Raum & Zeit
Die literarischen Nachrichten, die uns Aufschluss über die Geschichte der illyrischen Stadt Lissos geben können, stammen ausschließlich von Griechen und Römern und beziehen sich zumeist auf die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Illyrern und dem Imperium Romanum. So erfahren wir, dass die für »piratenartige Angriffe« auf Griechenstädte berüchtigte illyrische Königin Teuta (232/231 –229 v. Chr.) im Frühjahr des Jahres 229 v. Chr., am Ende des 1. Illyrischen Krieges, eine Gesandtschaft an die Römer sandte, in einem Vertrag Tributzahlungen zustimmte und sich verpflichtete, jenseits von Lissos nicht mit mehr als zwei Schiffen, und diesen unbewaffnet, zu segeln (Polybios 2, 12, 3; vgl. auch 3, 16, 3).
Als dann im Jahre 169 v. Chr. eine makedonische Gesandtschaft König Genthios (181–168 v. Chr.) in seiner Hauptstadt Skodra aufsuchte, erfuhr sie, dass dieser gerade in Lissos residierte, jener Stadt, die Plinius der Ältere (nat. 3, 144) später als die südlichste Stadt des Siedlungsgebietes der eigentlichen Illyrer – Illyrii proprie dicti – bezeichnen sollte. Diese Begebenheit überliefert ebenfalls Polybios (28, 8, 4; vgl. auch Livius 43, 20, 2), der als Achäer nach dem Ende des 3. Makedonischen Krieges als Geisel nach Italien gebracht wurde, wie auch König Genthios als Gefangener der Römer nach deren Sieg im Jahre 168/167 v. Chr. über das Illyrische Königreich in Rom im Triumph des L. Anicius Gallus mitgeführt wurde (Livius 44, 30; Appian Ill. 9, 27).
Polybios (8, 13. 14; vgl. auch Strab. 7, 316) verdanken wir auch die ebenso detaillierte wie anschauliche Schilderung der Belagerung und Eroberung von Lissos durch das makedonische Heer unter Philipp V. im Jahre 213 v. Chr. während des 1. Makedonischen Krieges (215–205 v. Chr.).
Das Gründungsdatum der Stadt überliefert vermeintlich Diodor (XV, 13. 14). Er berichtet, der Tyrann Dionysios I. von Syrakus habe um 385/384 v. Chr., Lissos als eine seiner Adriakolonien gegründet. Während manche Forscher die antike Überlieferung übernehmen, gehen andere allerdings davon aus, dass hier eine Verwechslung mit Issa, einer Stadt auf der kleinen gleichnamigen Insel vor der Küste Dalmatiens, dem heutigen Vis, vorliegt.
Caesar (civ. 3, 29, 1) ließ die Stadt später als Prokonsul für das Illyricum ‘befestigen’ und setzte dort einen conventus römischer Bürger ein. Drei Inschriften des Freigelassenen Gaviarius aus caesarischer Zeit, eine in der Überlieferung des Cyriacus von Ancona, belegen zudem die Wiederherstellung von Teilen der Stadtmauer. Der Hintergrund dieser Aktivitäten war, dass Lissos Caesars Truppen im Bürgerkrieg als Versorgungshafen diente (Caesar civ. 3, 29, 1; 40, 5; 42, 4; 78, 4).
Die Lage der Stadt Lissos beschreibt bereits um die Mitte des 19. Jhs. der Forschungsreisende Georg von Hahn treffend: »Der Citadellenhügel ist der westlichste Vorsprung der das südliche Ufer des Drin flankierenden Bergketten; er beherrscht nicht nur die Küstenebene, sondern ist auch der Schlüssel zum Drintal und scheint daher von der Natur selbst zur Akropolis bestimmt zu sein.«.
Die naturräumliche Situation der hellenistischen Stadt Lissos war entsprechend so, dass aufgrund des nach Westen bis zur Adria-Küste vorgeschobenen Burgberges ein Passieren dieses natürlichen ›Engpasses‹ in Nord-Süd-Richtung nur möglich war, in dem man entweder die Unterstadt von Lissos durchquerte oder die Stadt östlich über den Sattel zwischen dem Burgberg und dem Berg Mali e-Shelbuemit, den Praschniker und Schober als die Festung Akrolissos identifizieren konnten, umging. In vorhellenistischer und hellenistischer Zeit kontrollierten Lissos und Akrolissos somit die Straßenverbindung entlang der Küste.
Durch den Jahrhunderte währenden Verlandungsprozess liegt Lissos/Lezha heute ca. 7 km von der Adria-Küste entfernt.
J. G. von Hahn, Albanesische Studien (Wien 1853) 92
C. Praschniker – A. Schober, Archäologische Forschungen in Albanien und Montenegro (Wien 1919) 23
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