Das Grab der Meret-Neith. Visualisierung einer ägyptischen Königin der 1. Dynastie

Weinkrug der Meret-Neith © DAI Kairo // E. C. Köhler

Forschung

Die Nekropole Umm el-Qa‘ab wurde bereits im ausgehenden 19. und frühen 20. Jh. von britischen und französischen Archäologen untersucht, vor allem von E. Amélineau und W.M.F. Petrie, die schon früh die historische Bedeutung dieses Fundorts erkannt hatten. Petrie entdeckte das Grab von Meret-Neith bereits 1899 und wies es einem bis dato unbekannten König zu, was aber bereits früh von anderen Ägyptologen angezweifelt wurde, da eine im Grab gefundene große Stele eindeutig auf eine weibliche Person verwies. Das Deutsche Archäologische Institut Abteilung Kairo arbeitet seit 1977 in Abydos Umm el-Qa‘ab, zunächst unter der Leitung von W. Kaiser. 1989–2013 war G. Dreyer langjähriger Grabungsleiter, er legte fast alle frühzeitlichen Königsgräber erneut frei. Anfang 2014 hat E. C. Köhler die Leitung des Projekts in Kooperation zwischen dem DAI Kairo und der Universität Wien übernommen.

Die Mitarbeiter*innen des Projekts „Abydos Umm el-Qa’ab“ kooperieren eng mit dem Ministry of Tourism and Antiquities in Egypt und den entsprechenden lokalen Behörden, um die Königsnekropole wissenschaftlich zu untersuchen und für die Zukunft zu erhalten. Derzeit wird für neue Meret-Neith-Projekt eine umfassende Strategie erstellt, um den Fundplatz vorsichtig und nachhaltig für den Tourismus zu erschließen, ohne die 5000 Jahre alten Grabanlagen zu gefährden. Dabei setzen die Archäolog*innen in Kooperation mit der Technischen Universität Wien erstmalig moderne fotogrammetrische und Virtual/Augmented Reality-Methoden ein, um die unterirdischen Anlagen und das Grabinventar virtuell zugänglich zu machen. Darüber hinaus gibt es einige inhaltliche Forschungsziele, die sich ausschließlich mit dem Grab der Meret-Neith und ihrer Grabausstattung beschäftigen. Dazu zählen die Dokumentation und Analyse der Baustruktur sowie aller bei der modernen archäologischen Ausgrabung geborgenen Artefakte und Ökofakte. Wo möglich und angebracht, sollen diese auch diversen naturwissenschaftlichen Untersuchungen unterzogen werden, um sie sowohl chronometrisch datieren als auch chemisch und mineralogisch einordnen zu können. Gleichzeitig sollen Altfunde aus Petries Grabungen sowie Vergleichsmaterial aus den großen Beamten-Gräbern der mittleren 1. Dynastie in Saqqara, die sich in verschiedenen Museen befinden, dokumentiert und analysiert werden. Daraus soll ein umfassendes Materialkorpus entstehen, das eine absolute und relative Feinchronologie dieser Zeit sowie detailreiche Kenntnisse zur Herkunft verschiedenster Rohmaterialien ermöglicht. Sobald diese Daten vorliegen, kann sich das Team der Auswertung und Interpretation des Befunds zuwenden und die besondere sozio-ökonomische Rolle der Meret-Neith als Frau, Königin und Königsmutter im Rahmen moderner archäologischer Ansätze durchleuchten. Parallel dazu wird der Fundstoff mit neuesten fotogrammetrischen und digitalen Visualisierungstools erfasst, zur 3D-Modellierung und Rekonstruktion vorbereitet und auf einer speziell dafür vorgesehenen interaktiven Webseite bereitgestellt. Auf diese Weise werden das Grab, sein Inventar und die Information zur Inhaberin zumindest virtuell der Wissenschaft und Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Das Team wird die Grabanlage Meret-Neiths und das sie direkt umgebende Gebiet, inklusive der Schutthalden aus dem 19. und 20. Jh., nach modernen archäologischen Maßstäben neu ausgraben und alle Befunde und Funde aufnehmen. Von Anfang an werden zur genauen Dokumentation des Befunds fotogrammetrische und digitale Mittel eingesetzt. Wo es möglich und angebracht ist, werden bereits vor Ort naturwissenschaftliche Analysen (Petrografie, XRF, Lumineszenz) an verschiedenen Materialgruppen durchgeführt, Proben für chronometrische Analysen innerhalb Ägyptens entnommen und nach Genehmigung durch die örtlichen Behörden in Kairo untersucht. Außerhalb der Grabungskampagnen in Ägypten wird das Team entsprechende und zusätzliche Untersuchungen an den Altfunden aus Petries Grabungen in Abydos sowie an Vergleichsmaterial aus den zeitgleichen großen Beamtengräbern in Saqqara, die sich in diversen Museen (Ägyptisches Museum Kairo, Petrie Museum, Ashmolean Museum, usw.) befinden, durchführen. Nach umfassenden Analysen und Rekonstruktions-Modellierungen werden die Grabanlage und das Fundmaterial in digitaler Form online zur Verfügung gestellt und umfassend publiziert.

  • Was ist die genaue absolut- und relativ-chronologische Position Meret-Neiths innerhalb der 1. Dynastie und welche genealogischen und historischen Erkenntnisse ergeben sich daraus?
  • Wurde das Grab Meret-Neiths in mehreren Bauphasen oder in einem Zug erbaut?
  • Welche ...
Arten und Mengen an Baumaterialien sind in den Bau geflossen? Welcher zeitliche und personelle Bauaufwand ergibt sich daraus?
  • Wurden alle Nebengräber zur selben Zeit errichtet? Wie lässt sich die Grabanlage nach modernen Kriterien rekonstruieren?
  • Welche Art Grabbeigaben lassen sich feststellen und wie lässt sich das Grabinventar rekonstruieren?
  • Welche Aussagen liefern die bioarchäologischen Funde (Menschen-, Tier- und Pflanzenreste) aus dem Grab?
  • Welche Artefakt-Gattungen lassen sich unterscheiden; welche Funktion nahmen sie als Grabbeigaben ein?
  • Bestehen die Grabbeigaben hauptsächlich aus lokalen Rohmaterialien? Oder wurden sie aus anderen Regionen des Niltals oder womöglich von außerhalb importiert? Sind sie industriell und eigens für die Grabausstattung hergestellt?
  • Gibt es Unterschiede zu vergleichbaren Artefaktgruppen an anderen zeitgleichen Fundorten wie Helwan oder Saqqara?
  • Was lässt sich zur wirtschaftlichen und verwaltungstechnischen Organisation des Staats z. Z. Meret-Neiths aussagen? Gibt es Unterschiede im Vergleich zur frühen oder späten 1. Dynastie?
  • War Meret-Neith für ihren königlichen Sohn vorübergehend Regentin oder war sie eine eigenständige, mit allen politischen und wirtschaftlichen Mitteln ausgestattete Pharaonin?
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    Weinkrug der Meret-Neith © DAI Kairo // E. C. Köhler