Forschung
Forschungsgeschichte
Yeha ist eine der am längsten bekannten antiken Stätten Äthiopiens. Bereits 1520 besuchte der portugiesische Priester Francisco Alvares den Ort und beschrieb vor allem das Kirchenareal mit den Ruinen des Großen Tempels. Äthio-sabäische Inschriften dokumentierte der britische Ägyptologe Henry Salt 1810, weitere Informationen und Zeichnungen erhalten wir 1893 von dem ebenfalls britischen Archäologen und Forschungsreisenden Theodor Bent. Die eigentliche archäologische Erforschung begann mit der Deutschen Aksum-Expedition unter der Leitung von Enno Littmann im Jahr 1906. In nur wenigen Tagen wurden die sichtbaren Ruinen des Palastes (Grat Be´al Gibri) und vor allem des Großen Tempels dokumentiert sowie Freilegungsarbeiten durchgeführt. Ende der 1960er und zu Beginn der 1970er Jahren grub Francis Anfray (Ethiopian Institute of Archaeology) einen südlich des Großen Tempels gelegenen Friedhof (sog. Südgräber) und Teile des Grat Be´al Gibri aus. Weitere Ausgrabungs- und Dokumentationsarbeiten am Großen Tempel erfolgten 1998 durch ein französisch-italienisches Team (Christian Robin und Alessandro de Maigret). Anhand von Testschnitten konnte geklärt werden, dass dem Eingangsbereich ein Sechspfeilerpropylon vorgelagert war, von dem sich allerdings nur noch die Basen erhalten haben. Der Fund eines Flachreliefs aus dem 8./7. Jh. v. Chr. verwies auf einen bereits älteren Bau in diesem Areal.
Gemeinsam mit den äthiopischen Kooperationspartnern Ethiopian Heritage Authority (EHA) und Tigray Cultural and Tourism Bureau (TCTB) wird Yeha seit 2009 kontinuierlich vom Deutschen Archäologischen Institut erforscht und der Fundplatz mit der Restaurierung seiner Bauten, dem Bau eines Museums sowie einer Beschilderung touristisch erschlossen.
Methoden
Das interdisziplinäre Projekt setzt Drohnenbefliegung und neueste SFM- sowie Laserscantechnik für die dreidimensionale digitale Dokumentation von Funden und Befunden ein. Mit Hilfe photographischer Dokumentation aus der Luft durch die Befliegung mit Drohnen werden detaillierte digitale Geländemodelle der Siedlung und ihres Umfeldes erzeugt, welche Grundlage für eine virtuelle Rekonstruktion der antiken Umwelt des Fundplatzes sind. Terrestrisches 3D-Laserscanning dient wiederum zur Aufnahme der Architektur- und Ausgrabungsbefunde, der Schachtgräber sowie der Restaurierungsmaßnahmen und kann darüber hinaus als Grundlage für die bauforscherische Dokumentation herangezogen werden. Für die Erfassung von Kleinfunden kommt SFM (Structure From Motion) - die Erzeugung von 3D-Modellen aus digitalen Bildern der Objekte - zum Einsatz. Die 3D-Modell der Kleinfunde können nicht nur archiviert sondern später in virtuellen Ausstellungen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Um die archäologischen, historischen, bodenkundlichen und geologischen Daten in der Region zu erfassen, erfolgt neben den Ausgrabungen in Yeha ein intensiver Survey im Siedlungsgebiet des heutigen Dorfes sowie in seinem Umkreis von 15 km. Der Survey basiert auf der Auswertung von Luftbildern und Satellitendaten sowie auf den Geländebegehungen. Die Sammlung und Analyse von paläoanthropologischen, paläobotanischen, paläozoologischen, paläopedologischen und paläontologischen Daten sowie die Auswertung der lokalen Baumaterialien und Rohstoffquellen liefern dabei Informationen zur Paläoumwelt. Ergänzt wird dieser Survey durch geophysikalische Prospektionen (Geoelektrik, Geomagnetik). Alle Daten liegen georeferenziert vor und werden in ein lokales GIS-System als auch in den Ethiopian Heritage Digital Atlas (EHDA) eingearbeitet.
