Ergebnisse
Stadttopographie Bosporus
Von besonderer Bedeutung sind die Untersuchungen an den beiden wohl bedeutendsten Holzbauwerken Istanbuls, dem Sadullah Paşa Yalısı und dem Amcazade Yalısı. Beide Gebäude wurden zum ersten Mal im Hinblick auf ihre konstruktiven Besonderheiten untersucht. Die Bauaufnahme des Sadullah Paşa Yalısı entstand 2003 und führte auch zu einer intensiven Beschäftigung mit der Lichtführung des Gebäudes und dem Verhältnis zum Außenraum.
Im Winter 2007/2008 konnte eine Inkunabel der osmanischen Baugeschichte unter die Untersuchungsobjekte gereiht werden: Das Amcazade Yalısı bei Anadolu Hisarı. Das heute noch existierende Gebäude steht stellvertretend für eine große Anlage, die sich an einem länglichen Uferstreifen der asiatischen Bosporusseite ursprünglich aus mehreren großen Holzhäusern aufreihte. Bereits im 17. Jahrhundert war hier nach historischen Quellen ein Sommerpalast der Familie Köprülü angelegt worden. Die Anlage bestand spätestens im 18. Jahrhundert aus den klassischen Komponenten des selamlık und haremlik – hier ungewöhnlich weit voneinander entfernt – und einer Reihe von Nebengebäuden. Vom haremlik sind nur noch Reste der Fundamentmauern vorhanden, das Gebäude ist bereits Ende des 19. Jahrhunderts abgebrochen worden.
Nur noch der selamlık ist in aufgehenden Teilen des Holzgebäudes erhalten und auch dieses Gebäude ist in verschiedene Komponenten zergliedert, deren Erhaltungszustand sehr unterschiedlich ist. Der Hauptbaukörper stammte aus der Mitte des 19. Jahrhunderts und ist nur noch in der südlichen Raumzeile des Erdgeschosses und in einigen Querwänden erhalten. Etwas nach Süden versetzt schließt an die westliche Schmalseite des selamlık der divanhane an.
Diesem Gebäude – eigentlich eine räumliche Komponente des selamlık – verdankt die Anlage ihre weit über andere osmanische Holzhäuser des Bosporus reichende Berühmtheit, es gilt als die Verkörperung des türkischen Holzhauses schlechthin. Das Gebäude wird in das ausgehende 17. Jahrhundert datiert und gilt damit als ältestes Holzhaus von Istanbul. Die bestechend klare Grundrissfigur wurde aus der T-förmigen Anordnung des dreifachen eiwans gewonnen, dessen zentrales Quadrat von einer Kuppel überspannt wird. Spektakulärstes Element in der Außenerscheinung des divanhane ist der nach Westen weisende Schenkel des Grundrisses, der weit über die Uferkante in den Bosporus hinausragt und sich dabei auf geschweifte Konsolen stützt. Diese malerische Ansicht des Gebäudes ist seit dem 18. Jahrhundert immer wieder dargestellt worden.
Während der Außenbau wahrscheinlich von Anfang an weitgehend schmucklos geblieben ist, entwickelt sich im Inneren eine ungeheure Prachtentfaltung. Die Holzkuppeln waren ursprünglich mit Leinwand bespannt, bemalt und reich vergoldet. Geschnitzte und vergoldete Leisten gliedern die Wandflächen, deren bestimmendes Element jedoch eine Reihung großer Paneele mit gleichartigem Blumendekor ist. Darunter folgt ein durchlaufendes, die Horizontale betonendes Fensterband, das von fast allen Blickwinkeln aus den Blick auf das Wasser und die gegenüberliegende Uferzone freigibt.
Durch jahrzehntelange Vernachlässigung befindet sich das Gebäude in schlechtem Zustand, doch ist ein neues Vorhaben zu seiner Restaurierung geplant. In dessen Vorfeld wurde die gründliche Bauaufnahme angefertigt, die erstmals auch den konstruktiven Aufbau des Gebäudes in allen Einzelheiten mit einbezog. In der Schnittzeichnung wird die Konstruktionsweise des tragenden Gerüsts und der hölzernen Scheingewölbe deutlich.
Zu den frühen Holzbauten des asiatischen Ufers tritt komplementär die Studie zur historischen Sommerresidenz des deutschen Botschafters in Tarabya als Fallbeispiel des 19. Jhs. Das Parkgelände in Tarabya war 1880 dem deutschen Reich von der Hohen Pforte zum Geschenk gemacht worden, mit der Auflage, hier eine Sommerresidenz zu errichte. Zuvor hatte sich dort das yalı einer griechischen Familie befunden, das vor der Schenkung abgebrochen worden war. Durch eine englische Baugesellschaft, die Constantinople Land and Building Company, ließ die Botschaft ab 1885 eine Anlage errichten, die im cottage style mehrere Einzelgebäude zu einem Ensemble vereinte. An den Planungen war auch der Architekt und Bauforscher Wilhelm Dörpfeld beteiligt.
