Colón: Siedlungsstrukturen im Nordosten von Honduras

© DAI-KAAK // Mike Lyons

Forschung

Forschungsziel

In der Feldkampagne 2019 war das vierjährige archäologische Projekt Guadalupe abgeschlossen worden, in welchem in dem kleinen Dorf Guadalupe ein vorspanischer Siedlungshügel archäologisch untersucht und ausgegraben wurde. Guadalupe liegt im Departamento Colón an der Nordostküste von Honduras und befindet sich etwa 15 Kilometer westlich der Stadt Trujillo. Die Küste bildet in dieser Region lediglich einen schmalen Streifen, welcher im Süden durch die Bergkette Nombre de Dios begrenzt wird, hinter der sich wiederum das intensiv landwirtschaftlich genutzte Tal des Rio Aguán anschließt. Nachdem sich die archäologischen Forschungen im Projekt Guadalupe weitgehend auf die Ausgrabungen eines Siedlungsplatzes konzentriert haben, sollen im Projekt Colón nunmehr neue Erkenntnisse über das vorspanische Siedlungsbild der weiteren Umgebung Guadalupes erlangt werden. Dabei wird die Region im Nordosten von Honduras durch systematische Fernerkundungen, Fundortbegehungen, Vermessungen sowie Testgrabungen untersucht, wodurch die Anzahl, Zeitstellung, regionale Verteilung und die strukturelle Vernetzung von Siedlungen und Wirtschaftsstandorten in vorspanischer Zeit erforscht werden sollen.

Fragestellung

Im Laufe unserer archäologischen Forschungen wurde immer deutlicher, dass Guadalupe Teil eines ausgedehnten und weit verzweigten Siedlungssystems war. Für uns Archäolog:innen ist es eine Herausforderung, dieses System zu ergründen und zu rekonstruieren. Insbesondere gilt es, die einzelnen Knoten dieses Netzwerkes zu identifizieren und deren Funktion zu bestimmen. In welcher Beziehung stand der Küstenort Guadalupe zum Hinterland? Ist es ein Zufall, dass wir schon bei ersten Begehungen im fruchtbaren Aguán-Tal große Fundorte sowohl aus der Cocal-Zeit, als auch aus der vorausgehenden Selin-Zeit entdeckten? Wie weit können wir die Besiedlungsgeschichte der Region zurückverfolgen? Könnten wir vielleicht sogar Siedlungen aus der ältesten Cuyamel-Phase finden? Gab es Verbindungsrouten und Zwischenstationen zwischen der Küste und dem Aguán-Tal? Welche Beziehungen bestanden zwischen der Küste und den vorgelagerten Karibikinseln?

Forschungsgeschichte

Seit Beginn der systematischen Forschungen im 19. Jahrhundert konzentrierten sich die archäologischen Tätigkeiten in Honduras auf die Maya-Stadt Copán, welche im äußersten Westen des Landes liegt. Die bisherigen Kenntnisse über die vorspanische Besiedlung des nordöstlichen Honduras basieren auf einzelnen Forschungsprojekten weniger Personen. Die ersten detaillierten Berichte dieser Region stammen von William D. Strong, der in den 1930er Jahren nach Honduras kam und das Gebiet um Trujillo sowie die Islas de la Bahía untersuchte und einige Fundstellen dokumentierte. Eine weitere wichtige Publikation stammt von Doris Stone aus dem Jahr 1941, welche mit zahlreichen Abbildungen von Artefakten einen guten Überblick über das Fundmaterial der Region gibt. 1957 erarbeitete Jeremiah Epstein anhand von Grabungsfunden von den 1950 unter Alfred Kidder II., Gordon Ekholm und Gustav Stromsvik durchgeführten Grabungen die erste Chronologie der Keramik des nordöstlichen Honduras. Er definierte darin die zwei aufeinander folgenden Zeitperioden Selin (300–1000 n. Chr.) und Cocal (1000–1525 n. Chr.) und bildete damit das Grundgerüst der heutigen Chronologie.

In den 1970er Jahren konnte Epsteins Chronologie durch Paul Healy und die erstmalige Verwendung von C14-Daten bestätigt, verfeinert und erweitert werden. Healy leitete mehrere Grabungen im Umfeld von Trujillo, im Rahmen derer in den Cuyamel-Höhlen im Aguán-Tal präklassische Keramik gefunden werden konnte. Somit wurde die Chronologie um die frühe Cuyamel-Phase (1350–400 v. Chr.) ergänzt, wodurch sich eine Lücke von rund 700 Jahren in der Chronologie ergab, die bis heute nicht geschlossen werden konnte. In den Folgejahren fanden einige Projekte statt, welche sich auf Oberflächenbegehungen und die Registrierung von Fundplätzen beschränkten. Christopher Begley führte in den 1990er Jahren ein umfangreicheres Projekt im Culmí-Tal im Departamento Olancho durch, welches zwar rund 100 Kilometer im Landesinneren liegt, dessen Fundinventar jedoch große Ähnlichkeiten zu dem des gesamten honduranischen Nordostens und den Islas de la Bahía aufweist.

