Forschung
I) Heilige Straße: Die 2002 unter der themistokleischen Straße zutage gekommenen archaischen Skulpturen, u. a. ein Kouros, bestimmten die Fragestellungen der bis 2005 nachfolgenden Kampagnen. Es zeigte sich, dass die Heilige Straße nach Westen hin nicht nur viele Ausbesserungen von Fahrspuren und dergleichen aufwies, sondern auch durch massivere Bauaktivitäten gestört war. So fand sich unmittelbar vor dem Heiligen Tor stadtauswärts, inmitten der Heiligen Straße gelegen, eine unterirdische Wasserreinigungsanlage, aus der durch eine Brunnenöffnung Wasser geschöpft werden konnte. Diese steht wahrscheinlich in Zusammenhang mit einem um 410/400 v. Chr. zu datierenden Altar, der an der Stelle des um 300 v. Chr. erbauten Proteichismas stand. In die Zeit der Erbauung des Proteichismas fallen auch die Verfüllung der Wasseranlage und die Demontage des Altars. Aus den Funden ergaben sich folgende Fragestellungen:
• Die archaischen Skulpturen dienten in ihrer Zweitverwendung zur Befestigung der Furt über den Eridanos. Es bleibt die Frage nach dem ursprünglichen Aufstellungsort der Skulpturen zu klären, die aufgrund ihres Gewichtes nicht von sehr weit transportiert worden sein konnten. Gab es also schon in archaischer Zeit Grabbezirke, wie wir sie sonst erst aus dem 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. kennen, in unmittelbarer Umgebung der Heiligen Straße?
• Ist die unterirdische Wasserreinigungsanlage für kultische Handlungen am direkt daneben gelegenen Altar gebaut worden?
• Welche politische Motivation führte dazu, dass der an prominenter Stelle gelegene Altar nicht mehr genutzt wurde und stattdessen das Proteichisma errichtet wurde?
• Wie griff die Brunnenöffnung der Wasserreinigungsanlage inmitten der Heiligen Straße in den Alltag der Straße ein, die zum Transport von Menschen, Wagen und Vieh diente?
• Wie wurden die Denkmäler am Straßenrand wahrgenommen? Bedeuteten diese Denkmäler, dass auf der Straße mehr Aktionsraum für einzelne Gruppen geschaffen wurde? Wie interagierten diese Gruppen, so dass die eigentliche Funktion der Straße als Verkehrsweg bestehen blieb?
II) Kerameikos-Straße: Auf zwei besonders bedeutende Phasen bzw. Abschnitte in der Geschichte der Straße konzentrieren sich die Untersuchungen derzeit:
• Zum Einen konzentrieren sich die Untersuchungen auf die durch Xenophon, Hellenika 2,4,33 bezeugten und von Alfred Brueckner wieder gefundenen Lakedaimoniergräber, die im Jahr 403 v. Chr. während des athenischen Bürgerkrieges am südwestlichen Straßenrand angelegt wurden. Besonders deutlich lassen sich an diesem Monument in prominenter Lage die Vorgänge in Athen, ein Jahr nach der Niederlage der Stadt gegen Sparta, zeigen, unter anderem
- an den durch die Grabungsphotos dokumentierten Beisetzungsriten sowie
- an den unpublizierten keramischen Bestandteilen eines Opfers, das an dieser Grabanlage dargebracht wurde.
Mit dieser Grabanlage wurde dem vormaligen Gegner aller Athener und aktuellen Bundesgenossen einer Bürgerkriegspartei ein Areal an prominenter Stelle eingeräumt. Dieser Vorgang ist im Einzelnen noch nicht ausreichend untersucht und gewürdigt.
• In der frühen römischen Kaiserzeit entstanden vor dem Dipylon – und, soweit bislang bekannt ist, ausschließlich vor diesem Tor der Stadt – mehrere monumentale Grabbauten in der Art der Grabbauten in Kifissia und Chalandri bzw. des Philopapposmonuments, also eines Grabtypus, der bis dahin in Athen keine Tradition hatte. In der Stadt galten vielmehr seit 317 v. Chr. strenge Auflagen bezüglich der Grabformen, die die Ausbildung aufwendiger Denkmäler verhinderten. Außerdem ist durch die Inschrift auf dem Epistyl eines solchen Grabbaues, die im Kerameikos gefunden wurde, die Bezeichnung "Heroon" belegt. Die Auswahl des Platzes vor dem Dipylon ist sicher nicht zufällig und ist ohne die besondere Tradition dieser Straße sowie ohne die Funktionen, die sie – wenn auch verändert – weiterhin für die Bürger der Stadt hatte, nicht erklärbar.
Die Grabungen an der Heiligen Straße im Bereich des Heiligen Tores wurden von 2002 bis 2005 durchgeführt, während ihre wissenschaftliche Auswertung noch andauert. Anlass für die Grabungen war für die Publikation des Heiligen Tores durch Dr. Gerhard Kuhn (Marburg) zunächst die Klärung von Datierungsfragen zu den Bauphasen (des Heiligen Tores). Die bei diesen Grabungen 2002 unter der themistokleischen Straße zutage gekommenen archaischen Skulpturen, u. a. ein Kouros, bestimmten die Fragestellungen der darauf folgenden Kampagnen.
Die Ausgrabungen an der Kerameikos-Straße und am Dipylon wurden 1914 von Alfred Brueckner begonnen und mit Unterbrechungen, u. a. durch die beiden Weltkriege, bis 1974 fortgesetzt. Sie sind aber großenteils unpubliziert geblieben. Seit 1998 durchgeführte Nachgrabungen ergänzen die vorliegende Dokumentation mit dem Ziel der Publikation.
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