Diese Gruppe von Holzhäusern vertritt charakteristische Elemente der Stilentwicklungen, die das Bauwesen Istanbuls in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. erfasst hatten. Dabei treten die osmanischen Bautraditionen hinsichtlich des Raumprogramms und der Fassadengestaltung hinter eine stärker internationale, an westlichen Vorbildern orientierte Architektursprache zurück. Als verbindendes Element verbleiben das Baumaterial und einzelne Ordnungsmuster.
Bild: Überblick über die Bauten der Sommerresidenz
2003 konnte eine erste Untersuchung des Baubestands durchgeführt werden, die 2005 durch eine landschaftsarchitektonische Studie der TUB Cottbus über das ausgedehnte und bedeutende Parkgelände mit seiner reichen Vegetation ergänzt wurde. 2013 konnte dann mit dem Kutscherhaus erstmals ein Einzelgebäude im Vorfeld seiner Restaurierung detailliert dokumentiert werden. Dabei stellte sich heraus, dass das solide Eichengerüst des Funktionsbaus aus Hölzern besteht, die über den Bosporus geflößt worden waren.
Zu den Bauten der zweiten Generation in Tarabya gehört das sog. Matrosenhaus, das 1894 auf einer osmanischen Gewölbesubstruktion errichtet wurde. Das minimierte und zum stark improvisierte Holzgerüst des 2014 untersuchten Gebäudes steht im Gegensatz zum kräftigeren Eichenfachwerk des Kutscherhauses. Stellvertretend für die letzte Phase des Istanbuler Holzbaus ist hier eine starke Abnahme der konstruktiven Qualitäten feststellbar, die den Niedergang dieser Bauweise begleitete. Die Untersuchungen an den Holzbauwerken von Tarabya sollen in den nächsten Jahren fortgesetzt werden.
Holzhäuser auf den Prinzeninseln
2007 konnte erstmals eine Untersuchung an einem Holzgebäude auf dem Archipel vor den Toren der Metropole durchgeführt werden. Es handelt sich um das Wohnhaus Altın Ordu Cad. 20 auf Büyükada. Das schmale Holzhaus auf lang gestrecktem Grundriss wurde an der Wende zum 20. Jahrhundert errichtet und weist Elemente eines verhaltenen Jugendstils auf. Der Grundriss und die Gebäudekonzeption sind ganz von europäischen Mustern bestimmt.
2009 konnte mit der Dokumentation des Apostolidis Köşk auf Heybeli Ada ein prominentes Objekt in die Forschungen auf den Prinzeninseln einbezogen werden. Das dreigeschossige Holzhaus wurde 1862 als Sommerwohnung eines griechischen Anwalts errichtet und vertritt eine auch auf den Prinzeninseln nur noch ganz seltene, ältere Generation von Holzhäusern, die in der Epoche des späten Klassizismus mitteleuropäischer Stilformen und Grundrisstypen konsequent in die osmanische Holzbauweise umsetzten. Der Apostolidis Köşk zeigt dabei in allen Einzelformen und Grundrisselementen eine besonders reine Verkörperung des bürgerlichen Klassizismus und damit eine Abkehr von den osmanischen Traditionen, die auch mit der griechischen Bauherrschaft zu tun haben mag.
Die kosmopolitische Atmosphäre des späten 19. Jhs. in Istanbul erzeugte eine große Offenheit für neue Stilformen, Haustypen und Materialien. Auf den Prinzeninseln lassen sich diese starken Einflüsse westlicher Paradigmen besonders deutlich festmachen. So gibt es dort eine große Gruppe von Doppelhäusern, die von Rationalisierungsbestrebungen und von Wohnformen nach angelsächsischen Mustern zeugen. Zwei solche Gebäude konnten ebenfalls in die Dokumentationsarbeit einbezogen werden.