2007 veröffentlichte Carrie Dennett eine Keramiktypologie des nordöstlichen Honduras, nachdem sie das Fundmaterial des cocalzeitlichen Fundortes Río Claro im Aguán-Tal ausgewertet hatte. Seit 2008 führt die honduranische Denkmalschutzbehörde IHAH das Proyecto Sitios Clave durch, welches zum Ziel hat, möglichst viele Fundorte an der Nordostküste zu dokumentieren und somit ihrer Zerstörung entgegenzuwirken. Auch der honduranische Archäologe Oscar Neill Cruz, welcher als Partner in den Projekten Guadalupe und Colón fungiert, wirkte viele Jahre in diesem Projekt mit. Seit 2015 finden in Selin Farm bei Trujillo Untersuchungen unter der Leitung von Whitney Goodwin statt.

Neben all diesen Forschungsergebnissen kann das Projekt Colón ebenso auf die Vorarbeiten und Erfahrungen des vorangegangenen Projektes Guadalupe aufbauen. Insbesondere müssen hierbei die Grabung und die dabei entnommene große Menge an Fundmaterial der frühen und späten Cocal-Phase genannt werden. Franziska Fecher erarbeitete in ihrer Dissertation ein neues Klassifikationsschema für die Keramikfunde der Region, wodurch die Chronologie von Epstein, Healy und zuletzt Dennett erweitert werden konnte. Daneben wurden im Projekt Guadalupe verschiedene topographische Vermessungen sowie erste unsystematische Surveys, etwa an den Fundorten Coraza Alta, Colonia Suyapa und Plan Grande auf der Insel Guanaja vorgenommen. Einige der bei diesen Prospektionen gemachten Oberflächenfunde wurden bereits durch den Doktoranden Michael Lyons mithilfe von Dünnschliffen von Keramikfragmenten hinsichtlich ihrer Tonzusammensetzung untersucht.

Methodik

Während der Feldkampagnen 2020 und 2022 lag der methodische Schwerpunkt vorerst auf der Begehung von archäologischen Fundplätzen im nordöstlichen Honduras, insbesondere auf dem Küstenstreifen westlich von Trujillo, auf den Islas de la Bahía, im Aguán-Tal und im Umkreis der Stadt Puerto Lempira in der Mosquitia. Einige dieser Fundplätze waren bereits aus älteren Publikationen bekannt, die Mehrzahl wurde aber erstmalig registriert und dokumentiert. Bei der Lokalisierung dieser uns bisher unbekannten Fundplätze konnte auf Erfahrungswerte und der im Rahmen der Surveys im Projekt Guadalupe erkannten Muster zurückgegriffen werden. Zudem lieferten die 2020 angefertigten LiDAR-Aufnahmen (Light Detection and Ranging) des Küstenstreifens zwischen Trujillo und Rio Coco viele Anhaltspunkte für gezielte Begehungen 2022. Jedoch halfen auch die Gespräche mit der einheimischen Bevölkerung sehr bei der Definition neuer Fundplätze und Fundkonzentrationen. Ziele der Surveys sind insbesondere die Verortung der Fundplätze, die Dokumentation nach einem einheitlichen System, ihre Klassifizierung und nach Möglichkeit die Bestimmung ihrer Ausdehnung, Funktion und Datierung, sowie das Anlegen von Keramiksammlungen für eine typologische und archäometrische Analyse.

Die Arbeiten während der Kampagne 2023 waren hingegen dreigeteilt: Neben der Fortführung der Fundortprospektion, nun vor allem in der Bergkette Nombre de Dios, konnten zwei Ausgrabungen an den Fundorten Betulia Pueblo und Coraza Alta realisiert werden. Diese dienten in erster Linie dem Verständnis der Stratigraphie der Fundorte sowie der Bergung eines aussagekräftigen Fundsamples, welches im Folgenden als Grundlage einer Keramik- und Fundtypologie fungieren soll.

Der bereits viele Jahre bekannte und aufgrund von Oberflächenfunden klar als selinzeitlich datierte Siedlungsplatz Coraza Alta zeichnet sich durch mehrere längliche, rechtwinklig zueinander ausgerichteten Hügelstrukturen aus. Am Nordhang eines dieser Hügel (Monticulo 03) wurde ein 3 x 2 m großer Grabungsschnitt angelegt, welcher in künstlichen Schichten á 20 cm ausgegraben und fotografisch und zeichnerisch dokumentiert wurde. Vermessungen wurden mit einer Totalstation durchgeführt.

Der Fundort Betulia Pueblo wurde hingegen erst 2020 durch die Begehungen im Projekt Colón registriert und im selben Jahr konnte eine kleine Testgrabung durchgeführt werden, die große Mengen vermutlich präklassisch datierender Keramikfragmente lieferte. Der Fundort befindet sich auf einer erhöhten Flussterrasse innerhalb der modernen Siedlung Betulia und lässt sich oberflächlich anhand von Keramikscherben und anderer Funde, sowie einiger weniger Hügelstrukturen erkennen. Der Grabungsschnitt von 5 x 5 m Größe wurde inmitten der Terrasse auf einer niedrigen, vermutlich künstlichen Erhebung unmittelbar neben der Testgrabung von 2020 angelegt und in künstlichen Schichten von 10 bis 20 cm, bei klar erkennbaren Befunden nach natürlichen Schichten ausgegraben. Die Grabung wurde mithilfe von Fotos, Zeichnungen, Beschreibungen und Vermessungen per Nivelliergerät dokumentiert.

