Olympia – Das Leonidaion

Olympia, Innenhof des Leonidaion von Südwesten © DAI Athen // Claudia Mächler

Forschung

Ziel des im Mai 2014 in Angriff genommenen Forschungsvorhabens ist es, durch die umfassende bauforscherische Neubearbeitung des Leonidaion eine differenzierte Bau- und Nutzungsgeschichte des Gebäudes zu erarbeiten und diese im chronologischen wie topographischen Kontext des Gesamtheiligtums zu verankern. Dabei soll u.a. die These untersucht werden, ob das Leonidaion bereits in seiner ersten Bauphase als Gästehaus mit Banketträumen genutzt wurde, wie dies für die römische Zeit durch Pausanias (Paus. 5, 12, 5) bezeugt ist, oder welche anderen Funktionen das Gebäude möglicherweise abdeckte. Es wird in dieser Hinsicht auch zu klären sein, inwiefern die den Kernbau umfangende Säulenhalle in Kontext des Wege- und Kommunikationssystems des Südwestens der Altis als nutzungsstiftendes Element aufgefasst werden darf oder ob sich ihre Funktion auf eine rein ästhetische beschränkte. Einen weiteren, wichtigen Themenpunkt bilden Überlegungen zum Entwurf und zur Metrologie des Leonidaion sowie dessen stilistische Einordnung. Schließlich sollen die erzielten Forschungsergebnisse in einer architekturhistorischen Würdigung des Gebäudes münden.

Nach der Freilegung der unmittelbaren Umgebung des Zeustempels noch während der ersten Kampagne der deutschen Ausgrabungen in Olympia im Jahr 1875 wurde die systematische Erforschung des gesamten Heiligtums in Angriff genommen, sodass mit Abschluss der vierten Kampagne die Topographie der Altis weitgehend bekannt war. Erst zu diesem Zeitpunkt, zu Beginn des Jahres 1879, wurden durch das Hohe Direktorium in Berlin auch Ausgrabungen im Westen von Olympia verfügt, sodass am 10. April 1879 zwei große Suchschnitte, der sogenannte Nordwest- und Südwestgraben gezogen wurden, welche die bereits in großen Teilen ergrabene Altis mit dem östlichen Kladeosufer verbanden. Im Südwestgraben wurden schließlich Ende Mai desselben Jahres die Reste eines Gebäudes mit ionischer Säulenstellung freigelegt, in welchem später das Leonidaion erkannt werden sollte.

Bereits zu Beginn der 4. Grabungskampagne war man beim Abbruch der westlichen Festungsmauer, die den Zeustempel mit der Süd-Halle verband, auf zahlreiche als Spolien wiederverwendete ionische Bauglieder gestoßen. Diese ließen sich nun, da die in situ erhaltenen Basen mit denen aus der Festungsmauer identisch waren, mit Sicherheit dem neuen Gebäude zuweisen, welches folglich als ionische Südwest-Halle bezeichnet wurde.

Die fortschreitende Aushebung des Südwest-Grabens führte Anfang der fünften Grabungskampagne (November 1879) zur Freilegung einer weiteren, sich nunmehr nach Osten öffnenden Säulenhalle, deren Zusammengehörigkeit mit der Südwest-Halle aufgrund ihrer Ausrichtung sowie der übereinstimmenden Basenformen und Achsmaße außer Frage stand, sodass an dieser aus topographischer Sicht bisher für unbedeutend erachteten Stelle nicht nur eine einfache Halle, sondern das größte Bauwerk Olympias identifiziert werden konnte. In Folge dieser unerwarteten Ergebnisse wurden die Grabungsarbeiten im Südwesten der Altis natürlich intensiviert und die Freilegung des nun als Südwest-Bau bezeichneten Gebäudes zu einem der verbleibenden Hauptforschungsziele in Olympia erklärt.

