Lissos in Illyrien

Ergebnisse

Die Untersuchungen der urbanen Entwicklung von Lissos galten insbesondere der hellenistischen Zeit, erbrachten aber wichtige neue Erkenntnisse sowohl für die frühe Geschichte der Stadt als auch für ihre römisch-spätantike Phase. Zusammen mit den antiken Schriftquellen, v. a. bezüglich der vermeintlichen Gründung als Adria-Kolonie im Jahre 385/384 durch Dionysios I. von Syrakus, der Belagerung und Einnahme durch Philipp V. von Makedonien im Jahre 213 sowie der Rolle von Lissos/Lissus im römischen Bürgerkrieg unter Caesar, ergibt sich nun ein deutlich dichteres, anschaulicheres Bild der Stadtgeschichte von Lissos.

Die urbane Geschichte von Lissos beginnt mit der Anlage der ca. 2,2 km langen hellenistischen Stadtmauer, die die Akropolis sowie den westlichen Burgberg mit Unter- und Oberstadt einschloss. Sie steht im Gegensatz zum illyrischen Vorgänger in ihrer Werktechnik deutlich erkennbar in griechischer Tradition. Sondagen zur Klärung der Zeitstellung der Anlage und damit zur Gründung der hellenistischen Stadt erbrachten Kontexte mit Keramik des späten 4. Jhs. v. Chr.; gleichzeitig machen sie wahrscheinlich, dass das Diateichisma bereits zur ersten Planungsphase gehörte und die Wehranlage damit in einem Zuge errichtet wurde.

Für die von Diodor berichtete vermeintliche Gründung von Lissos durch Dionysios I. von Syrakus im Jahre 385/384 v. Chr. als eine seiner Adriakolonien gibt es keine archäologischen Indizien; die Nachricht Diodors ist daher, wie bereits angenommen, wohl eher auf die Stadt Issa auf der gleichnamigen Insel vor der Küste Dalmatiens zu beziehen .

Die neu entstandene Stadtanlage, die durch ihre Lage auf einem unmittelbar an die Adria reichenden Bergsporn einen ›Riegel‹ bildete, stellte, zumal sie über einen See- und einen Flusshafen verfügte und damit sowohl verkehrstechnisch als auch strategisch hervorragend gelegen war, einen Verkehrs- und Handelsknotenpunkt dar sowie als südlichste Stadt des Illyrischen Reiches eine Grenzfestung mit Kriegshafen. Auch die Römer nahmen Lissos als Hafen- und Grenzstadt wahr: so musste sich die illyrische Königin Teuta (232/231–229 v. Chr.) im Jahre 229 v. Chr. verpflichten, »jenseits«, sprich südlich, von Lissos nicht mit mehr als zwei unbewaffneten Schiffen zu segeln (Polyb. 2, 12, 3; vgl. auch 3, 16, 3).

Die ›Lebensader‹ der Unterstadt von Lissos war die vom südlichen zum nördlichen Haupttor in Nord-Süd-Richtung verlaufende Straße, die wegen der Hangsituation vom Südtor mehrere Meter anstieg und stellenweise auf einer Terrasse verlief. Im zentralen Grabungsbereich A unmittelbar nördlich des Skanderbeg-Denkmals von Lezha wurde ein Teil der zugehörigen, sauber auf Ansicht gearbeiteten Terrassenmauer freigelegt, deren Werktechnik derjenigen der Stadtmauer nahe steht. Dass die Errichtung der Terrasse für die Hauptstraße annähernd gleichzeitig mit der Anlage des Stadtmauerrings am Ende des 4. Jhs. v. Chr. erfolgte, legt auch die auf der Freifläche vor der Mauer gefundene Keramik nahe.

