Măgura Gorgana bei Pietrele an der Unteren Donau

Blick auf den Siedlungshügel 2018 © DAI Eurasien-Abteilung // Svend Hansen

Forschung

Arbeitsteilung und Spezialisierung

Die Fundverteilung bietet in Pietrele entscheidende Argumente für unterschiedliche ökonomische Aktivitäten, welche auf Spezialisierung und Arbeitsteilung beruhen. Die große Einheitlichkeit der materiellen Kultur setzt ein komplexes System nicht nur von Austauschprozessen, sondern auch Produktionstechniken und über die einzelnen Siedlun- gen hinausgehende Spezialisierungen voraus.

Bekanntlich geht der Begriff der sozialen Arbeitsteilung – im Unterschied zur geschlechtlichen Arbeitsteilung – auf Émile Durkheim und seine 1893 erschienene Studie »De la division du travail social« zurück. Die soziale Arbeitsteilung beschreibt das Maß der sozialen Differenzierung und der wirtschaftlichen Spezialisierung, die auch mit einer Spezialisierung des Wissens einhergeht. Eine geringe Arbeitsteilung bewirkt, dass jeder das Nötige selbst herstellen kann. Dies wird von einer »mechanischen Solidarität« begleitet, die auf der Ähnlichkeit des Handelns der Individuen gründet. Durkheim schreibt: »Bei den niedrigen Völkern besteht das angemessene Handeln des Menschen darin, seinen Mitmenschen zu gleichen, in sich alle Wesenseigenschaften des Kollektivtypus zu realisieren« . Alle Personen haben mehr oder minder den gleichen Wissens- und Denkhorizont.

Höhere Arbeitsteilung führt Durkheim zufolge hingegen zu einer größeren Abhängigkeit des Einzelnen von anderen, sie gründet auf Komplementarität und sozialer Differenzierung. Dies führt zu einer »organischen Solidarität«, die aus der gegenseitigen Abhängigkeit der Menschen resultiert. Organisch ist sie, weil die Organe eines Körpers zusammen die Gesellschaft bilden. Die Frage der gegenseitigen Abhängigkeit unterschiedlicher gesellschaftlicher Klassen war ein Gedanke, der im 19.Jh. virulent war und von Durkheims Neffen und Schüler Marcel Mauss in seiner Studie über die Gabe variiert wurde.

Arbeitsteilung archäologisch nachzuweisen kann auf zwei Wegen gelingen. Sie lässt sich im archäologischen Befund oder auch über das spezialisierte Wissen nachweisen, das zur Herstellung von Produkten notwendig ist.

In Pietrele lassen sich zunächst relativ deutliche Unterschiede in der Fundverteilung herausarbeiten. So ist in den Häusern der Fläche F der ganz überwiegende Teil der Jagd- und Fischfangutensilien zum Vorschein gekommen. Drei Hausgenerationen in Fläche B sind hingegen durch das Mahlen von Getreide und Installationen zur Textilherstellung geprägt, wofür u. a. zwei in situ aufgedeckte Webstühle mit ungebrannten Gewichten sprechen. Wir meinen hier Hauseinheiten bzw. Haushalte festzustellen, die auf unterschiedliche wirtschaftliche Strategien spezialisiert waren. Sie mögen diesen Tätigkeiten nicht ausschließlich nachgegangen sein, doch lässt sich der Befund nicht in Einklang mit der Vorstellung bringen, überall sei das Gleiche gemacht worden.

Die Fundverteilung bietet Argumente für unterschiedliche ökonomische Aktivitäten in den Häusern, welche auf Spezialisierung und Arbeitsteilung beruhen, auch wenn – aufgrund der begrenzten Grabungsflächen – die Gleichung Haus = Haushalt nicht belegt werden kann. Dennoch zeigen die vorhandenen Spezialisierungen neue Berufsgruppen an, die Traditionen herausbildeten: der Töpfer oder die Töpferin, der Lange-Klingen-Hersteller und der Gießer. Spezialisten waren im 5. Jt. v. Chr. schon eine Realität und sind keineswegs ein theoretisches Konstrukt der Archäologie

Die ununterbrochene Abfolge von sieben Häusern in Fläche F ist ein starkes Argument für eine Spezialisierung auf Jagd und Fischfang, die familiär über mehrere Generationen weitergegeben wurde. Diese Konstanz überspannt 250 Radiokarbonjahre. Hier wird erstmals eine Familientradition sichtbar, in der die Kinder das lernten, was ihre Eltern als Beruf ausübten. Die Untersuchungen von Kenneth Ritchie haben gezeigt, dass es ein großes Spektrum von Fischen in der Siedlung gab, die mit Netzen gefangen, aber auch harpuniert wurden. Die Harpunen glauben wir mit der Jagd auf große, bis zu 3 m lange Welse verbinden zu können, die zu harpunieren ein Geschick erforderte, das ein gewisses Training verlangte.

