Die ›Attius Philippus-Mauer‹ in Side, Pamphylien

Side: Blick vom Theater auf die Abschnitte der sogenannten Attius Philippus-Mauer südlich des Theaters © K. Piesker // K. Piesker

Forschung

Side, dem Namen nach die Stadt des Granatapfels, wurde auf einer natürlichen Halbinsel an der türkischen Südküste – zwischen Attaleia/Antalya und Korakesion/Alanya – angelegt. Die Stadt scheint bereits am Ende des Hethitischen Großreichs (um 1200 v. Chr.) existiert zu haben. Die überlieferten Monumente datieren indes fast ausschließlich in die römische Kaiserzeit und in byzantinische Zeit. Ab 1947 wurden in Side großflächige Grabungen unter der Leitung von Arif Müfid Mansel durchgeführt. Jale İnan setzte diese Arbeiten von 1966 bis in die 1970er Jahre fort. Schwerpunkt waren die antiken Monumente. Freilegungen unter Ülkü Izmirligil waren ab 1982 auf das Theater und sein unmittelbares Umfeld konzentriert. Seit 2008 liegt die Grabungsleitung bei Hüseyin Sabri Alanyalı und der Anadolu Üniversitesi in Eskişehir.

In der römischen Kaiserzeit nahm Side die gesamte Halbinsel ein. Eine gut erhaltene Landmauer aus dem lokal anstehenden Konglomeratgestein trennte die Stadt vom Festland. In byzantinischer Zeit wurde an der engsten Stelle der Halbinsel die sogenannte Attius Philippus-Mauer errichtet. Sie teilte die bestehende Stadt in zwei etwa gleich große Teile. Die aus Spolien errichtete Mauer sitzt, wenn möglich, auf älteren Bauten auf, z. B auf dem Bühnengebäude des römischen Theaters und auf einer byzantinischen Zisterne. Wichtige Anlagen und Bauten wie die Agora mit dem Tychetempel, die ›Staatsagora‹ mit dem Kaisersaal, aber auch die größte Kirche der Stadt, die mutmaßliche Bischofsbasilika, und der anschließende mutmaßliche Bischofspalast blieben draußen. Die ›Attius Philippus-Mauer‹ ist zudem aus Spolien errichtet – gemeint sind an dieser Stelle wiederverwendete Glieder antiker Bauten. Die Errichtung der Mauer setzt zwangsläufig deren zumindest partielle Zerstörung voraus. Die ›Attius Philippus-Mauer‹ griff nachhaltig in die Stadt ein. Die Frage ist: Wann und warum?

In den letzten 50 Jahren wurden auffallend unterschiedliche Datierungs- und Deutungsvorschläge für die Mauer vorgelegt, die mit unterschiedlichen historischen Szenarien verknüpft sind. Es gibt keine literarischen Nachrichten über den Mauerbau. Ob es sich bei der, in einem runden Mauerabschnitt an der Hauptstraße der Stadt, unweit des Bogentors, verbauten Inschrift um eine Bauinschrift für die Mauer handelt, wurde und wird heiß diskutiert. Die Inschrift belegt die Stiftung eines öffentlichen Baus durch Attius Philippus, ein Vikar, der den Ehrentitel »comes primi ordinis« führte. Die Inschrift wird in die zweite Hälfte des 4. oder an den Beginn des 5. Jhs. datiert – die Zeit der Angriffe der Isaurer, die wiederholt in Pamphylien einfielen. Genau darin sah Mansel den Anlass für den Mauerbau. Er bewertete die Inschrift als Bauinschrift – daher der Name ›Attius Philippus-Mauer‹.

Der heftigste Kritiker dieser These ist Clive Foss. Auch er interpretierte die Mauer als Wehrmauer, datierte sie jedoch in das 7. Jahrhundert – als Schutz vor den Persern und/oder Arabern. Christian Gliwitzky schlug zuletzt eine mittelalterliche Datierung vor, weil noch in mittelbyzantinischer Zeit qualitativ hochwertige Einbauten im Bischofspalast – außerhalb der Mauer – nachweisbar sind. Im Gegensatz zu Mansel, Foss und Gliwitzky bezweifelt Urs Peschlow die Verteidigungsfunktion der Mauer. Er regt an, dass sie ein Symbol städtischer Macht darstellt, errichtet in frühbyzantinischer Zeit, d. h. im 5./6. Jahrhundert – eine Zeit, die zu den Blütephasen der Stadt gehörte.