Das Illyrische Reich erreichte zu Beginn des 2. Jhs. v. Chr. unter König Genthios (181–168 v. Chr.) kurz vor seinem Ende die größte Ausdehnung. Die neuen Ausgrabungen in der Unterstadt zeigen, dass in Lissos zu dieser Zeit Baugrund offenbar knapp wurde, da auch die Freifläche vor der Terrassenmauer bebaut wurde (›Bauzustand A 2‹). Das Gebäude, bei dem es sich möglicherweise um einen Lagerraum handelte, hatte jedoch nur für kurze Zeit Bestand, da noch während der Herrschaft des Genthios oder wenig später das Dach wegen eines Brandes einstürzte und einen Menschen unter sich begrub. Aufgrund der äußerst zahlreichen Münzfunde wird man nicht fehlgehen, diese Katastrophe mit der Niederlage der Illyrer unter Genthios zu verbinden. Nach der Schlacht von Pydna am 22. Juni 168, die den 3. Makedonischen Krieg beendete, ließ Aemilius Paulus in Epeirus, das überwiegend den Makedonen Perseus unterstützt hatte, siebzig Orte plündern und Tausende Menschen versklaven . Diese Ergebnisse der neuen Ausgrabungen legen für Lissos ein vergleichbares Schicksal nahe.

Die Grabungsergebnisse zeigen, dass die Stadt offenbar nach der Niederlage des Illyrischen Reiches gegen Rom radikal verändert wurde: Im Grabungsbereich A wurden die Gebäude bis auf die Grundmauern abgetragen und das Gelände aufgeschüttet; es entstand eine neue Architektur, die von den bisherigen Mauer- und Straßenverläufen deutlich abweicht. Zumindest im südwestlichen Viertel zwischen der Hauptstraße und der Hafenstraße entstand so ein neues Straßenraster, was auf eine Neuplanung und veränderte Straßenführung hindeutet, die möglicherweise die gesamte Stadt betraf. Die auf die Auffüllschicht aus Schutt gesetzten neuen Mauern wurden mit starken Fundamenten versehen, für die man großformatige Quader der Stadtmauer als Spolien wiederverwendete (›Bauzustand A 3‹). Die naheliegende Deutung, dass das nun Illyrien verwaltende Rom der Stadt Lissos den Schutz ihrer Stadtmauer nahm, wird auch durch den Befund im Grabungsbereich B ›extra muros‹ vor dem südlichen Haupttor bestätigt:

Westlich des südlichen Haupttores von Lissos, durch das die von Dyrrachion kommende Küstenstraße Richtung Dalmatien verlief, wurde unmittelbar vor der – wahrscheinlich um mehrere Lagen abgetragenen – Stadtmauer ein Gebäude unbestimmter Funktion errichtet. Noch im Laufe des 2. Jhs. v. Chr. entstand auf der Freifläche vor der Mauer ein hellenistisches Bad (›Bauzustand B 1‹), von dem die Reste einiger Mauern sowie ein Mosaikboden erhalten blieben, dessen griechische Inschrift die Funktion des Gebäudes verrät:

»Σωπάτρου τὸ βαλανῆον« - »Das Bad des Sopatros«

Während das urbane Leben im späten 2. Jh. v. Chr. auch den Raum ›extra muros‹ erfasste, hatte die Stadtmauer – zumindest im Bereich der Unterstadt – also ihre Wehrfunktion verloren.

Erst Caesar ließ in seiner Funktion als Prokonsul für das Illyricum die Stadt ›befestigen‹, sprich wieder befestigen, und setzte dort einen conventus römischer Bürger ein. Zu Beginn des Krieges in der Hand der Anhänger des Pompejus, war Lissos zum Versorgungshafen von Caesars Truppen geworden. Eine dreitägige Belagerung durch die Soldaten des Pompejus blieb für die Stadt offenbar folgenlos, allerdings gingen dreißig von Marcus Antonius im Hafen von Lissus zurück gelassenen Schiffe im Feuer zugrunde.

Wiederherstellungsarbeiten an zumindest einem Tor der Oberstadt durch einen Freigelassenen Caesars, Gaviarius, sind epigraphisch belegt und datieren in die letzten Jahre Caesars (49–44 v. Chr.). Archäologisch lässt sich die Erneuerung der Stadtmauern von Lissus, sprich der Wehrhaftigkeit der Stadt, z. B. auch darin fassen, dass die beiden Gebäude vor dem südlichen Haupttor bis auf wenige Zentimeter Höhe abgetragen wurden und die Freifläche vor der Stadtmauer damit wieder hergestellt wurde.

