Guadalupe: Kulturelle Interaktion und vorspanische Siedlungsgeschichte im Nordosten von Honduras

Grabung © DAI-KAAK // Markus Reindel

Forschung

Forschungsgeschichte

Die ersten detaillierten Berichte dieser Region stammen von William D. Strong, der in den 1930er Jahren nach Honduras kam und das Gebiet um die Departamentshauptstadt Trujillo sowie die dem Festland vorgelagerten Islas de la Bahía untersuchte und einige Fundstellen dokumentierte. Eine weitere wichtige Publikation stammt von Doris Stone (1941), welche mit zahlreichen Abbildungen von Artefakten einen guten Überblick über das Fundmaterial der Region gibt. 1957 erarbeitete Jeremiah Epstein anhand von Grabungsfunden von den 1950 unter Alfred Kidder II., Gordon Ekholm und Gustav Stromsvik durchgeführten Grabungen die erste Chronologie der Keramik des nordöstlichen Honduras. Er definierte darin die zwei aufeinander folgenden Perioden Selin (300-1000 n. Chr.) und Cocal (1000-1525 n. Chr.) und bildete damit das Grundgerüst der heutigen Chronologie. In den 1970er Jahren konnte Epsteins Chronologie durch Paul Healy und die erstmalige Verwendung von C14-Daten bestätigt, verfeinert und erweitert werden. Healy leitete mehrere Grabungen im Umfeld von Trujillo, im Rahmen derer in den Cuyamel-Höhlen im Aguán-Tal formativzeitliche Keramik gefunden werden konnte. Somit wurde die Chronologie um die frühe Cuyamel-Phase (1350-400 v. Chr.) ergänzt. Die zum Zeitpunkt der Arbeiten im Projekt Guadalupe aktuellste Version der Keramiktypologie des nordöstlichen Honduras veröffentlichte Carrie Dennett 2007, nachdem sie das Fundmaterial des cocalzeitlichen Fundortes Río Claro im Aguán-Tal ausgewertet hatte. Außerdem legte Whitney Goodwin 2019 in ihrer Dissertation eine detaillierte Analyse des Fundortes Selin Farm unweit von Trujillo und Guadalupe vor.

Obwohl seit den 1970er Jahren und auch aktuell immer wieder kleinere Forschungsprojekte, Grabungen und Oberflächenbegehungen zur Fundortregistrierung im Nordosten von Honduras durchgeführt werden, blieben unsere Kenntnisse über die vorspanische Entwicklung in diesem Gebiet bisher begrenzt. Die Definition der Chronologie basiert auf kleinflächigen Grabungen an nur wenigen Fundorten und somit liegt ihr nur eine geringe Menge Fundmaterial zu Grunde. Zudem stützt sie sich vorrangig auf Veränderungen in Keramikstilen, während andere kulturelle Merkmale wie Siedlungsmuster oder Bestattungen bisher unberücksichtigt blieben. Der vorläufige Charakter der Chronologie und die Notwendigkeit einer Überarbeitung werden dadurch ersichtlich, dass bis vor kurzer Zeit noch immer eine Lücke von rund 700 Jahren zwischen den Phasen Cuyamel und Selin bestand, für die keinerlei Anzeichen einer Besiedlung gefunden wurde. Dies änderte sich erst mit dem Nachfolgeprojekt Colón, das 2020 initiiert wurde. Zudem blieben Art und Ausmaß der interkulturellen Interaktion während der unterschiedlichen Phasen ungeklärt, was ebenfalls mit den zwei Projekten Guadalupe und Colón näher untersucht werden soll.

