Ergebnisse
Die Sichtung und Auswertung des Fundmaterials und die Auswertung der epigrafischen Dokumentation aus dem Bereich der gesamten Anlage XXVI, zu der mehrere pharaonische, koptisch nachgenutzte Felsgräber gehören, erbrachte als überraschendes Ergebnis die Identifizierung einer zweiten christlichen Kapelle in dem pharaonischen TT 378, das in die Anlage XXVI integriert war (vgl. Beckh (in Red.) a). Koptische Namensinschriften, z. T. im Zusammenhang mit Beterfiguren in der Anlage XXVI, stellten Bezüge und Übereinstimmungen mit Personen aus dem Hauptkloster her, die dort verschiedenen Aufgabenbereichen zugeordnet werden können. Diese Bezüge zum Hauptkloster konnten auch für die Anlage XXVII festgestellt werden. Die Personen des Hauptklosters und der Anlage XXVI und XXVII lassen sich damit alle dem Verband des Paulosklosters zurechnen, von dem aus Papyrusurkunden (z. B. P.CLT 1 und P.CLT5) bekannt ist, dass es drei Vorsteher hatte. Sehr wahrscheinlich lässt sich jeder zum Verband des Paulosklosters gehörenden Anlage (Hauptkloster, Anlage XXVI und XXVII) ein Vorsteher zuordnen (vgl. Beckh 2016, 743). Im Hauptkloster wurde eine Wandinschrift (Abb. 6) mit Namen hochrangiger Mönche gefunden, die einer spät zu datierenden Kirche des 8./9. Jhs. im Obergeschoss eines Raums zugeordnet werden kann. Dieser Fund wirft neues Licht auf die religiös-kultischen Beziehungen zwischen dem Hauptkloster und der Anlage XXVI, denn zwei der Namen auf der Wandinschrift des Hauptklosters tauchen auch als Namensgraffiti in der christlichen Kapelle in TT 378 in Anlage XXVI auf. Somit finden sich sowohl in Anlage XXVI als auch im Hauptkloster – jeweils an einem Sakralort – identische Namensinschriften an den Wänden. Die jeweiligen Personen können mittlerweile dem Elitezirkel der Klosterhierarchie zugeordnet werden (vgl. Beckh (in Red.) a + b). Die Grabungen in den beiden Unterkunftsgebäuden U1 und U2 des Hauptklosters zeigten, dass es archäologisch und architektonisch greifbare Umstrukturierungen am Kloster gab, die für die Frage nach der Entwicklung des Klosterverbands in die Untersuchung einbezogen werden müssen. Beide Bauten wurden etwa um die Mitte des 8. Jhs. stark erweitert, was wohl mit einer zeitweisen Vergrößerung des Klosters zusammenhängen dürfte, ehe dann wahrscheinlich im 9. Jh. der Niedergang erfolgte, der mit der Umnutzung einiger Mönchszellen einherging. Beim Ausbau wurden auch Arbeitsräume, in denen sich Webgruben (Abb. 7) befanden, unmittelbar durch direkte Zugänge einbezogen. Dies könnte möglicherweise mit einer Steigerung der Textproduktion zusammenhängen, die für das Kloster belegt ist. Obwohl alle Gräber ohne Beigaben sind, lassen sich dort dennoch sozialer Status und hierarchische Unterschiede vereinzelt feststellen. So konnten z. B. in einem äußerlich nicht hervorgehobenen Grab mehrere kostspielige und aufwendige Textilfragmente einer Wolltunika mit figürlichen und vegetabilen Mustern geborgen werden (Abb. 8). Der hier Bestattete hatte sehr wahrscheinlich einen höheren sozialen Status bzw. eine herausgehobene Stellung in der Klostergemeinschaft inne (vgl. Tatz (in Red.)). Auch Holzkreuze an den Gräbern konnten inschriftlich das Amt des Bestatteten nennen und damit, z. B. im Fall eine Diakons (Abb. 9), auch auf seine Stellung in der Klosterhierarchie hinweisen (A. Pülz (in Red.)). Die Auswertung der Texte auf Ostraka und anderen Textträgern zeigte, dass ein kleiner Kreis immer wieder auftretender Personen offenbar zum Elitezirkel des Klosters gehörte. Diese Personen wurden namentlich sowohl auf Räucherschalen für Weihrauch, in Wandinschriften, auf Amphoren (als Personen, die Waren annehmen) und offiziellen Papyrusurkunden (als Zeugen) genannt und weisen z. T. spezielle Sprachkenntnisse auf (z. B. Kenntnis der Kryptografie und der Verwendung von Ligaturen). Damit bilden sie eindeutig die Elite des Klosters, die sich durch ihre spezialisierten Kenntnisse und Aufgaben von den übrigen Mönchen absetzten (vgl. Beckh (in Red.) b; Hodak (in Red.)). Die Auswertung von Amphorenaufschriften, Namen auf Weihrauchschalen, Wandinschriften und Ostrakatexten, die dem Pauloskloster zugeordnet werden können, ermöglichte die Vervollständigung der Namensliste der Äbte. Dabei zeigte sich, dass die Identifizierung von Personen, die zum Kreis der monastischen Elite mit spezialisierten Aufgaben und Zuständigkeitsbereichen gehörten, vor allem durch eine Untersuchung verschiedener Quellen und Objekte mit klarer Herkunft – dem Pauloskloster – und aus deren Kontext möglich ist.
