Der archaische Wagenrennen-Fries von Myus in der Antikensammlung Berlin - Befund, Deutung, Kontext, Rekonstruktion

Antikensammlung zu Berlin (Sk 1666), Wagenrennen-Fries aus Myus, Fragment eines Friesblocks aus Marmor mit Darstellung des Kopfes und des erhobenen, nach vorne gestreckten Oberarmes eines nach links gerichteten Wagenlenkers im Profil © Antikensammlung, SMB, SPK // Hans Rupprecht Goette

Ergebnisse

Bei der zeichnerischen Aufnahme der rund vierzig zum Teil relativ großformatigen Fragmente des Myus-Frieses in Berlin konnten insgesamt fast fünf Quadratmeter Relieffläche dokumentiert werden, was der Relieffläche von ca. vier bis viereinhalb der ursprünglich ca. 70 cm hohen und ca. 1,60 bis 1,80 m langen Friesblöcke entspräche. Anhand der dokumentierten Fragmente mit ihren zahlreichen Variationen in vielen Details der Darstellung konnte die Verf. unter den einunddreißig Fragmenten der im Absprunggalopp dargestellten Pferde bislang wenigstens acht unterschiedliche Versionen des nach links und fünf des nach rechts galoppierenden Pferdegespanns unterscheiden, die ursprünglich zu mindestens dreizehn verschiedenen Friesblöcken gehörten und bei einer symmetrischen Konzeption des Frieses auf mindestens sechzehn Friesblöcke hinweisen, also rund 25 bis 29 laufende Meter des Wagenrennen-Frieses. Anhand der erhaltenen neun Fragmente von Köpfen, Armen, Gesäß und Beinen der fast halblebensgroßen Wagenlenker, die sich vor allem in der Haltung der vorgestreckten Arme und der Zügel haltenden Hände unterscheiden, werden sich diese in verschiedenen Versionen rekonstruieren lassen. Von den Wagen, von denen vier großformatige und fünf kleinere Fragmente bekannt sind, können wenigstens zwei Wagen vollständig und drei weitere in großen Partien ergänzt werden. Die unterschiedlichen Wagenräder mit vier, sechs oder acht verschieden gestalteten Speichen gehörten ursprünglich zu mindestens acht unterschiedlichen Wagen. Des Weiteren entdeckte die Verf. an geschützten Stellen zweier Friesfragmente Reste rote Farbspuren, die nahelegen, dass der Reliefgrund des Frieses ursprünglich sogar rot gefasst oder während des Werkprozesses mit Rötel gefärbt war. Diese vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass von dem in vergleichsweise zahlreichen, teils relativ großformatigen Fragmenten überkommenen Wagenrennen-Fries aus Myus deutlich mehr erhalten ist als von anderen Friesen archaischer ionischer Tempel, und dass die Fragmente das Potential bieten, wenigstens dreizehn oder mehr Friesblöcke in großen Partien zuverlässig zu rekonstruieren und damit einen relativ beträchtlichen Teil des Frieses für die Forschung wiederzugewinnen und visuell wiederherzustellen. Neue befundbasierte Rekonstruktionen könnten darüber hinaus die Grundlage bilden für eine künftige neue Präsentation des Wagenrennen-Frieses aus Myus in der neuen Ausstellung des Pergamonmuseums zu Berlin.

Beim sorgfältigen Untersuchen und Vermessen der Friesfragmente, insbesondere der Stücke mit der größten erhaltenen Tiefe, konnte die Verf. darüber hinaus eine wichtige Beobachtung machen: Es zeigte sich, dass von keinem der Fragmente im Berliner Magazin eine originale Rückseite oder auch nur Partien oder Reste einer solchen erhalten sind, sondern ausschließlich Bruchflächen – ohne jegliche Werkspuren. D. h., dass die erhaltenen marmornen Friesfragmente nicht Bruchstücke flacher Friesplatten, sondern quaderförmiger Fries-Blöcke waren, deren ursprüngliche Tiefe (deutlich) größer als 29 cm war. Für die Überlegungen zum ursprünglichen Anbringungsort des Frieses am unteren Tempel von Myus sind mit der größeren Tiefe der Friesblöcke und den Anathyrosen der Lager- und Stoßflächen sowie der Existenz von wenigstens sechzehn Friesblöcken und einer Mindestlänge des Frieses von rund 25 bis 29 m signifikante neue Indizien gewonnen. Diese legen nahe, dass es sich bei dem Wagenrennen-Fries um einen am Tempel umlaufenden Wandfries handelte, der nicht auf den Pronaos beschränkt war, wie z. B. die sog. Porosfriese am Polykratischen Tempel in Samos, sondern an den Cellawänden umlief – und nicht, wie ohne Kenntnis des Befunds postuliert, im Gebälk der Peristasis.

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https://projectdb.dainst.org/fileadmin/Media/Projekte/5853/Bilder/Myus_Fries_SK_1666_4055_web_HR_Goette_SMB_Ant.jpg Antikensammlung zu Berlin (Sk 1666), Wagenrennen-Fries aus Myus, Fragment eines Friesblocks aus Marmor mit Darstellung des Kopfes und des erhobenen, nach vorne gestreckten Oberarmes eines nach links gerichteten Wagenlenkers im Profil

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