Seit 2011 wurden in Zusammenarbeit mit der honduranischen Altertumsbehörde IHAH (Instituto Hondureño de Antropología e Historia) mit Sitz in Tegucigalpa archäologische Prospektionen unternommen, um einen geeigneten Fundplatz für erste Studien im Nordosten von Honduras zu finden. Letztendlich wurde der Fundort Guadalupe ausgewählt, der innerhalb der gleichnamigen modernen Siedlung etwa 15 Kilometer westlich von Trujillo liegt. Im Rahmen des von der Schweizerisch-Liechtensteinischen Stiftung für Archäologische Forschungen im Ausland (SLSA) und der Universität Zürich mitfinanzierten Projektes Guadalupe wurden dort in den Jahren 2016 bis 2019 vier mehrmonatige Feldkampagnen durchgeführt, bei denen erstmals Vermessungen und eine Grabung vorgenommen werden konnten. Die einzige klar erkennbare Struktur an der Erdoberfläche aus vorspanischer Zeit ist ein Erdhügel, der einst als Plattform für einen Aufbau aus vergänglichem Material gedient haben muss. Auch wegen der außergewöhnlich großen Menge an Oberflächenfunden wurde dieser als Objekt für die Grabung ausgewählt. Mit Erreichen mehrerer Bestattungen und schließlich fundfreier Schichten konnte die Grabung 2019 erfolgreich abgeschlossen werden. Aus dem Projekt Guadalupe ging 2020 das Projekt Colón hervor, welches auf die Untersuchung von vorspanischen Siedlungsmustern und Netzwerken im Departamento Colón abzielt.

Forschungsfragen und -ziele

Weil unsere Kenntnisse über das vorspanische Nordosthonduras bisher auf wenigen Oberflächenuntersuchungen und Grabungen basierten und die aus ihnen resultierende Chronologie lückenhaft war, war das Ziel des Projektes zunächst, die Besiedlungsabfolge des Fundplatzes Guadalupe zu klären und die bestehende Keramikchronologie um weitere Beschreibungen von Waren, Formen und Dekormerkmalen zu ergänzen. Zudem sollten Funktion und Aufbau des Fundplatzes erforscht sowie kulturelle und wirtschaftliche Netzwerke rekonstruiert werden, in die der Siedlungsplatz eingebunden war.

Methodik

Zusätzlich zur detaillierten Ausgrabung des vergleichsweise kleinen Schnittes, wurde die Umgebung des untersuchten Hügels weitläufig tachymetrisch vermessen und kartiert. Des Weiteren wurde das gesamte Areal der modernen Ortschaft Guadalupe und seine Umgebung abgegangen und auftretende Konzentrationen von Oberflächenfunden erfasst. Anhand dieser Karten ist es möglich, die Ausdehnung der präkolumbischen Siedlung zu erahnen und die Qualitäten des gewählten Siedlungsplatzes zu erkennen. Diese Informationen stellen einen wichtigen Faktor in der Lokalisierung weiterer Fundorte der nordosthonduranischen Küstenregion dar und helfen bei der Auswahl möglicher zukünftiger Grabungsplätze.

Neben den Arbeiten in Guadalupe war auch die Prospektion ein wichtiger Bestandteil des Projektes. Durch Hinweise in der Literatur, erste unsystematische Feldbegehungen und insbesondere viele Gespräche mit der lokalen Bevölkerung konnten neben Guadalupe noch einige weitere Fundorte in der Küstenregion, der angrenzenden Bergkette Nombre de Dios und auf der vorgelagerten Insel Guanaja abgegangen, schriftlich und fotografisch dokumentiert sowie vermessen werden. Zudem war es teilweise möglich, ein aussagekräftiges Fundsample zu erstellen, welches für eine erste grobe Datierung herangezogen werden konnte. Ziel der Prospektionen war es, einen ersten Einblick in das lokale und regionale präkolumbische Siedlungsmuster zu erhalten und die Rolle Guadalupes innerhalb des präsenten Siedlungsgefüges zu verstehen. In Anknüpfung an diese ersten Prospektionen im Projekt Guadalupe wird das archäologische Siedlungsbild von Nordosthonduras aktuell im Rahmen des Projekts Colón weiter untersucht.

Auf der Grabung, bei Prospektionen und bei der Nachbearbeitung des Fundmaterials arbeiteten internationale Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, Studierende aus Deutschland, der Schweiz, Österreich und Honduras sowie zahlreiche lokale Grabungsarbeiter- und arbeiterinnen eng zusammen. So konnten die Wochen der jeweiligen Feldkampagnen ausgesprochen effektiv genutzt und viele neue Erkenntnisse über die vorspanische Besiedlung des nordöstlichen Honduras gewonnen werden. Außerdem bot das Projekt Guadalupe den Studierenden die einmalige Gelegenheit, vielseitige Erfahrungen in der archäologischen Feldarbeit zu sammeln und Teil eines internationalen und multilingualen Forschungsteams zu sein.