Die Sulyoti İkiz Evleri auf Büyükada wurden um 1900 als giebelständige Doppelhausgruppe errichtet. Das stark verfallene Gebäude konnte 2011 untersucht werden. Der geschlossene Baukörper, akzentuiert durch die beiden vorspringenden Loggien, wird nur im Erdgeschoss durch einen durchbindenden Korridor unterbrochen, durch den die Erschließung der beiden Hauskörper erfolgt. Ein ähnliches Konzept verfolgt das Doppelhaus Hüseyin Rahmi Bey Sk. 4-6 auf Heybeli Ada, das 2012 dokumentiert werden konnte. Auch hier durchmisst ein schmaler Korridor mittig den Baukörper, der jedoch das rückwärtige Grundstück erschließt. Die beiden Hauskörper werden symmetrisch durch separate, straßenseitige Eingänge betreten. Im Inneren sorgt ein schmaler Lichtschacht, der vertikal auf den Mittelkorridor herabsticht, für Belichtung und Belüftung der Binnenräume, eine Lösung, die stark an amerikanische Grundrißvorbilder gemahnt.
Zeitschichten in Zeyrek
Das vor etwa 35 Jahren in Zeyrek durchgeführte, flächendeckende Dokumentationsprojekt ist die Ausgangsbasis der neuen Studien zu diesem wichtigen Istanbuler Stadtviertel. Dabei geht es um eine Bestandsaufnahme dessen, was heute noch von der ursprünglich dichten Holzhausbebauung erhalten geblieben ist, aber auch um eine Rückverfolgung der früheren Zeitschichten. Die Ergebnisse der älteren Bauaufnahmen sollen dabei im Hinblick auf chronologische, typologische und sozialhistorische Besonderheiten bewertet werden. Diese Analyse soll letztlich auch auf die 1978 bereits verlorenen Holzgebäude ausgedehnt werden. Mit Hilfe kartografischer und luftfotografischer Informationen kann dieser Zustand bis in das Jahr 1913 relativ genau zurückverfolgt werden. Ordnungsstiftende Struktur der Arbeiten ist ein für das Projekt entwickeltes Istanbul-GIS, in dem die georeferenzierte Überlagerungen der Pläne und Luftaufnahmen durchgespielt und die Informationen zu den Einzelgebäuden zugeordnet werden.
So läßt sich feststellen, daß die 1978 noch vorhandene Holzhausbebauung nur einen Restbestand dessen darstellt, was 1933 noch vorhanden war. Vergleicht man diesen Zustand wiederum mit der sehr dichten und geschlossenen Bebauung von 1913, die sich relativ genau rekonstruieren läßt, so zeigen sich wiederum Verluste durch Schadensfeuer und das Eindringen städtebaulicher Paradigmen der Moderne. Aber auch die geschlossene Bebauung von 1913, die das Bild einer gewachsenen mittelalterlichen Stadt suggeriert, darf nur als gefrorene Momentaufnahme interpretiert werden. Im 19. Jh. war das Viertel deutlich lockerer durchsiedelt und mit einzelnen, großen freistehenden Konaks bebaut. Weite Teile von Zeyrek gehörten ursprünglich zum Bezirk des Pantokratorklosters, und so führt die Analyse der Zeitschichten mit den longue durée- Phänomenen der byzantinischen Bebauung als Festpunkten des Systems auch in die vorosmanische Phase des Istanbuler Stadtviertels.
Bibliografie
Stadttopografie Bosporus
M. Bachmann, Tarabya. Geschichte und Entwicklung der historischen Sommerresidenz des deutschen Botschafters am Bosporus (zweisprachige Ausgabe deutsch/türkisch) (2003).
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M. Bachmann, Stadtraum am Bosporus. Die osmanischen Ufervillen Istanbuls, in: Bericht über die 46. Tagung für Ausgrabungswissenschaft und Bauforschung der Koldewey-Gesellschaft in Konstanz (Dresden 2012), 37-46.
M. Bachmann, Die Bedeutung der osmanischen Holzhäuser für die Istanbuler Stadträume, in: Byzas 13, 299-320.
M. Bachmann, Zutritt ohne Einblicke. Die Raumfolgen osmanischer Ufervillen in den Augen fremder Besucher, in: DiskAB 11 (Regensburg 2014), 449-462.
Prinzeninseln
M. Bachmann, Das gotische Minarett – Zur hölzernen Bauwut des spätosmanischen Istanbul, in: U. Hassler – Ch. Rauhut (Hrsg.), Bautechnik des Historismus (München 2012), 46-59.
Zeyrek und allgemeiner Überblick
M. Bachmann, Technische und konstruktive Besonderheiten der Istanbuler Holzhäuser, in: M. Bachmann – B. Tanman (Hrsg.), Ahşap İstanbul (Istanbul 2008), 20-63.
M. Bachmann, Vergängliche Lebenswelten: Holzhäuser Istanbuls in der Forschungsarbeit des DAI Istanbul, in: M. Bachmann – B. Tanman (Hrsg.), Ahşap İstanbul (Istanbul 2008), 96-203.
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