion angetroffenen archäologischen Überreste der Kultfeiern von herausgehobener Bedeutung für die Rekonstruktion des Kultgeschehens. Ein großer Teil stammt von den u. a. bei dem Hauptfest stattgefundenen Opfermahlzeiten, bei denen der nicht auf dem Altar verbrannte Teil der Opfertiere sowie weitere Speisen und Getränke (vermutlich hauptsächlich Wein) gemeinschaftlich verzehrt wurden. Darüber hinaus fanden sich allerdings auch zahlreiche weitere Gegenstände des Kultbetriebes, wie z. B. aus dem gesamten Mittelmeerraum importierte Votivgaben, die einen wichtigen Einblick in die weitreichenden Kulturkontakte der antiken Samier sowie spezifische Kultpraktiken erlauben.

Diesen Rückständen galt das zwischen 2010 und 2013 unter Leitung von Wolf-Dietrich Niemeier durchgeführte Grabungsprojekt östlich des Altarplatzes im Heraion von Samos.