Siedlungsdynamik und Urbanisierung in Gadara / Umm Qays ab dem Hellenismus

Luftbild vom Grabungsareal © DAI // Günther Schauerte

Ergebnisse

Gadara intra muros:

Als Endpunkt städtischer Entwicklung wurden zunächst ab 1987 das wahrscheinlich in severischer Zeit errichtete Bogenmonument extra muros im westlichen Vorfeld der Stadt und daran anschließend das benachbarte Hippodrom sowie das östlich davon liegende spätkaiserzeitliche Westtor der Stadt aus dem 3./4. Jh. n. Chr. untersucht. Seit 1991 galten die Arbeiten der Erforschung des hellenistischen und dann auch des kaiserzeitlichen Gadara.
Wichtige Erkenntnisse zur Stadtgeschichte erbrachte die Freilegung der südlichen Stadtmauer auf der Hügelkuppe als dem Ausgangspunkt der Siedlungsentwicklung. In einem der Stadtmauer benachbarten Areal im Südwesten – dem sog. Trikonchos-Areal – konnte in der Abfolge eines Gewerbequartiers, einer palastartigen Anlage und eines Kirchenneubaus die bauliche Entwicklung des Ortes von der hellenistischen Zeit über die frühe Kaiserzeit bis in die Spätantike und daran anschließend durch das Mittelalter bis in die jüngste Zeit der osmanischen Neubesiedlung aus dem späten 19. Jh. verfolgt werden. Im Zusammenhang der Stadtmauerforschungen ist auch deren Wiederaufbau und Erweiterung in das westliche Vorfeld in der 2. Hälfte des 1. Jhs. n. Chr. untersucht worden, die zu einer Vervielfachung des städtischen Siedlungsgebietes geführt hat. Zwischen 1995 und 1999 konzentrierten sich die Arbeiten auf die Erforschung des wahrscheinlich dem Zeus geweihten Hauptheiligtums der Stadt, das mit Podientempel I, Temenosmauer und Propylon I ab der 1. Hälfte des 2. Jhs. v. Chr. auf einem Geländesattel im Nordwesten des Siedlungshügels errichtet worden ist.
Der befestigte hellenistische Siedlungskern Gadaras aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. liegt auf einer Hügelkuppe, die östlich an eine fruchtbare Hochebene angrenzt. In einer ersten Erweiterungsphase wurde die Befestigungsanlage der Stadt auf eine nordöstlich vorgelagerte Geländeterrasse ausgeweitet. Hier am östlichen Stadteingang entstand in der Folgezeit, zwischen der ersten Hälfte des 2. und dem Anfang des 1. Jahrhunderts v. Chr., ein großflächiger, künstlich eingeebneter Tempelbezirk, der das Hauptheiligtum der Stadt aufnahm. Dieses bedeutende Heiligtum wurde von Adolf Hoffmann in den Jahren 1995–1999 ausgegraben.
Kuppenfestung und Heiligtum bildeten den Ausgangspunkt für die weitere städtebauliche Entwicklung entlang der das Stadtgebiet durchziehenden Überlandstraße. Die topographischen und geomorphologischen Raumstrukturen ließen eine Ausdehnung der Stadt nur nach Westen zu. Blieb die hellenistische Siedlung auf den Hügel begrenzt, so bildete in der römischen Kaiserzeit eine Ost-West orientierte Verkehrsachse das städtebauliche Rückgrat der Stadt.
Während die östliche Stadtgrenze spätestens seit Anfang des 1. Jahrhunderts v. Chr. konstant beibehalten wurde, hat sich die antike Stadt seit dem frühen 1. Jahrhundert n. Chr. kontinuierlich entlang der Ost-West-Achse nach Westen ausgedehnt.
Vielfältige archäologische Spuren in den regionalen Raumstrukturen verweisen auf den eminenten politischen Stellenwert, den das Imperium Romanum der Stadtentwicklung in der Provinz zuwies. Auch Gadara gehörte zu den Städten, die davon profitierten und einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebten. Hiervon zeugen die verschiedenen öffentlichen Bauten, die entlang der von Kolonnaden gesäumten Ost-West-Achse aufgereiht sind und diese abschnittsweise betonen. Die Ost-West-Achse bildete den "Lebensnerv" der Stadt.

Gadara extra muros (Umlandsurvey):

In dem ca. fünf Quadratkilometer großen Untersuchungsgebiet wurden zahlreiche Keramikscherben aus hellenistischer bis islamischer Zeit sowie etliche Fragmente antiker Bauten aufgefunden. Nach der Verteilung der Funde wurde das Plateau vor allem in römischer und byzantinischer Zeit intensiv genutzt. In byzantinischer Zeit wurde eine Weinpresse in einer römischen Nekropole eingerichtet. Zu den weiteren Befunden zählen römische Meilensteine sowie ca. 150 Schachtkammergräber aus der ausgehenden frühen Bronzezeit.

Ausblick:

Um die historischen Dimensionen der Siedlungsverlagerungen großräumig betrachten zu können, sind die Ergebnisse der Stadtforschung mit den Ergebnissen von Surveys und Grabungen im Umland zusammenzubringen. Auf den vorangegangenen Arbeiten aufbauend, wird seit 2010 von der Orient-Abteilung in Zusammenarbeit mit dem Archäologischen Institut der Universität Hamburg unter der Leitung von Claudia Bührig stärker der Blick auf das Gadarener Umland gerichtet. Ein besonderes Augenmerk liegt auf den Beziehungen zwischen Stadt und Umland, d. h. der Siedlungsentwicklung zwischen der hellenistischen und frührömischen Zeit. Diese Arbeiten vervollständigen die Untersuchungen eines weiteren Projektes in der Region dem sog. „Gadara Region Projekts“, dessen Schwerpunkt, ausgehend vom Tall Zirā’a auf den Bereich des Wādī l-`Arab liegt, d. h. den Bereich südlich der Höhenzüge von und um Gadara.
Unter optimaler Ausnutzung der örtlichen topographischen Gegebenheiten ist für die Gadarener Heiligtümer ein deutlicher Raum- und Landschaftsbezug festzuhalten. In Erweiterung bereits bestehender topographischer Aufnahmen zur Analyse des Territoriums mit den extra und intra muros gelegenen Heiligtümern sollen über längere Zeiträume Raumveränderungen und damit einhergehend gewachsene und veränderte Raumwahrnehmungen/-beziehungen in den Forschungsfokus genommen und mit geowissenschaftlichen Methoden simuliert und analysiert werden. Zu hinterfragen gilt auch, inwieweit in bestehende topographische Gegebenheiten eingegriffen wurde bzw. Veränderungen vorgenommen wurden, z. B. um einen "Raum“ zu definieren oder um Sichtbezüge zwischen den verschiedenen sakralen Räumen herzustellen.