Ein anderer Weg, Arbeitsteilung zu erschließen, ist die Herstellung von Produkten nachzuvollziehen. So kann man aus der Existenz eines bereits in neolithischer Zeit sehr komplexen »handwerklichen« Wissens, das von Generation zu Generation tradiert werden musste, auf die Existenz arbeitsteiliger Prozesse außerhalb des Subsistenzsektors schließen. Dabei wird entweder angenommen, dass die Spezialisten in subsistenzwirtschaftlicher Produktion teilgebunden seien und in »Teilzeit« spezielle Güter produzieren. Oder sie sind Vollzeitspezialisten außerhalb der Subsistenzwirtschaft, also »Handwerker« oder »Händler«.

Die arbeitsteilig wirtschaftenden Haushalte in Pietrele sind am besten mit einem redistributiven System zu erklären, in dem eine Instanz die Produktion überwachte, Überschüsse requirierte, umverteilte und dabei anfallende Gebühren entnahm. Dieses System war nicht auf den Siedlungshügel mit der Außensiedlung beschränkt, sondern umfasste vermutlich auch andere Weiler in der näheren und weiteren Umgebung. Es war ein sozial differenziertes und hierarchisiertes System, in dem sich die landwirtschaftliche Produktion abspielte, die in hohem Maße durch Fischfang und in den späteren Perioden auch durch die Jagd ergänzt wurde.

Metallurgie

Für die Produktion von Metallobjekten wird allgemein ein spezialisiertes Wissen angenommen. Die ca. 300 Kupferobjekte in Pietrele, überwiegend Pfrieme und Nadeln sowie ein Meißel, sind jedoch vermutlich nicht vor Ort hergestellt worden, sondern stammen aus Werkstätten, die noch nicht identifiziert wurden.

In Pietrele ist hingegen die älteste Pyrotechnologie von Bleierzen in Europa nachgewiesen. In kleinen bikonischen Gefäßen wurde Bleiglanz geschmolzen. Spuren von Blei sind an elf solcher Tiegel mittels portabler Röntgenfluoreszenzspektroskopie nachgewiesen und weitere Untersuchungen mit Labormethoden in Gang gesetzt worden. Das Endprodukt dieser Schmelzvorgänge ist unklar. Es scheint nicht direkt mit der Metallproduktion zusammen zu hängen. Die hohe Zahl solcher Gefäße in Pietrele sowie in verschiedenen anderen zeitgleiche Siedlungen und Gräbern in Rumänien und Bulgarien zeigt aber, dass diese pyrotechnischen Aktivitäten weit verbreitet und eine kulturelle Praxis waren, die wir recht genau zwischen 4400 und 4300 v. Chr. datieren können.

Fernverbindungen

In Pietrele fanden sich bislang ca. 13000 Klingen und Klingenfragmente aus Silex, die ausschließlich als Fertigprodukte in die Siedlung gekommen sind. Die mehr als 20 cm langen Klingen (»superblades«) sind eindeutig das Produkt spezialisierten Handwerks. Nicht zuletzt die Erfahrungen der experimentellen Archäologie zeigen, dass die Herstellung von entsprechend qualitätvollen Klingen einer sehr langen Übung bedarf. Die »superblades« wurden mit einem Hebel abgedrückt (»lever pressure«). Sie finden sich in den reich ausgestatteten Gräbern in Varna und Durankulak. Daneben sind sie zahlreich auch aus Siedlungshügeln belegt. Mehrere solcher Klingenvorräte stammen aus Pietrele. Ihre Herstellung erfolgte vermutlich in Werkstätten an Flintminen im heutigen Nordostbulgarien um die Dörfer Ravno und Kriva Reka sowie um Nikopol. Inzwischen sind in Nordbulgarien auch erstmals Ateliers aufgedeckt worden, aus denen möglicherweise die Klingen von Pietrele stammen könnten.