Die Fundmengen aus den zwei Ausgrabungen und Surveys wurden gewaschen, klassifiziert und anschließend fotografiert, sowie gezeichnet oder mithilfe eines 3D-Streifenlichtscanners eingescannt, um 3D-Modelle zu generieren. Für eine absolute Datierung der Fundplätze wurden Holzkohleproben aus den Grabungen entnommen, von denen eine Auswahl zur Beprobung ins Labor geschickt werden konnte.

Luftaufnahme von der Karibikküste mit Betulia Pueblo im Vordergrund. Im Hintergrund zeichnet sich die Kordillere Nombre de Dios ab. © DAI-KAAK // Mike Lyons
Ausgrabungs- und Dokumentationsarbeiten in Betulia Pueblo 2023, im Hintergrund der Fußballplatz des Dorfes. Der Siedlungsort spielt für die Chronologie der Region eine Schlüsselrolle, da es sich hier um den ersten Fundplatz aus spätpräklassischer Zeit mit einem Übergang zur Selin-Zeit (ca. 2.-3. Jh. n. Chr.) handelt. © DAI-KAAK // Markus Reindel
Bei Testgrabungen in Betulia Pueblo 2020 stieß das Team auf Keramik, die älter sein musste als aus der bisher bekannten Selin-Periode (300-1000 n.Chr.). Ein besonderer Fund war diese Keramikmaske, welche Einblicke in die künstlerischen Fertigkeiten der frühen Bevölkerung von Betulia gewährt. Durch diese Funde konnte 2023 eine großflächigere und systematische Ausgrabung unmittelbar neben der Testgrabung initiiert werden. © DAI-KAAK // Marlisa Schacht
Auswahl von Keramikfunden aus der Ausgrabung in Betulia 2023. Die Funde werden gewaschen, getrocknet und anschließend fotografiert und gezeichnet oder gescannt, um ein 3D-Modell zu erhalten. Anhand der digitalisierten Profilzeichnungen lassen sich Keramiktypen klassifizieren und vergleichen. © DAI-KAAK // Mike Lyons, Marlisa Schacht, Adrien Martinet, Jeannine Langmann
Mithilfe von LiDAR (Light Detection and Ranging) lassen sich großflächig 3D-Modelle der Erdoberfläche erstellen, womit Strukturen sichtbar werden, die sonst unter der Vegetation nicht erkennbar wären. Die untere Hälfte des Bildes zeigt ein Digital Surface Model (DSM) mit Vegetation und modernen Strukturen, bei der oberen Hälfte wurde die Vegetation durch Software entfernt (DTM, Digital Terrain Model). Dadurch wurden die künstlichen Erdhügel von Coraza Alta im Zentrum erst sichtbar, welche schließlich bei Ausgrabungen 2023 näher untersucht wurden. © DAI-KAAK // Mike Lyons
Grabungsarbeiten in Coraza Alta 2023. Am unteren Ende des Grabungsschnitts stieß das Team auf einen größeren Befund im Zentrum, möglicherweise eine Brandstelle, welche Hinweise auf Siedlungsaktivitäten liefert. © DAI-KAAK // Marlisa Schacht
Mithilfe von Gesprächen mit der lokalen Bevölkerung, wie hier in Manatí, lassen sich wertvolle Informationen über Oberflächenfunde und archäologische Siedlungsreste gewinnen. © DAI-KAAK // Markus Reindel
Grünsteinfunde, wie hier aus Manatí, lassen durch verschiedene Analysen Rückschlüsse auf Austauschnetzwerke und Handelsrouten zu. Diese Grünsteinperlen und Spinnwirtel stammen aus einer Privatsammlung von Menschen, die vor Ort wohnen und die Funde wahrscheinlich aufgesammelt haben. © DAI-KAAK // Markus Reindel
Ausgewählte Keramikfunde aus Guadalupe und anderen archäologischen Stätten werden zu Dünnschliffen verarbeitet, um die Magerung und andere Merkmale zu analysieren. Mithilfe von Deep Learning und einer Methode namens Grad-CAM (explainable AI) werden wichtige Regionen auf den Dünnschliffen sichtbar gemacht, womit die Klassifizierung durch Deep Learning interpretiert werden kann. © DAI-KAAK // Mike Lyons
Diese Karte zeigt das Ergebnis einer Analyse potenziell günstiger vorspanischer Verbindungsrouten zwischen der Küste und dem Aguán-Tal (Least Cost Path Analysis). Wichtige bekannte Fundplätze liegen an besonders günstigen Routen, während neue Fundplätze entlang dieser Routen entdeckt wurden. © DAI-KAAK // Mike Lyons