Die neuen Grabungsergebnisse innerhalb der Stadt geben erstmals Hinweise auf weitreichende urbane Veränderungen, die – synoptisch betrachtet – wie Bestandteile eines Bauprogrammes wirken und in das ausgehende 1. Jh. v. Chr. weisen: Im zentralen Grabungsbereich A sind mehrere deutlich voneinander trennbare Bauzustände nachweisbar: Dem Bauzustand A 3, der auf der Genthios-zeitlichen Zerstörungsschicht entstand, folgten um die Mitte des 1. Jhs. v. Chr. die Bauzustände A 4 und A 5. Eine schwarze Zerstörungsschicht zeigt, dass der Bauzustand A5 im dritten Viertel des 1. Jhs. v. Chr. in einem Feuer zugrunde ging, ohne dass es Hinweise auf die Ursache des Brandes gibt. Sehr wahrscheinlich ist diese Zerstörung bereits in die Zeit nach Caesar zu datieren. Für den folgenden ›Bauzustand A 6‹ wurde das Gelände vor der Terrassenmauer der Hauptstraße im zentralen Grabungsbereich A der Unterstadt bis zu deren Oberkante um fast 2 m aufgeschüttet; für die ›Neu-Bebauung‹ wurden die Mauern des vorherigen Bauzustandes als Fundamente genutzt.

In der Oberstadt, die durch einen steilen Geländeverlauf und nur wenige bebaubare Terrassen charakterisiert wird, konnten durch die neuen Ausgrabungen urbane Veränderungen greifbar gemacht werden: Die Terrasse M wurde gegen Mitte des 1. Jhs. v. Chr. erweitert, in dem ihr durch Felsen zerklüfteter südlicher Teil massiv aufgeschüttet wurde, die Auffüllschichten erreichen dabei eine Stärke von 2 m. Auf dieser Erweiterung der Terrasse wurde ein kleiner rechteckiger turmartiger Bau errichtet, von dem nur wenige Lagen erhalten blieben. Das Ausmaß des Steinraubes und eine massive spätere Störung lassen keine verlässliche Aussage zu seiner Funktion zu. Eine Deutung als Grabbau liegt aufgrund der Form und Dimension nahe, ist aber intra muros nur schwer vorstellbar, denkbar wäre auch ein Sakral- oder Memorialbau. Auf der höher gelegenen Terrasse O entstand wahrscheinlich in zeitlicher Nähe ein großer wohl öffentlicher Bau, von dem nur die aus Spolien anderer Gebäude bestehenden Fundamente erhalten blieben.

Umfangreiche Baumaßnahmen sind auch außerhalb der Stadt nachweisbar: Im Grabungsbereich B vor dem südlichen Haupttor wird unmittelbar auf der Schuttschicht des »Bades des Sopatros« (›Bauzustand B 1‹) auf der Freifläche vor der Stadtmauer ein – allerdings anders orientierter – Nachfolgerbau errichtet (›Bauzustand B 2‹), dessen Fundament auf Teilen des westlichen äußeren Turmes des südlichen Haupttores gründet, was bezeugt, dass sich dieser Turm bereits in einem ruinösen Zustand befunden haben muss.

Diese Baumaßnahmen, die aufgrund der stratigraphischen Daten wahrscheinlich in die ersten Jahre der Regierungszeit des Augustus (31 v. Chr.–14. n. Chr.) fallen, spiegeln eine prosperierende Stadt wider, die im Zeitalter der »Pax Romana« keiner Stadtmauer mehr bedurfte. Möglicherweise war diese prosperierende Phase von Lissus nur von kurzem Bestand: Die Tatsache, dass die nachaugusteische Kaiserzeit in Lissus bislang lediglich durch die kleine Therme (›Apsidenbau‹) vor dem Südtor sowie durch einige Münzen zu fassen ist, scheint darauf hinzuweisen, dass Lissus seinen urbanen Charakter verlor – möglicherweise als Folge des pannonisch-dalmatischen Aufstandes der Jahre 6 bis 9 n. Chr. – und erst in der Spätantike wiedergewann, wovon die die wiederhergestellten bzw. teils neu errichteten Befestigungen der Unterstadt und der Zitadelle und z. B. das neu entdeckte Baptisterium zeugen.

A. Oettel – G. Hoxha, Lissos, in: I. Gjipali – L. Përzhita – B. Muka, Recent Archaeological Discoveries in Albania (Tirana 2013) 142–153

In Druck:

A. Oettel, Lissos in Albanien – eine illyrische Stadt in hellenistischer Zeit, in: M. Zimmermann (Hrsg.), Urbane Strukturen und bügerliche Identität im Hellenismus, Die hellenistische Polis als Lebensform 5 (Mainz 2014)