Obwohl das Gebäude noch während der fünften Grabungskampagne 1880 in seiner Nordhälfte vollständig freigelegt werden konnte und die Grundrissbildung dank weiterer Suchgräben im südlichen Abschnitt in ihren Grundzügen bekannt war, gelang die Identifizierung des Gebäudes erst nach Abschluss der Deutschen Grabungen, als Rhousopoulos 1886 auf einem der in der westlichen Festungsmauer verbauten ionischen Architravblöcke die Reste einer Bauinschrift entdeckte. Diese konnte nach dem Fund von fünf weiteren Blöcken zu der Stifterinschrift Λ[Ε]Ω[Ν]ΙΔΗΣ ΛΕΩΤΟΥ [Ν]ΑΞΙΟΣ ΕΠΟΙ[ΗΣΕ ergänzt werden. Somit war die Identifizierung des Gebäudes als Leonidaion gesichert und hierdurch ein wichtiger Fixpunkt für die Topographie von Olympia gefunden.

Da die Alten Grabungen im Wesentlichen auf die nördliche Hälfte des Leonidaion beschränkt blieben und der südöstliche wie südwestliche Quadrant des Gebäudes unberührt unter den mächtigen Schwemmschichten ruhten, konnten in den Winterkampagnen von 1954/55 und 1955/56 bis auf den gewachsenen Boden hinunterreichende Grabungen durchgeführt werden, die über die formal-stilistische Einordnung des Gebäudes hinaus die Datierung seiner einzelnen Bauphasen durch die Auswertung der Kleinfunde weiter präzisieren, das Leonidaion anhand der Stratigraphie mit der näheren baulichen Umgebung in Kontext setzen konnten und schließlich genauere Aussagen zur Vorgängerbebauung zuließen.

Wesentliche Resultate der Neuen Grabungen waren die Erkenntnis, dass das Areal im Südwesten der Altis bis in die Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. eine unbebaute Freifläche bildete, auf der um die Jahrhundertmitte hallenartige Gebäude entstanden, die nach nur kurzer Nutzungszeit bei der Errichtung des Leondaion um 340/330 v.Chr. wieder aufgegeben wurden. Die Auswertung der Stratigraphie führte dazu, dass die sogenannte byzantinische Festungsmauer nicht mehr ins späte 5. Jahrhundert bzw. in die Zeit Justinians, sondern in die 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts n.Chr. datiert und die weitgehende Zerstörung des Leonidaion ebenfalls in dieser Zeit angesetzt wurde.

1956 waren die Grabungsarbeiten am Leonidaion in ihrer Hauptsache abgeschlossen und es wurden in den beiden darauffolgenden Jahren nur noch vereinzelt stehen gebliebene Erdstreifen abgetragen und kleinere Aufräumungsarbeiten durchgeführt. Die Aufsicht über diese Arbeiten hatte Alfred Mallwitz inne, dem auch die architektonische Untersuchung des Leonidaion zugetragen war. Er war es auch, der in den folgenden Jahren immer wieder kleinere Arbeiten am Leonidaion anstieß. Auf seine Initiative entstand so die 1966 durch Klaus Herrmann und Joachim Arlt angefertigte steingerechte Aufnahme des Grundrisses im Maßstab 1 : 100. In den Jahren 1972 und 1983 untersuchte Mallwitz die ionischen Kapitelle, woraufhin er die Kelchkapitelle als Eckkapitelle der ionischen Halle ausweisen konnte. Nach seinem Tod wurden die Untersuchungen am Leonidaion durch Klaus Herrmann fortgesetzt. So begann man 1991 mit der Erfassung der rund 800 über das Grabungsgelände verteilten Bauglieder in Katalogform und setzte diese 1993 fort. In denselben Jahren wurden der westliche äußere Wasserkreis, der noch Bauglieder des Leonidaion in Sturzlage enthielt, vollständig ausgehoben und die Gesamtanlage photographisch dokumentiert. 1998 erfolgte die Aushebung der Verfüllung des Porosbrunnens im Zentrum der Hofanlage, deren Bearbeitung Christa Schauer obliegt. Mit den im Jahr 2000 durchgeführten Nachuntersuchungen an den Porosrinnen sowie am Wasserzulauf im nördlichen Hofbereich, die ebenfalls durch Klaus Herrmann durchgeführt wurden, endet die jüngere Forschungsgeschichte des Leonidaion.