Grabungen am Altarplatz der Hera von Samos

Samos, Heraion, Altarplatz. Objektnest in der Deponie an Heiligtumsabfällen von 590/80 v. Chr. © DAI Athen // Jan-Marc Henke

Forschung

Folgende Fragestellungen sollten bei der Grabung verfolgt werden:

1. Handelt es sich bei der `Fundgruppe XL´ um eine Abfolge zeitlich unterschiedlicher Deponien und liefern diese neue Anhaltspunkte für: A. die Chronologie der Altäre, B. die stilistische und typologische Entwicklung der `Kultkeramik´ im Heraion, C. die Einfuhr der zahlreich darin enthaltenen Importe und die Genese der damit verbundenen Kulturkontakte?

2. Lassen sich Vorgehensweisen und Systematiken bei der Anlage der Deponien beobachten und wechseln diese gegebenenfalls zwischen den Deponien?

3. Gibt es Hinweise auf konkrete Kulthandlungen in Zusammenhang mit der Anlage der Deponien?

4. Erlaubt der Inhalt der Deponien Rückschlüsse auf die Nutzung des Areals im Kult?

Der Altarplatz der Hera auf Samos wurde bereits während der frühen Grabungen in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts durch Ernst Buschor und Hans Schleif aufgedeckt und in ersten Vorberichten bekannt gemacht. Einschließlich des monumentalen Hofaltares des 6. Jhs. v. Chr. und seiner vermutlich augusteischen Erneuerung wurden ursprünglich neun Altarphasen mit den dazugehörigen Nutzungshorizonten des umgebenden Altarplatzes erkannt. Der früheste Altar I wurde von Buschor mit dem Beginn des Kultes in Verbindung gebracht und in spät- oder submykenische Zeit datiert. Die abschließende Publikation der Grabungen blieb durch den Verlust der Aufzeichnungen und die Plünderung der Magazine während des 2. Weltkrieges aus. Von 1963 bis 1964 unternahm Hans Walter unter der Leitung von Ernst Homann-Wedeking abermals Sondierungen in diesem für die Forschung zur Genese griechischer Heiligtümer bis heute wichtigen Areal. Die Grabungen erbrachten neue Datierungsansätze für die erste nachweisbare Kultaktivität an diesem Ort noch vor der spätmykenischen Zeit sowie für einige der darauffolgenden Altarphasen. Die Existenz von Altar VII wurde von Walter vollständig revidiert.

Östlich des monumentalen Hofaltares stieß Walter auf eine reiche Deponie an Kultabfällen (Fundgruppe XL), die er mit dem Kultgeschehen an den Altären V und VI verband. Er nahm die ihm damals weitestgehend homogen erscheinende Planierung in mehreren 10 cm hohen Abhüben aus und grenzte einzelne Fundregionen horizontal voneinander ab. Diese horizontale Gliederung hatte jedoch keinen chronologischen Hintergrund. Eine schärfere stratigraphische Unterteilung fiel ihm nicht zuletzt durch den hohen Grundwasserspiegel schwer. Grundsätzlich vermerkte Walter jedoch in seinen Aufzeichnungen, dass die älteren Funde tiefer gelegen hätten als die jüngeren, was darauf hindeutet, dass allgemein eine im Feld nicht erkannte chronologisch relevante Stratigraphie bestanden haben könnte.

Auch wenn Walter die Funde dieser äußerst reichen Deponie zu Recht mit dem Kultgeschehen an den Altären V und VI verband, schwankte er bei der Bestimmung des terminus ante quem für die Schließung der Deponie erheblich. So legte er sich anfänglich auf eine Datierung der Funde vom 8. Jh. bis ca. 550/40 v. Chr. fest, dem damals angenommen Baubeginn des Rhoikos-Altares. Wenig später erkannte er den spätmöglichsten Zeitpunkt für die Schließung der Deponie in dem Baubeginn des ersten Dipteros, welcher damals noch gegen 570/60 v. Chr. angesetzt wurde. Schließlich hielt er – zumindest für Teile der Deponie – ein Datum um oder vor 590 v. Chr. für möglich. Da die Fundgruppe XL für wichtige Materialgruppen, wie z. B. die zyprischen Terrakotten und Kalksteinfiguren oder bestimmte Fayencestatuetten, lange Zeit als maßgebliche Datierungshilfe galt, hätte eine so gravierende Umdatierung natürlich weitreichende Folgen. Mit der endgültigen Publikationsvorbereitung des Manuskripts von Walter durch Wolf-Dietrich Niemeier zeigte sich daher die Notwendigkeit erneuter Sondierungen in diesem Areal.

E. Buschor, Heraion von Samos. Frühe Bauten, AM 55, 1930, 1–99.

E. Buschor – H. Schleif, Heraion von Samos: Der Altarplatz der Frühzeit, AM 58, 1933, 145–173.

W.-D. Niemeier, Der „Heilige Baum“ und Kultkontinuität im Heraion von Samos, AM 125, 2010, 99–117.

H. Walter – A. Clemente –  W.-D. Niemeier, Ursprung und Frühzeit des Heraion von Samos, Teil 1: Topographie, Architektur und Geschichte, Samos 21,1 (Wiesbaden 2019).

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Samos, Heraion, Altarplatz. Objektnest in der Deponie an Heiligtumsabfällen von 590/80 v. Chr. © DAI Athen // Wolf-Dietrich Niemeier
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Samos, Heraion, Altarplatz. Grabung 1963/64, großer Schnitt entlang des Ostfundaments des Großen Altares, auf halber Länge des Ostfundamentes liegt der Brunnen J (W2). © DAI Athen // Gösta Hellner
Fig02
Samos, Heraion, Altarplatz. Lageplan und Grenzen der Grabungsfläche von 2010-2013. © DAI Athen // Anonym
Fig09
Samos, Heraion. Fundverteilung der Schüttungen an Heiligtumsabfällen aus dem letzten Viertel des 7. Jhs. v. Chr. im nördlichen Grabungsareal (grüne Kreuze = Muscheln, schwarze Kreuze = Festkeramik, rote Kreuze = andere Votivgattungen) © DAI Athen // Jan-Marc Henke, Johanna Fuchs
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Samos, Heraion. Figürliche Weihungen aus den Schüttungen an Heiligtumsabfällen aus dem letzten Viertel des 7. Jhs. v. Chr. im nördlichen Grabungsareal (v. li. `zyprischer´ Kalksteinlöwe [Foto: D-DAI-ATH-2014-5511, K. Spathmann], samische Terrakotte [Foto:D-DAI-ATH-2015-36509, J.-M. Henke]; ägyptische Bronzestatuette [Foto: D-DAI-ATH-2018-26958, W.-D. Niemeier]; zyprische Kalksteinstatuette [Foto: D-DAI-ATH-2018-26959, J. Fuchs]). © DAI Athen // Kevin Spathmann, Jan-Marc Henke, Wolf-Dietrich Niemeier, Johanna Fuchs
Fig11
Samos, Heraion. Fundverteilung der Schüttungen an Heiligtumsabfällen um 590/80 v. Chr. (schwarze Kreuze = Festkeramik, rote Kreuze = andere Votivgattungen). © DAI Athen // Jan-Marc Henke, Johanna Fuchs
Fig12
Samos, Heraion. Oberflächenausschnitt der Schüttungen an Heiligtumsabfällen um 590/80 v. Chr. © DAI Athen // Anonym