Forschungen und Denkmalpflege am Orakel des Jupiter-Ammon (Ammoneion) in der Oase Siwa

Aghurmi, Tempelberg von O © DAI Kairo // K. P. Kuhlmann

Ergebnisse

Die Erstellung einer archäologisch-topographischen Grundkarte sowie eines Schichtenplans zur Evaluierung der geologischen Gegebenheiten am Tempelberg standen am Beginn des Projekts. Die Grabungsarbeit konzentrierte sich anfänglich auf Umm Ubayda, sodann auf den zwischen diesem Tempel und Aghurmi befindlichen Bereich, wo am Fuß des Burgbergs Grundmauern einer die Heiligtümer verbindenen Prozessionsstrasse (? "dromos") sowie Fundamentreste eines Bauwerks evtl. dorischen Ordnung freigelegt wurden. Der Orakel-tempel wurde bis auf das Felsniveau von neuzeitlichen Schutt- und Einbauresten befreit, einer detaillierten Bauaufnahme unterzogen und die Verteilung des aus verschiedenen Steinbrüchen stammenden Blockmaterials sowie der Schäden (Ersosion, Salz) kartiert. Die Dekoration im Allerheiligsten wurde 1:1 zeichnerisch dokumentiert. Mit der Erfassung des (durchweg aus gestörten Schichten geborgenen) Keramikbefunds wurde begonnen. Die strukturelle Sicherung des Bauwerks erfolgte zunächst temporär mittels eiserner Stützwerk-Konstruktionen; sie wurden inzwischen durch permanente, möglichst schonende und unauffällige Maßnahmen an den gefährdeten Teilen von Gebäude und Felsfundament ersetzt. Geologische und mineralogische Untersuchungen begleiteten diesen Projektabschnitt. Von 1998 - 2001 flossen alle Anstrengungen und Geldmittel nahezu ausschließlich in die Umsetzung dieser technisch aufwendigen Maßnahmen.

Auf Aghurmi wurden ab 2002 die Senke um den hlg. Brunnen im südlichen Tempel-Vorbereich, der Königspalast sowie größere Bereiche nordöstlich des Tempels sowie am Südost- und Südwest-Rand der Akropolis freigelegt. 2006 erfolgte die Wiederaufnahme der Grabungen in UB. sowie im südlichen dromos-Bereich. Als bedeutendes Monument des lokalen Kulturerbes und neuzeitlicher Baukunst wurde 2004/05 mit Mitteln des Auswärtigen Amtes die "kershif" - Moschee von Aghurmi vollständig restauriert. Bedingt durch die schwer kon-trollierbare Lage nahe der Libyschen Grenze haben die Militärb ehörden seit 2010 keine Arbeitsgenehmigungen mehr erteilt.