Die Klosterbibliothek:
Während der Grabungen wurden mehrere Tausend Papyrus- und Pergamentfragmente gefunden. Nach den unterscheidbaren Schriftformen und Textinhalten lässt sich die Anzahl der in Deir el-Bachît rekonstruierbaren Bücher auf mindestens 100 schätzen. Damit ist eine recht ansehnliche Bibliothek innerhalb des Hauptklosters zu verorten (vgl. Bielat/Schulz (in Red.).
Unter den bisher identifizierten Texten aus den Grabungen sind aus dem Neuen Testament die vier Evangelien in unterschiedlichen Handschriften (aus Pergament und Papyrus), die Paulusbriefe an die Korinther, Römer und Thessalonicher sowie die Offenbarung des Johannes erhalten. Bei den Texten des Alten Testaments handelt es sich um Jesaja und den Psalter (mehrfach in unterschiedlichen Handschriften, sowohl auf Papyrus als auch auf Pergament). Außerdem finden sich liturgische, homiletische und hagiografische Texte (Abb. 10) sowie Hinweise auf christliche Erbauungsliteratur (Apophthegmata Patrum). Unter den dokumentarischen und semiliterarischen Texten sind Fragmente von Briefen, Listen, Erbschaftsurkunden, Mietverträgen, Pachtquittungen, Steuerquittungen bzw. Geschäftsurkunden, Amulette und magische Texte überliefert. Die Texte sind auf Papyrus und Pergament überwiegend in Sahidisch, seltener in Griechisch und – aufgrund der Seltenheit besonders hervorzuheben - sogar in Latein verfasst, auf Papier auch in Arabisch.
Tätigkeiten der Mönche:
Aus der umfangreichen Gruppe der Artefakte, die in die spätantike und frühislamische Zeit datiert werden können, sind wichtige Rückschlüsse auf die Tätigkeiten der Mönche und den Handel mit Waren abzuleiten (A.M. Pülz (in Red.)). Ein Bleigewicht, Angelhaken und textile Fischernetze geben z. B. Aufschluss darüber, dass bei den Mönchen des Paulosklosters auch Fisch – vor allem Nilbarsch, von dem zahlreiche Fischwirbel gefunden wurden – auf der Speisekarte stand, und dass die Mönche sich selbst versorgten und fischten. Eine Feinwaage und eine Kippmünzwaage belegen darüber hinaus, dass am Kloster Münzen, kleine Gegenstände oder auch geringe Mengen an verschiedenen Materialien für den Klostergebrauch oder den Handel abgewogen wurden. Diese Waagen dürften vor allem die Mönche, die für Wirtschaftsangelegenheiten zuständig waren, bedient haben (A.M. Pülz (in Red.)). Die fünf bisher ausgegrabenen Webgruben, aber auch zahlreiche Holzutensilien und Werkzeuge (Webkämme, Trennstäbe usw.), die mit dem Weben im Zusammenhang stehen, dokumentieren die auch aus den Ostrakatexten bekannte Herstellung von Textilien am Kloster und den Handel damit (vgl. Sigl (in Red.), Tatz (in Red.); Sigl/Tatz (in Red.)).
