Forschung
Die großen archäologischen Stätten in Athen, zu denen der Kerameikos neben der Akropolis, der Agora, dem Olympieion und der Akademie Platons gehört, bieten insgesamt einen umfassenden und diachronen Einblick in die verschiedenen Sphären des antiken Lebens und der antiken Gesellschaft. Schwerpunkte der archäologischen Forschung im Kerameikos sind insbesondere der Grabkult und verschiedene Bereiche des Alltagslebens: Wasserversorgung, Straßenverkehr, Kultbetrieb, Verteidigungsanlagen sowie die athenische Keramik- und Terrakottenproduktion.
Die Bedingungen für breit angelegte Forschungen sind hier geradezu ideal, weil viele Denkmäler durch Inschriften oder antike Quellen identifiziert sind und weil durch die Ausgrabungen ein umfangreiches Material an Sachfunden zur Verfügung steht. Außerdem ist etwa ein Viertel des Geländes bislang nicht abschließend untersucht. Ein großer Teil der gut dokumentierten Grabungsbefunde wird aktuell von einem Team internationaler Wissenschaftler für die Publikation vorbereitet.
Die derzeitigen Forschungen werden vorrangig unter drei Gesichtspunkten weitergeführt:
Heiligtümer im Kerameikos, Wassermanagement im antiken Athen, Töpferproduktion
Voraussetzung für die Töpferproduktion im Kerameikos war eine ausreichende Wasserversorgung der Werkstätten. Angesichts des Wasserbedarfs der Töpfer und anderer Handwerker im Gelände vor den beiden Toren und bedingt durch den Fluss Eridanos, der das Gelände durchquert, wurde in der Antike in Athen erheblicher Aufwand für die Sicherstellung der Wasserversorgung und -entsorgung betrieben. Davon zeugen zahlreiche Brunnen, Zisternen, Wasserleitungen und Abwasserkanäle sowie Überlaufeinrichtungen am Eridanoskanal, die bei den Grabungen ans Licht gekommen sind. Für die Wasserleitungs- und Kanalsysteme, denen zweifellos umfangreiche Planungen vorausgingen, war die Polis verantwortlich.
Forschungen am Rundbad 2011 - 2015 [Bild: Zisterne 15]
Seit 2011 gelten die aktuellen Forschungen einer antiken Badeanlage, die am Rand der Kerameikosstraße vor dem Dipylon liegt. Die Lage ermöglicht die Identifizierung mit einem in antiken Quellen genannten Bad. Die Anlage entstand in der zweiten Hälfte des 5. Jhs.v.Chr. und blieb mit Veränderungen bis in hellenistische Zeit in Betrieb. Zwei in den Jahren 2011 und 2012 untersuchte unterirdische Zisternensysteme sowie ein 2013 untersuchter Brunnen gehören zu dieser Badeanlage. Aufgrund der Baugeschichte muss die ältere Zisternenanlage im 5., die jüngere im 4. Jh. v. Chr. angelegt und in Betrieb gewesen sein. Unterschiede in Bauweise, Form und Funktion können als Ergebnis eines Erkenntnisfortschritts in der Wasserbautechnik klassischer Zeit verstanden werden. Im Rahmen der Ausgrabungen des Brunnens wurden 2013 zwei gut erhaltene weibliche Porträtköpfe aus dem späteren 3. Jh. n. Chr. gefunden [Link einfügen, Photo].
Forschungen zu Heiligtümern im Kerameikos [Bild: Tritopatreion, Südhügel-Heiligtum, Hekateion, Tagungsprogramm]
Die Erforschung der Heiligtümer im Kerameikos, also im stadtnahen Areal außerhalb und im Bereich der beiden Tore, konzentrierte sich 2005 bis 2015 auf die Erforschung dreier Hofheiligtümer vor der Stadt: das Heiligtum einer unbekannten Gottheit an der Heiligen Straße, das Heiligtum der Tritopatores zwischen der Heiligen Straße und der sog. Gräberstraße sowie das Heiligtum der Artemis Soteira-Hekate südlich der Grabterrassen an der Gräberstraße. Die Ergebnisse wurden am 8. April 2014 auf einer Tagung aus Anlaß des 100jährigen Jubiläums der Kerameikosgrabung präsentiert und in einen größeren Rahmen gestellt. Die Publikation der Tagungsakten ist derzeit in Arbeit.