Forschungsziele
Im Rahmen des seit Herbst 2016 durch die DFG als Langfristvorhaben geförderten äthiopisch-deutschen Kooperationsprojektes werden die kulturellen Kontakte zwischen den im frühen 1. Jt. v. Chr. aus Südarabien eingewanderten Sabäern und der in der Region Tigray ansässigen Bevölkerung gemeinsam mit der Forschungsstelle Antikes Südarabien und Nordostafrika, Philosophische Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Prof. Dr. Norbert Nebes) untersucht. Zwar gibt es für die wechselseitigen Beziehungen zwischen diesen beiden Regionen zahlreiche archäologische und historische Indizien, doch wurden die unterschiedlichen Erscheinungsformen des Kultur- und Techniktransfers von Südarabien zum nördlichen Horn von Afrika sowie dessen Ursachen und Umfang noch nicht systematisch und im interkulturellen Vergleich untersucht. Von außerordentlicher Bedeutung ist dabei die kontrovers diskutierte Frage nach dem Akkulturationsprozess zwischen sabäischen Bevölkerungsgruppen und der indigenen Bevölkerung. Nach dem jüngsten Forschungsstand, der auf einer Neubewertung der epigraphischen Zeugnisse aus dem äthio-sabäischen Gemeinwesen beruht, muss man von der Migration größerer sabäischer Bevölkerungsgruppen über das Rote Meer in das Hochland von Eritrea und Tigray ausgehen. Derartige Prozesse sind verknüpft mit Fragen nach den Voraussetzungen, Ursachen und Anlässen von Migration, deren Ausmaß und ihrer materiellen Sichtbarkeit in den Einwanderungsgebieten. Handelsrouten zwischen dem Roten Meer und Ostafrika werden ebenso untersucht wie die möglichen Handelswaren und Rohstoffquellen. In welcher Form das äthio-sabäische Gemeinwesen entstand, welche Gründe die Sabäer hatten, das Rote Meer zu überqueren, wie sich die dort neu entstehende äthio-sabäische Kultur manifestiert und entwickelt, sind dabei Kernfragen. Weitere Ziele sind die Erforschung der vorausgehenden indigenen Kultur im Tigray sowie eine genaue zeitliche Eingrenzung der ersten Kontakte mit den südarabischen
Einwanderern. Geologische, geomorphologisch-bodenkundliche und botanische Untersuchungen dienen der Identifizierung der Baumaterialien und der Rohstoffquellen. Sie erfassen zudem die Lebensbedingungen des Holozäns durch eine Rekonstruktion der Paläoumwelt im Hinblick auf Vegetation, Landnutzung und Klimageschichte. Im Vordergrund steht die Erforschung des Prozesses der Interaktion südarabischer und indigener Bevölkerungsgruppen innerhalb des äthio-sabäischen Gemeinwesens. Den geographischen Schwerpunkt bildet der Fundplatz Yeha, der aufgrund seiner Monumentalarchitektur und schriftlichen Zeugnisse als politisches und religiöses Zentrum dieser kulturhistorisch bedeutendsten und nur ansatzweise erforschten Region am nördlichen Horn von Afrika gilt. Aufbauend auf den bisher bekannten archäologischen und epigraphischen Hinterlassenschaften und den zu erwartenden Ergebnissen in Yeha und Umgebung sollen die Entstehung und der Wandel dieses Kulturraums analysiert und mögliche Traditionslinien bis in die aksumitische Zeit aufgezeigt werden.
Eingebunden sind auch ethnohistorische Forschungen, die aufgrund der konservativen Erinnerungslandschaft von Tigray methodisch begründete Rückschlüsse auf antike Gesellschaftsformen und Lebensweisen erlauben. Darüber hinaus werden von verschiedenen Kooperationspartnern geoarchäologische Untersuchungen durchgeführt, die die Paläoumwelt, Klimageschichte und Ressourcennutzung rekonstruieren und zur Klärung der Subsistenzformen beitragen. Durch die Einbeziehung unterschiedlicher kulturhistorischer und naturwissenschaftlicher Fachgebiete sowie modernster Dokumentationstechniken wird eine den heutigen wissenschaftlichen Anforderungen entsprechende Erforschung einer antiken Kulturlandschaft gewährleistet.
CORONA- und bürgerkriegsbedingt mussten die Arbeiten 2020 vor Ort vorübergehend eingestellt werden.
Seit Herbst 2021 wurde im Zuge dieses Projektes die Dokumentation von Objekten im Nationalmuseum Addis Abeba, welche aus Altgrabungen von äthio-sabäischen
Fundplätzen stammen, intensiviert.
Projekt exportieren