Magische Lederhandschrift am Kloster:
In verschiedenen Arealen des Klosters wurden beschriftete Lederfragmente gefunden. Es handelt sich um abgeschnittene Lederstreifen und größere Fragmente mit Resten von Beschriftung (Abb. 11). Der Textinhalt deutet auf magische Praktiken und Zauberformeln hin. Infrarot-Aufnahmen (E. Peintner) zeigten in einem Fall außer der Beschriftung auch eine Figur, deren Darstellung auffällige Übereinstimmungen zu der Darstellung von Personen im berühmten „Cookbook“ (6.-7. Jh.) aus der Sammlung Hay aufweisen, das heute im British Museum aufbewahrt wird . Ob es sich um dieselben Handschriften handelt, deren Reste in Deir el-Bachît gefunden wurden, wird in enger Zusammenarbeit mit dem British Museum (E. O’Connell) untersucht. Bekannt ist jedenfalls, dass R. Hay in Deir el-Bachît gearbeitet hat, was aus Tagebucheinträgen und Skizzen in seinem „Sketchbook“ belegt ist, das heute in der British Library aufbewahrt wird.
Wiederverwendung pharaonischer Objekte:
Die mehr als 1000 pharaonischen Artefakte zeigen, wie intensiv die Verwendung von Spolien durch die Mönche war (Böhme (in Red.); Czok (in Red.); Jones (in Red.); Rummel 2011). Da das Umfeld – bis heute sichtbar – von der pharaonischen Vergangenheit geprägt war, haben die Mönche deren Überreste ganz selbstverständlich zum Bau des Klosters verwendet. Dabei war die innere Distanz zu den religiösen Inhalten der Vergangenheit bereits so groß, dass man offenbar keinerlei Bedenken hatte, religiöse pharaonische Texte und Grabbeigaben auch mit ihren Sichtseiten zu verbauen (Abb. 12).
Im hier durchgeführten Projekt zeigt sich immer wieder, wie wichtig es ist, das Fundmaterial nicht nur ausschnittweise oder nach Gattungen getrennt, sondern in seiner Gesamtheit als Quelle für Informationen in den Blick zu nehmen, um Ergebnisse zu den eingangs gestellten Fragen nach der Sakraltopografie, den Veränderungen in der Entwicklung des Klosters und zu den hierarchischen Strukturen und Lebensverhältnissen der Mönche zu erhalten. In Deir el-Bachît bietet sich durch den guten Erhaltungszustand der architektonischen Strukturen und die Vielzahl der aus den Grabungen geborgenen Fundobjekte und Texte diese differenzierte Vorgehensweise zur Untersuchung der Fragestellungen an.
Zitierte Publikationen:
T. Beckh, Monks, Magicians, Archaeologists - New results on Coptic settlement development in Dra‛ Abu el-Naga North/Western Thebes, in: P. Buzi, A. Camplani (Hrsg.), Coptic Society, Literature and Religion from Late Antiquity to Modern Times, Proceedings of the 10th International Congress of Coptic Studies, OLA 247 (Leuven 2016) 739-747.
Th. Beckh, Ante Portas – Extra Muros. Ein Survey zur koptisch-monastischen Besiedlung in Dra‘ Abu el-Naga Nord / Theben-West, SDAIK 48 (in Red.)
T. Beckh, Amphoren, Schalen und Personen – Überlegungen zum Klosterpersonal anhand der Keramik aus dem Pauloskloster (Deir el-Bachît), in: I. Eichner, D. Polz (Hrsg.), Das Pauloskloster in den Bergen von Djeme / Oberägypten. Eine Mönchsgemeinschaft am Rande der Wüste, SDAIK 44 (in Red.)
T. Beckh/J. Chameroy, Hidden away in the altar. Thoughts on the hoard of Byzantine gold coins from the Monastery of St. Paulos (Deir el-Bakhît), MDAIK 75, 2019 (erschienen 2020), 29–57. (Translation: C. Jones)
T. Beckh/I. Eichner/S. Hodak, Briefe aus der koptischen Vergangenheit. Zur Identifikation der Klosteranlage Deir el-Bachit in Theben-West, MDAIK 67, 2011, 15-30.
E. Bielat/M. Schulz, Papyri aus Deir el-Bachît. Stand der Bearbeitung und vorläufige Ergebnisse. Literarische Texte, in: I. Eichner, D. Polz (Hrsg.), Das Pauloskloster in den Bergen von Djeme / Oberägypten. Eine Mönchsgemeinschaft am Rande der Wüste, SDAIK 44 (in Red.)
I. Böhme, A Royal Sarcophagus and other Inscribed Spolia from the Monastery of Paulos (Deir el-Bakhît, Western Thebes) in: I. Eichner, D. Polz (Hrsg.), Das Pauloskloster in den Bergen von Djeme / Oberägypten. Eine Mönchsgemeinschaft am Rande der Wüste, SDAIK 44 (in Red.)