Fernverbindungen zum Mittelmeer signalisieren 80 Spondylusobjekte, meist Perlen und Armringe. Unter den Schmuckobjekten sind ferner Stücke aus Knochen, Ton, Marmor, Kalkstein, Eberhauer und Muschelperlmutt zu nennen.

Plastik

Unter den 535 anthropomorphen und 109 zoomorphen Statuetten finden sich überproportional singuläre Stücke, darunter auch zwei Steinfigurinen, eine Schildkrötenplastik u.v.m. Zu diesen Miniaturen sind wohl auch 100 Architektur- und 80 Möbelmodelle zu zählen. Die vergleichsweise hohe Zahl von Statuetten lässt vermuten, dass der Siedlungshügel nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die rituellen Aktivitäten steuerte. Die Analyse der Fundverteilung auf dem Siedlungshügel gibt jedoch keine weiterführende Hinweise. Hingegen lassen sich deutliche regionale Typengruppen herausarbeiten.

Auch einzelne Statuettengruppen besitzen offenbar eine soziale Relevanz. Die großen, gewölbten Knochenfiguren, welche sich als Phallusdarstellungen interpretieren lassen, sind auf Personen mit hohem sozialen Rang begrenzt. Dies ist der Befund, der sich im Gräberfeld von Varna erschließen lässt. Überträgt man diesen Befund auf die insgesamt neun phallischen Knochenfiguren aus Pietrele, so legt dies den Schluss nahe, dass auf dem Siedlungshügel jene soziale Schicht lebte, die in den reichen Gräbern von Varna repräsentiert ist.

Spezialisierte Keramikherstellung

Auch die Keramik wurde von spezialisierten Töpfern oder Töpferinnen hergestellt. Dies zeigen auf der einen Seite die großen Schalen mit ihrem komplexen Dekor, die nur auf beständige Übung mit dem importierten Graphit zurückzuführen ist.

Darüber hinaus sind auch die Pithoi, die großen Vorratsgefäße, in Pietrele als Produkte spezialisierter Töpfer anzusehen. Sie sind Zeugnisse für die Beherrschung des technisch anspruchsvollen und zeitintensiven Aufbauens großer Gefäße sowie des kontrollierten Brands im Ofen, von dem bei Gefäßen dieser Größe zwingend auszugehen ist. Die Herstellung von Großkeramik ist technisch deutlich anspruchsvoller als die von kleinen Gebrauchsgefäßen. In Griechenland verglich man deshalb mit der Redewendung »sie versuchen das Töpferhandwerk durch die Herstellung von Pithoi zu erlernen«, den Versuch zu rennen, bevor man laufen kann.

Die Großgefäße sind für die Handwerksgeschichte also von besonderem Interesse. Sie haben in Pietrele Verzierungen, die sich nicht auf den kleineren Gefäßformen wiederfinden. So ist für die Pithoi ein Dekor charakteristisch, der den Betrachter in eine gewisse Verunsicherung stürzt, da nirgends ein Anfang oder ein Ende der zwei Spiralwindungen zu erkennen ist. Vielleicht ist er als eine Versinnbildlichung des unendlichen Surplus zu verstehen. Bei einem anderen, noch 74 cm hohen Großgefäß und noch eindeutiger bei einem etwas kleineren, aber noch 300 Liter fassenden Pithos finden sich drei Kreise, die möglicherweise Darstellungen von Goldscheiben sind, wie sie aus dem Gräberfeld von Varna bekannt sind. Dort bedeckten sie den vom Verfall bedrohten Körper, hier sollten sie vielleicht die Vorräte vor dem Verderben bewahren.

Reste eines verbrannten Hauses in Fläche F 2015 © DAI Eurasien-Abteilung // Svend Hansen
Fläche F 2019 mit Blick auf das Profil des Siedlungshügels © DAI Eurasien-Abteilung // Svend Hansen
Gefäße in Fläche S in situ © DAI Eurasien-Abteilung // Svend Hansen
Kupferobjekte © DAI Eurasien-Abteilung // Svend Hansen
Anthropomorphe Plastik aus Ton © DAI Eurasien-Abteilung // Svend Hansen
Spondylus © DAI Eurasien-Abteilung // Svend Hansen
Flintklingen © DAI Eurasien-Abteilung // Svend Hansen
Steinbeilklingen © DAI Eurasien-Abteilung // Svend Hansen
Pietrele 2023: Team © DAI Eurasien-Abteilung // Svend Hansen