Măgura Gorgana bei Pietrele an der Unteren Donau

Blick auf den Siedlungshügel 2018 © DAI Eurasien-Abteilung // Svend Hansen

Raum & Zeit

Die Kupferzeit in Südosteuropa

Die Kupferzeit in Südosteuropa ist eine der dynamischsten Zeitabschnitte der europäischen Kulturentwicklung. Die bergmännische Gewinnung und das Gießen des neuen Metalls gaben nicht nur einer archäologischen Epoche den Namen, sondern leiteten die nach dem Beginn der bäuerlichen Wirtschaftsweise zweifellos umwälzendste Veränderung ein. Ohne Metalle gäbe es nicht nur keine moderne Industrie, sondern auch keine der dahin führenden Entwicklungen. Die unmittelbaren Konsequenzen mögen anfangs regional begrenzt gewesen zu sein, doch waren sie so stark, dass die Entwicklung in vielen Gebieten schon bald unumkehrbar geworden war. Kupfer und Gold prägten anfangs vor allem die Entwicklung im Karpatenbecken und in Südosteuropa. Nur hier ergibt auch die Verwendung des Terminus „Kupferzeit“ einen Sinn. In den meisten anderen Regionen, in denen der Begriff verwendet oder diskutiert wird, sollte auf ihn verzichtet werden.

Die Potentiale des Metalls waren sicher nicht in vollem Umfange abschätzbar, doch müssen die Eigenschaften dieses neuen Materials eine Herausforderung auch für das Denken gewesen sein. Ein Stoff, der so unterschiedliche Qualitäten aufweist, der in so vielfältiger Weise manipulierbar ist, und in dem jedes Objekt präzise reproduzierbar ist, war bis dahin unbekannt. Vor allem war das Metall praktisch nicht aufbrauchbar. Einmal bergmännisch gewonnen, bildete Herstellung, Verwendung und Einschmelzen einen beständigen Kreislauf.

Mit dem Aufkommen der Metallurgie waren nicht nur technische Innovationen, sondern auch soziale Veränderungsprozesse verbunden. Die Grabfunde zeigen eine klare Abstufung des Beigabenreichtums. Es sei dahingestellt, ob das Metall ursächlich für eine soziale Differenzierung war oder ob soziale Ungleichheit und ungleich verteilte Machtpositionen für die Entwicklung der Metalltechnologie entscheidende Impulse gaben: vermutlich war es ein Zusammenspiel beider Komponenten.

In den vergangenen 10 Jahren haben zahlreiche neue Forschungen das Bild dieser Zeit verändert. Hierzu gehören insbesondere Veränderungen der Chronologie. So wurden die überdurchschnittlich reich ausgestatteten Gräber des Friedhofs von Varna in die Mitte des 5. Jt. v. Chr. datiert, welche man zuvor noch an das Ende des 5. Jt. v. Chr. gestellt hatte. Auf dem Siedlungshügel von Pietrele an der Unteren Donau konnte eine Siedlungsabfolge ergraben werden, die ebenfalls die Gumelniţa-Zeit in das zweite Hälfte des 5. Jahrtausends rückten. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass für die Kupferzeitchronologie an der Unteren Donau Pietrele künftig der Ankerplatz sein wird. Für die Keramiksequenzen stehen gleichsam "geschlossene" Befunde in den Häusern zur Verfügung. Ein besonderer Glücksfall ist die hohe Zahl der vollständigen Gefäße. Schließlich lässt sich diese auch mit der Keramiksequenz an der Unteren Donau parallelisieren.

Mit 11 m kupferzeitlicher Schichtbildung ist Măgura Gorgana der größte bekannte Tell der Kupferzeit. Die kupferzeitliche Schichtmächtigkeit im eponymen Hügel von Karanovo beträgt hingegen nur knapp 4 m. Der Siedlungshügel wuchs rasch auf, weil alle verbrannten und unverbrannten Häuser mit einer ca. 1 m starken Packung Lehm und Sand bedeckt wurden, bevor man ein neues Haus errichtete. Diese massiven Packungen dienten sowohl dazu, die alten Siedlungsschichten zu verschließen, als auch der Konstruktion des neuen Hauses die notwendige Fundamentierung zu verleihen. Die Pfosten des neuen Hauses wurden in dieser Aufschüttung eingegraben. Das Wohnen auf dem Siedlungshügel war nicht nur mit der Mühe des Auf- und Absteigens sowie wiederholten Siedlungsbränden und damit verbundenen Katastrophen verbunden, sondern auch mit der Instabilität des Hügels. Denn innerhalb des Siedlungshügels wuchs im Verlaufe des Aufwohnens die Gefahr von Rutschungen und Einbrüchen von Hohlräumen. Selbst nach dem Absturz eines Teils des Tells wurde in Pietrele mit großem Aufwand neues Material aufgefüllt, um weitere Häuser zu errichten. Man kann daraus den Schluss ziehen, dass das Wohnen auf dem Tell besonders attraktiv war

Siedlung am See

Von Beginn an war auch die Rekonstruktion der Landschaft im 5. Jt. v. Chr. ein zentraler Bestandteil der Ausgrabungen in Pietrele. Nach diesen Untersuchungen floss die Donau im 5. Jt. v. Chr. durch einen großen See, der vorläufig als »Lacul Gorgana« bezeichnet wird. Er reichte etwa von Giurgiu bis mindestens Olteniţa und war vermutlich größer als der Bodensee. Dieses Ergebnis besitzt weit über die lokale Geschichte der Siedlung von Pietrele hinaus Bedeutung. Die neolithischen und kupferzeitlichen Siedlungen lagen an der Terrassenkante zur heutigen Aue bzw. zum einstigen Uferbereich des Paläosees. Pietrele und viele andere kupferzeitliche Siedlungen dürften demnach einen direkten Zugang zum Wasser bzw. zur Donau besessen haben. Auch Siedlungshügel wie Sultana, die heute abseits im »Hinterland« zu liegen scheinen, waren vermutlich an das Seensystem angeschlossen.