Programm der Verbindung archäologischer Stätten in Athen
Der Plan, unter den verschiedenen Ausgrabungsgebieten in der Stadt Athen (Olympieion, Akropolis, Agora, Kerameikos, Akademie) eine bessere Verbindung herzustellen (sog. Enopiisi-Projekt), hat in den letzten Jahren dank finanzieller Unterstützung durch die EU greifbare Formen angenommen. Davon ist auch das Kerameikosgelände mit seinen gegenwärtigen Einrichtungen (Museum, Magazine) betroffen. Die Federführung für dieses Projekt liegt bei einem eigenständigen Gremium, das dem griechischen Kulturministerium unterstellt ist. 2011 ist die Erforschung eines ca. 4 300 m2 großen Areals im Südwesten des Kerameikos beschlossen werden.
Restaurierungsprojekt 2012 [Bild: Nische]
Die Baudenkmäler im Kerameikos waren zumeist schon in der Antike durch Erdbeben und Kriege sowie seit der Spätantike bis in die Neuzeit hinein vor allem durch Steinraub in ihrer Substanz angegriffen. Seit der Ausgrabung und den anschließenden ersten Restaurierungsarbeiten sind vielfach erneut Schäden an den Ruinen aufgetreten, die besonders mit den heutigen Umweltbedingungen in Zusammenhang stehen. Daher wurde 2012 ein umfangreiches Restaurierungsprojekt begonnen. Die Maßnahmen gelten zunächst vor allem dem Heiligen Tor, dem Rundbad, dem Lakedaimoniergrab, dem Monument beim 3. Horos sowie dem Heiligtum der Hekate / Artemis Soteira. Die Ausführung der vom DAI finanzierten Maßnahmen wurde einem Berliner Architekturbüro übertragen.
Die ersten wissenschaftlichen Ausgrabungen auf dem Gelände des Kerameikos wurden bereits 1863 von der Griechischen Archäologischen Gesellschaft begonnen; allein dieser Tatsache ist es zu verdanken, dass die dort freigelegten antiken Denkmäler für die Wissenschaft und für die Besucher gerettet worden sind. 1913 wurde das Gebiet der Abteilung Athen des Deutschen Archäologischen Instituts zur weiteren Erforschung übertragen. Das hundertjährige Jubiläum der deutschen Grabungstätigkeit im Kerameikos wurde 2013 mit einem großen Festakt gefeiert [Link].
In dem durch Grundstücksankäufe nach und nach auf 38 500 qm angewachsenen Gelände werden fast jährlich systematische Ausgrabungen durchgeführt. Die Abteilung ist auch für die Restaurierung der Denkmäler und die Pflege des Geländes verantwortlich.
[2 Bilder Museum]
Während die Funde aus älteren Grabungen in das Nationalmuseum von Athen gelangt sind, verblieben die Funde seit Beginn der deutschen Ausgrabungen im Kerameikos. Die bedeutendsten Funde sind im Kerameikosmuseum öffentlich ausgestellt, das aus Stiftungsmitteln des deutsch-amerikanischen Industriellen Gustav Oberländer (1867–1936) nach Plänen des Architekten Heinz Johannes (1901–1945) errichtet worden ist. Anlässlich der Durchführung der Olympischen Spiele in Athen 2004 erfolgte, teilfinanziert aus Mitteln der Europäischen Gemeinschaft, durch die 3. Ephorie für Prähistorische und Klassische Altertümer in Athen eine Erneuerung des Museums und der Ausstellung. In die Neuaufstellung aufgenommen wurde ein spektakulärer Fundkomplex archaischer Skulpturen, die im Jahr 2002 vom Deutschen Archäologischen Institut am Heiligen Tor ausgegraben worden waren [Photos Kuros, Sphinx].
Anhand ausgewählter Beispiele wird im Museum die kontinuierliche Entwicklung der Grabsitten, der Grabbeigaben und des Grabschmuckes über mehr als ein Jahrtausend von submykenischer Zeit (11. Jh. v. Chr.) bis in den Ausgang der Antike veranschaulicht. Wegen der beschränkten Ausstellungsfläche ist die Masse der Funde jedoch magaziniert.
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