Bautechnische Details (opus pseudo-isodomum, Zahnmeisselspuren, Art der (Lagerfugen-) Anathyrose, Wolfslöcher) sowie griech. Steinmetzmarken belegen das Wirken archaisch griech. Baumeister, wie z. B. auch an der Achaemeniden-Residenz Pasargadae. Ungewöhnlich ist der (an Vorbildern des Niltals abgeschaute) Verguss der Schalenfüllung von Läuferlagen und Mauerfugen des Orakeltempels mit (anhydr.) Gips(milch). Dies zeitigte (im Verein mit dem Felsfundament) auch ohne Verklammerung hohe Standfestigkeit, auf-grund derer man auf einen regulären Eckverband verzichten und Querwände nur über vereinzelte Lagen in die Längswände einbinden zu können glaubte. Hinsichtlich der Grundgliederung (Vorhof> (Schein-) Pronaos> zwei Hallen> Allerheiligstes), Bauplastik (kannelierte äg. Säulen, Hohlkehle, torus) und Dekoration (äg. Götterfiguren, hieroglyph. Texte) orientiert sich der Tempel an äg. Vorgaben. Mit einer nur (vermittels Leiter) über einen verborgenen Gang und das Dach zugänglichen "Geheimkammer" über dem Allerheiligsten wurde den Erfordernissen des hinter verschlossenen Türen dort für hohen Besuch abgehaltenen äg. "Königsorakels" Rechnung getragen. Im Fels unter sowie unmittelbar neben dem Tempel wurden fünf Schachtgräber lokalisiert, von denen zwei vor oder um den Zeitpunkt der Erbauung datieren müssen. Obwohl undekoriert und von roher Ausführung, erinnert ihre Lage an königliche Bestattungsbräuche im spätzeitlichen Niltal. Fragmente heute verlorener Bausubstanz auf Aghurmi lieferten durch ihre Dekoration u.a. den für die Datierung wichtigen, bislang disputierten Namen des Amasis sowie Anhaltspunkte für die Existenz eines äg. dekorierten Tores, vermutlich des Pylons zum Vorhof des Orakeltempels. Die Akropolis war nicht mit den übrigen „Städten der Ammonier“ (Diodor) vergleichbar, in denen die Bevölkerung „in dörflicher Gemeinschaft“ („komēdōn“) hauste. In unmittelbarer Nachbarschaft des Amun lebte außer Angehörigen der Königsfamilie wohl nur die hoehere Priesterschaft sowie Dienst- und Wachpersonal. Als Bühne der öffentlichen Prozessionsorakel diente nach äg. Vorbild anscheinend ein dromos, welcher die axial auf einander orientieren Heiligtümer (Aghurmi>S, Umm Ubayda>N) verband. Geradewegs nach UB. zielende Ashlarstrukturen wurden am Fuß der Akropolis ergraben, ebenso ein perpendikulär hierzu orientiertes Bauwerk evtl. dorischer Ordnung (Kapitell-, Triglyphen-, Guttaespolien auf Aghurmi). Markierungen gemäß dem griechischen Zahlenalphabet datieren es schwerlich vor die 2. Hälfte des 3. Jh. v. Chr., vielleicht aber auch erst in die Römerzeit (äg.-griech. Mischstil?). Von Nektanebos II. (360 - 342 BC) vor dem Hintergrund erneuter persischer Bedrohung vermutlich als politische Geste für den Ammonier-König Wenamun errichtet, stellt der (rein äg.) Grabtempel in Umm Ubayda aufgrund extensiven Steinraubs vor erhebliche Interpretationsprobleme. Am Ende des dromos wurde die Barkenprozession in einem quergelagerten Kolonadenhof empfangen. Vor der Tempelhausfassade lag ein von Palmsäulen getragenes Bauglied. Entlang der Ostseite erstrecken sich Reste einer 20m breiten, rd. 100 m verfolgbaren Ashlar-Plattform unbekannter Funktion (ambulatio des Gottes?), an die sich die Brunnenanlage des Heiligtums anschloss ("Sonnenquelle"?). Der Tempel war von einer ca. drei Meter breiten, auf großen Ashlarblöcken ruhenden Mauer (Stein; Lehmziegel?) umgeben. Südlich des Tempelhauses schoss sich eine Krypta mit Sargkammer und Sarkophagen aus Alabaster an. Die unterirdische Anlage rd. dreieinhalb Meter unter den Gehniveau des Sanktuars gelegen, maß rd. 7,90 m x 10,80 m und barg, den erhaltenen Sarkophagbruchstücken nach zu urteilen, wenigstens zwei Bestattungen. Der aus großen Monolithen lokalen Alabasters gefügte Sargkammer war mit hierogl. Texten (Spuren), die Decke mit äg Schutzmotiven (Geier; Falken) bemalt. In Fundamentierungslagen verbaute Bruchstücke griech. Weiheinschriften von Stiftern aus Barke, Sparta und Kreta zeugen von Um- bzw. Neubauten des Dromos.

Seit ewigen Zeiten an eine äg. Präsenz in den benachbarten Oasen (Baharia, Dachla,Charga) sowie entlang der Küste gewöhnt, standen die Ammonier gewiss längst vor Amasis’ Thronbesteigung in kulturellem Austausch mit Ägypten. Seit der Gründung Ky-renes verband sie ein offenbar besonders Geschäftsinteresse (Wallfahrts - "Tourismus", Fernhandel) mit der Pentapolis. Die verfügbaren Indizien - die Existenz einer Kaste ammonischer „Späher“ (skopoi), unter denen man wohl wüstenerfahrene Karawanenführer verstehen darf; kyrenäische Gesandtschaften in Siwa, die Wüstenwege in Richtung der vermuteten Nilquellen diskutieren (Herodot II.32); die Adoption des als Pendant des „Pan Euhodos“ der Ostwüste als Schutzpatron der Reisenden in der Westwüste verehrten („Kraft verleihenden“-) Amun (-Nacht) unter die Stadtgötter Kyrenes; insbesondere aber die enorme griech. Investition in die architektonische „Monumentalisierung“ des Burgfelsens von Aghūrmī, die nur auf Grundlage einer profitablen Geschäftsbeziehung verständlich wird – legen den Schluss nahe, dass es die griech. Kolonisierung Libyens und in erster Linie Handelsinteressen der Kyrenäer (Gold und Luxusgüter aus dem sagenumwobenen "Goldland" Nubien) waren, denen die auf internationaler Ebene bislang bedeutunglose Oase Siwa den Schritt ins Licht der Geschichte verdankte.