Der archaische Wagenrennen-Fries von Myus in der Antikensammlung Berlin - Befund, Deutung, Kontext, Rekonstruktion

Antikensammlung zu Berlin (Sk 1666), Wagenrennen-Fries aus Myus, Fragment eines Friesblocks aus Marmor mit Darstellung des Kopfes und des erhobenen, nach vorne gestreckten Oberarmes eines nach links gerichteten Wagenlenkers im Profil © Antikensammlung, SMB, SPK // Hans Rupprecht Goette

Raum & Zeit

Die Stadt Myus liegt rund 15 km nordöstlich der antiken Stadt Milet und rund 18 km südlich der modernen Stadt Söke im Mäanderdelta in der Nähe des heutigen Dorfes Afşar in der Westtürkei. In der Antike gehörte Myus zum Ionischen Zwölfstädtebund (Hdt. 1, 142. 149 f.; Strab. 14, 636; Vitr. 4, 1, 4) und war ursprünglich eine Hafenstadt an der Mündung des Flusses Mäander in den Latmischen Golf. Die Stätte heißt heute »Afşarkale« nach den Resten einer byzantinischen Burg aus dem wohl 13. Jahrhundert, die den Tempelhügel von Myus bekrönt.

Geschichte

Zur Geschichte der Stadt gibt es ab spätarchaischer Zeit einzelne in literarischen und epigraphischen Quellen überlieferte Anhaltspunkte: So berichtet der griechische Geschichtsschreiber Herodot (5, 36), dass die persische Flotte während des Ionischen Aufstands vor Myus ankerte, und dass Myus im Jahre 494 v. Chr. mit drei Schiffen an der Seeschlacht bei der Insel Lade teilnahm (Hdt. 6, 8). Als der attische Feldherr Themistokles 465 v. Chr. ins Perserreich floh, schenkte ihm König Artaxerxes neben Lampsakos und Magnesia am Mäander auch Myus als Lehen (Thuk. 1, 138, 5; Plut. Them. 10, 3). Von 452/451 bis 432/431 v. Chr. erscheint Myus in den Listen des Attischen Seebundes. Wie aus Inschriften hervorgeht, scheint Myus bereits im 3. Jh. v. Chr. seine politische Unabhängigkeit an das benachbarte überlegene Milet verloren zu haben. Im Jahre 201 v. Chr. wurde die eroberte Stadt von dem Makedonenkönig Philip V. an Magnesia übergeben (Polyb. 16, 24, 9). Mit der zunehmenden Verlandung des Latmischen Golfes und damit des Hafens von Myus durch die Anschwemmungen des Mäander setzte in hellenistischer Zeit offenbar der wirtschaftliche Niedergang der Stadt ein. Vermutlich im 2. Jh. v. Chr. wurde die Stadt dann notgedrungen aufgegeben und die Myusier siedelten nach Milet um (Strab. 14, 636). Laut des griechischen Geographen Strabon war die Stadt um die Zeitenwende von der versumpften Mäandermündung aus nur noch mit Ruderbooten zu erreichen.

Der griechische Perieget Pausanias (7, 2, 11) berichtete im 2. Jh. n. Chr.: » … die Bewohner von Myus jedoch verließen ihre Stadt wegen des folgenden Schicksals: Im Gebiet von Myus erstreckte sich ein nicht großer Meerbusen ins Land. Diesen machte der Fluß Maiandros zu einem See, indem er die Einfahrt mit Schlamm abschnitt. Als das Wasser Süßwasser wurde und nicht mehr Meer war, entwickelten sich die Mücken in unendlicher Menge aus dem See, bis sie die Menschen zwangen, die Stadt zu verlassen. Die Myusier zogen sich nach Milet zurück und nahmen alles Tragbare und auch die Götterbilder mit, und zu meiner Zeit war nichts mehr in Myus als ein Marmortempel des Dionysos.« (Übersetzung E. Meyer, Pausanias Beschreibung Griechenlands [Zürich /Stuttgart 1967])