Zweifellos waren die Seeanrainer mit Booten mobil. Umrisse einer frühen europäischen Seekultur werden sichtbar, die älter als das Seeneolithikum in der Schweiz ist, wo erst um 4300 v. Chr. die Ufer der Seen vermutlich infolge einer Klimaverschlechterung aufgesiedelt wurden. Der See stellte für die Bewohner von Pietrele eine erhebliche Nahrungsressource dar, wie anhand der Fischreste gezeigt werden kann. Der See war aber auch ein wichtiger Verkehrsraum. Für die sehr engen Übereinstimmungen in der Sachkultur der Gumelniţa-zeitlichen Siedlungen ist ihre gemeinsame Lage am See eine einleuchtende Erklärung. Die Siedlungen am »Lacul Gorgana« bildeten praktisch den Kern der Gumelniţa-Kultur, die sich in vielen Details vom thrakischen Karanovo-Kreis und von der nordbulgarischen Kodžadermen-Kultur unterscheidet. Für ein Gesamtverständnis dieser »Seekultur« sind neue vergleichende Materialstudien unabdingbar.

Der See bildeten für die Menschen in Pietrele und in den benachbarten Siedlungen eine wichtige Nahrungsressource. Aufgrund der vorzüglichen Erhaltungsbedingungen sowie der intensiven händischen Aufsammlung von Knochen sowie der Auslesung von Schlämmproben kann in Pietrele der Umfang der Fischerei in einer kupferzeitlichen Siedlung auf methodisch gesicherter Basis behandelt werden. Die in Pietrele vorkommenden Fischreste stammen vorwiegend von karpfenartigen Fischen, vom Wels sowie Barsch und Hecht.

Von den Geräten, die zum Fischen verwendet wurden, hat sich nur ein kleiner Teil erhalten. Netze sind ebenso vergangen wie Reusen oder hölzerne Fischfanggerätschaften, die andernorts aus Siedlungen mit Feuchtbodenerhaltung überliefert sind . Netzfischerei muss in Pietrele eine wichtige Rolle gespielt haben, was sich vor allem in der großen Menge kleinerer Fische, wie sie durch Ken Ritchie identifiziert wurden, spiegelt.

Eine der beeindruckendsten Fundgruppen in Pietrele stellen die Stabharpunen dar. Es handelt sich um zweireihige Widerhakenspitzen aus Geweih. Das größte erhaltene Stück misst 24,5 cm. Insgesamt liegen aus Pietrele 38 Exemplare vor, so viele wie aus keiner anderen Siedlung der Gumelniţa-Kultur. Überwiegend handelt es sich um Bruchstücke. Nur fünf Exemplare können als funktionstüchtig eingestuft werden. Vermutlich sind aber vier von diesen einmal oder mehrfach überarbeitet worden. Typologisch lassen sich verschiedene Varianten unterscheiden, u.a. Harpunen mit symmetrischer oder asymmetrischer Anordnung der Widerhaken. Eine genauere Untersuchung der Harpunen aus Pietrele und der benachbarten Siedlungen steht noch aus und sollte u.a. Aufschluss über mögliche Standardgrößen, Herstellungstechniken und Schäftungsarten geben.

Der Siedlungshügel

Lange Zeit hielt man den Siedlungshügel für die Gesamtsiedlung. Zu den wichtigsten Ergebnissen unserer Untersuchungen gehört die Entdeckung einer wesentlich größeren Siedlung am Fuß des Tells. Es handelt sich um eine mindestens 5 ha große Flachsiedlung, deren Grenzen durch geophysikalische Untersuchungen noch nicht erfasst sind. Sie existierte während der gesamten Belegungszeit des Siedlungshügels. Damit kommt die Frage in den Fokus, wie der Tell zu interpretieren ist. Eine Hypothese ist, dass der Siedlungshügel nur der Nukleus der Siedlung war und der Repräsentation der sozialen und politischen Führung diente. Hierfür sprechen die enorme Funddichte und die hohe Qualität der Funde. So fanden sich Metallobjekte bislang fast ausschließlich auf dem Siedlungshügel. Damit verändert sich die Perspektive auf die Funktion der Siedlungshügel allgemein an der Unteren Donau. Es war es von Beginn der Grabungen in dem kupferzeitlichen Siedlungshügel Măgura Gorgana bei Pietrele an der Unteren Donau in Südrumänien unser Ziel, einen Beitrag zur sozialgeschichtlichen Einordnung des Gräberfelds von Varna zu leisten. Die Entwicklung der symbolischen Grabbeigaben lässt sich nun mit der ökonomischen Entwicklung in einer Siedlung vergleichen.

Der Beginn des Siedlungshügels von Pietrele reicht bis ca. 4550 v.Chr. zurück. Das ist nach rumänischer Terminologie der Übergang zwischen dem Spätneolithikum (Boian-Kultur) und der Kupferzeit (Gumelniţa-Kultur). Die sehr wenigen vorliegenden 14C-Daten aus anderen Siedlungshügeln in der Region zeigen ein vergleichbares Bild. Es ist demnach in Betracht zu ziehen, dass die Siedlungshügel Teile eines umfassenden Programms von Neugründungen waren. Sicher wissen wir, dass sich dieses System als Aldeni-Bolgrad Variante in den östlich angrenzenden Steppenraum ausdehnte. Sicher ist, dass Pietrele eine Neugründung war und nicht aus einer bestehenden neolithischen Siedlung heraus entstand.