Osmanische Holzhäuser in Istanbul. Forschungen zur Istanbuler Stadttopographie

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Raum & Zeit

Die Istanbuler Holzhäuser in ihren vielfältigen Ausbildungen und Konzeptionen sind ohne die Kenntnis älterer osmanischer Gebäudetypologien nicht verständlich. Vor deren Hintergrund stellen sie sich als Endpunkt einer Entwicklung dar, die nach Anatolien führt und hier ...
in kursorischer Zusammenfassung beschrieben werden soll. Dabei stellt der Hof als Begegnungsraum einer häuslichen Gemeinschaft den zentralen Ausgangspunkt bei der Genese der osmanischen Hausgrundrisse dar. Aus den vier Stadien einer zunehmenden Inkorporation dieses Hofbereichs in das Bauvolumen werden die vier Grundtypen des osmanischen Hauses definiert. Die Entwicklung geht vom offenen Hof über den überdachten zum völlig in das Gebäudeinnere verlagerten großen Verteilerraum (sofa). Dieses letzte Stadium wird in erster Linie mit den Istanbuler Holzhäusern des 18. und frühen 19. Jahrhunderts in Verbindung gebracht. Doch ist die Entwicklung keineswegs geradlinig und eindimensional, auch die übrigen Grundrisstypen wurden in manchen Regionen Anatoliens beibehalten und zu eigenen, differenzierten Ausprägungen fortgeführt. Die hoch entwickelten Gebäudetypen sind Ergebnis und Spiegel eines komplexen Zusammenspiels von Einflussfaktoren, die diese Raumgefüge hervorgebracht haben. Dabei spielen klimatische, ökonomische, kulturelle, gesellschaftliche und religiöse Faktoren eine wesentliche Rolle. Insbesondere hat die Trennung der Lebensbereiche von Mann und Frau, des öffentlichen und des privaten Wohnens entscheidenden Einfluss auf die Besonderheiten der Grundrissbildung. Diese wichtigen Komponenten werden mit Haremlik und Selamlık umrissen. Aber auch die klimatischen Faktoren mit den starken Temperaturenunterschieden zwischen Sommer und Winter, wie sie für Anatolien charakteristisch sind, hatten auf die Gebäudekonzeption erheblichen Einfluss. Sie führten zu einer Aufteilung jahreszeitlicher Lebensbereiche, deren räumliche Trennung die Gebäudedisposition bestimmt hat, mitunter sogar zu einer völligen Trennung dieser Lebensbereiche in zwei autonome Gebäudekomplexe, deren Standort weit voneinander entfernt liegen kann. Diese Bereiche werden mit den Begriffen yazlık und kışlık umrissen. Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein war Möblierung im europäischen Sinne unüblich, die Proportionierung und Gestaltung der Innenräume wurde ganz am auf dem Boden sitzenden Benutzer orientiert. Die älteren osmanischen Gebäude definieren sich ganz von ihrer inneren Konzeption her, konsequenterweise sind die Fassaden häufig außerordentlich schlicht gehalten. Während die Istanbuler Holzhäuser des 18. Jahrhunderts noch diesen älteren osmanischen Traditionen verhaftet sind, spiegeln die Bauten vor allem des späten 19. Jahrhunderts einen dramatischen Umbruch zunehmender Europäisierung wieder. Als einziges Kontinuum zu den früheren Epochen verblieb das Baumaterial Holz. In dieser Loslösung ist eine ungeheure Bandbreite an Bautypen und Dekorationsformen entstanden, denn auch die schnellen Stilfolgen der Gründerzeit wurden in Holzbauweise nachvollzogen.