Die Vorschläge reichen also von der 2. Hälfte des 4. bis in das 11./12. Jahrhundert. Sie basieren auf historischen Überlegungen und Beobachtungen vor Ort, nicht auf einer sorgfältigen Untersuchung der Mauer als Quelle ihrer Geschichte und auch nicht auf Grabungen zur Klärung der Nutzung bzw. Nicht-Nutzung ihres Vorfelds. Hier setzte das Feldforschungsprojekt an.

Hauptziel des Projekts war eine zuverlässige Datierung der sogenannten Attius Philippus-Mauer und eine darauf aufbauende Bewertung der Folgen ihrer Errichtung für die urbane Entwicklung von Side. Die bauforscherische Untersuchung der Mauer diente vor allem der Klärung folgender Fragen: War sie überhaupt eine Wehrmauer, d. h. bildete sie eine geschlossene Verteidigungslinie und bot sie ausreichende Möglichkeiten für eine aktive oder passive Verteidigung der Stadt? War ihre Errichtung mit der Schaffung eines freien Vorfelds verbunden? Woher kam das Baumaterial? Lässt sich eine systematische Spolierung und damit eine bewusste Aufgabe bestimmter Bauten nachweisen? Wie datiert die Mauer, und warum wurde sie errichtet?

Um die gestellten Fragen in der knappen zur Verfügung stehenden Zeit zu beantworten, wurde im Jahre 2013 ein Hauptuntersuchungsbereich definiert, gereinigt und im gleichen und folgenden Jahr im Detail dokumentiert. Es handelt sich um den etwa 180 m langen Abschnitt von dem durch einen Saillant geschützten Südtor bis zum Theater. Der Abschnitt wurde ausgewählt, weil er besonders gut erhalten, am ehesten als Verteidigungsmauer anzusprechen und relativ wenig durch frühere Grabungen verunklärt ist. Hinzu kommt, dass bei einer Begehung 2012 beobachtet wurde, dass die Kurtinen südlich des Theaters auf einer älteren Konglomeratmauer aufsitzen, die Hinweise zur Vorgeschichte der Spolienmauer und damit zur hellenistisch-römischen Urbanistik von Side versprach.

Um die Baubefunde aufzunehmen, musste zunächst der stellenweise sehr intensive Bewuchs entfernt werden. Anschließend wurden die Maueransichten photogrammetrisch, die Grundrisse und diverse Schnitte im tachymetrisch unterstützten Handaufmaß aufgenommen. Im Jahr 2015 wurde die Dokumentation der Kurtinen und Türme im Hauptuntersuchungsbereich durch eine systematische Begehung und Dokumentation der Abschnitte der Mauer nördlich davon ergänzt, um Thesen zu einem schrittweisen Auf- und Ausbau der Mauer zu überprüfen. Begleitende Sondagen unter der Leitung von Feriştah Soykal-Alanyalı (2013–2015) von der Anadolu Universität in Eskişehir dienten der Untersuchung des Vorfelds der Mauer.

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Side: Kurtine 3 mit Turm 2 südlich des Theaters © K. Piesker // K. Piesker
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Side: Turm 2 nach der Reinigung 2013 © K. Piesker // K. Piesker
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Side: Turm 2 vor der Reinigung 2013 © K. Piesker // K. Piesker
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Side: Kurtine 3 und südliche analemma-Mauer des Theaters © K. Piesker // K. Piesker
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Side: Durch Turm 2 nachträglich verdeckte Schießscharte der älteren Spolienmauer © K. Piesker // K. Piesker
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Side: Bogentor, Nymphäum mit den drei Becken und Mauerabschnitt mit der Inschrift des Attius Philippus © K. Piesker // K. Piesker
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Side: Zugesetzte Öffnung in die nördliche Kammer auf der Außenseite des Theaters und benachbarte Latrine © K. Piesker // K. Piesker