G. Burkard/M. Mackensen/D. Polz, Die spätantike/koptische Klosteranlage Deir el-Bachit in Dra’ Abu el-Naga /Oberägypten. Erster Vorbericht, MDAIK 59, 2003, 41-65.
T. Czok, Von Scheiben und Scherben. Ergebnisse zu den Glas- und Grabkegelfunden aus Deir el-Bachît, in: I. Eichner, D. Polz (Hrsg.), Das Pauloskloster in den Bergen von Djeme / Oberägypten. Eine Mönchsgemeinschaft am Rande der Wüste, SDAIK 44 (in Red.)
S.Hodak, The Ostraca of Deir el-Bachit and the „Anatolios-Zacharias Archive“. In: P. Buzi/A. Camplani/F. Contardi (Hrsg.), Coptic Society, Literature and Religion from Late Antiquity to Modern Times. Proceedings of the 10th International Congress of Coptic Studies, Rome, September 17th-22nd 2012, and Plenary Reports of the Ninth International Congress of Coptic Studies, Cairo, September 15th-19th, 2015. OLA 247 (Leuven 2016) 723-738.
S. Hodak, “Wir grüßen kniefällig” versus “Wegen unserer Schwäche aber haben wir euch nicht kniefällig gegrüßt”. Soziale Hierarchien und Interaktionen im Lichte der dokumentarischen Texte aus dem Pauloskloster (Deir el-Bachît), SDAIK 44 (in Red.).
Andreas Pülz, Kreuze aus dem Pauloskloster ‒ Deir el-Bachît. Ein Überblick, in: I. Eichner, D. Polz (Hrsg.), Das Pauloskloster in den Bergen von Djeme/Oberägypten. Eine Mönchsgemeinschaft am Rande der Wüste, SDAIK 44 (in Red.)
C. H. Jones, “Media vita in morte sumus”: Funerary objects in the midst of a living community. A preliminary overview of pharaonic finds and modes of reuse in the Monastery of Paulos (Deir el-Bakhît), in: I. Eichner, D. Polz (Hrsg.), Das Pauloskloster in den Bergen von Djeme / Oberägypten. Eine Mönchsgemeinschaft am Rande der Wüste, SDAIK 44 (in Red.)
U. Rummel, Two re-used blocks of the God’s Wife Isis at Deir el-Bakhit/Dra’ Abu el-Naga (Western Thebes), in: M. Collier, S. Snape (eds.), Ramesside Studies in Honour of K.A. Kitchen, Bolton 2011, pp. 423–431.
U. Rummel, Die Wirtschaftsanlagen des Paulosklosters (Deir el-Bachît) in der Doppelgrabanlage K93.11/K93.12 in Dra’ Abu el-Naga, in: I. Eichner – D. Polz (Hrsg.), Das Pauloskloster in den Bergen von Djeme / Oberägypten (6.-10. Jh. N. Chr.). Eine Mönchsgemeinschaft am Rande der Wüste. SDAIK 44 (in Red.)
J. Sigl, Reconstructing the pit-loom used in the first millennium CE in Upper Egypt based on archaeological evidence, in: I. Eichner, D. Polz (Hrsg.), Das Pauloskloster in den Bergen von Djeme / Oberägypten. Eine Mönchsgemeinschaft am Rande der Wüste, SDAIK 44 (in Red.)
J. Sigl/S. Tatz, Dra‘ Abu el-Naga 7 (AV 130). Das Kloster Deir el-Bachît. Webstühle und Textilien (in Red.)
S. Tatz, Kleidung im Pauloskloster. Monastische Gruppenidentität zwischen habitus und Mode, in: I. Eichner, D. Polz (Hrsg.), Das Pauloskloster in den Bergen von Djeme / Oberägypten. Eine Mönchsgemeinschaft am Rande der Wüste, SDAIK 44 (in Red.)
S. Tatz, New finds from old excavations in Western Thebes. 19th century’s scholars at and the textiles from Deir el-Bachît: A. de Moor / C. Fluck / P. Linscheid (Hrsg.), Explorers, first collectors and traders of textiles from Egypt of the 1st millennium AD. Proceedings of the 11th conference of the research group „Textiles from the Nile valley“, Antwerp 2019 (Tielt 2021)
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Abb. 2. ÖAW_Deir el-Bachit_20200714 ( Öaw_deir el-bachit_20200714) Refektorium. Sitzringe und Überreste von Tischen in der Mitte
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