Der Grabungsschnitt von 12 m Länge und 2 m Breite erstreckte sich von der Kuppel bis zum Fuß des Siedlungshügels. Er wurde in vier Grabungseinheiten (Unidades) aufgeteilt und in künstlichen Schichten von 10 cm ausgegraben. Jedes so entstehende Planum wurde umfassend dokumentiert, gezeichnet und fotografiert. © DAI-KAAK // Markus Reindel
Auf der Grabung konnten riesige Mengen Keramik geborgen werden, die nach dem Waschen auf dem Schulgelände zum Trocknen ausgelegt wurden. Dank der karibischen Sonne dauerte dies nur wenige Stunden. © DAI-KAAK // Markus Reindel
Luftbild der modernen Ortschaft Guadalupe. Der Grabungsplatz befindet sich auf dem Pausenhof der Dorfschule im vorderen Teil des Bildes, der von hohen Bäumen verdeckt wird. © DAI-KAAK // Markus Reindel
Rekonstruktionszeichnung der Aktivitäten am ergrabenen Fundplatz in Guadalupe. Solche Interpretationen sollten stets mit Vorsicht genossen werden, da zum aktuellen Zeitpunkt keinerlei Aussagen bspw. über das äußere Erscheinungsbild der Menschen, Tracht, Schmuck und Ablauf der Rituale getroffen werden können. Trotzdem können sie dabei helfen, das Leben damals auf Basis der archäologischen Funde und Befunde besser vorstellbar zu machen. © DAI-KAAK // Jill Mattes
Vollständig erhaltene oder Fragmente von Tonflöten, Ocarinas genannt, belegen, dass die präkolumbischen Einwohner:innen Guadalupes musiziert haben. © DAI-KAAK // Paul Bayer
Die Formen und Dekorationen der Gefäßkeramiken umfassen ein breites Spektrum. Mithilfe der Handzeichnungen, Fotos und 3D-Scans war es Franziska Fecher möglich, einzelne Keramiktypen auszumachen und diese in ihrer Dissertation übersichtlich darzustellen. Diese Übersicht, Typologie genannt, bildet eine gute Grundlage für weitere Forschungen in Nordosthonduras. © DAI-KAAK // Franziska Fecher
Nach Freilegung einer Bestattung in den untersten Schichten ließen sich die fehlenden Skelettteile deutlich feststellen: Dem bestatteten Individuum fehlten der Schädel, rechter Arm, Becken und die Oberschenkelknochen, wohingegen die anderen Körperteile in anatomisch korrekter Lage vorgefunden wurden. © DAI-KAAK // Timea Remsey
Anhand von Dünnschliffanalysen lassen sich die einzelnen Magerungsbestandteile des Tons, aus dem die Keramik gefertigt wurde, bestimmen. Diese können wiederum Hinweise auf die Produktionsorte, Handel und Beziehungen zu anderen archäologischen Fundorten geben. © DAI-KAAK // Mike Lyons
Nach langen Baumaßnahmen konnte das neue Museum in Guadalupe auf dem Gelände der Grundschule, wo die Grabungen 2016-2019 stattgefunden hatten, am 1. April 2023 feierlich eröffnet und der Garífuna-Gemeinde übergeben werden. Ehrengäste waren Thomas Strieder (Geschäftsträger der deutschen Botschaft in Tegucigalpa), Rolando Canizales (Generaldirektor der Denkmalbehörde von Honduras), Roberto Miranda (Vertreter Erziehungsministerium von Honduras), Hector Mendoza (Bürgermeister von Trujillo), Noel Ruiz (Verbandsbürgermeister von Santa Fé), sowie die Leiterin der Grundschule von Guadalupe, Mildred Fernández. © DAI-KAAK // Adrien Martinet
Blick in die 2023 eröffnete Dauerausstellung des neu errichteten Museums in Guadalupe auf dem Gelände der Grundschule. Zu sehen sind Funde aus der Ausgrabung 2016-2019, die nur wenige Meter vom jetzigen Museum entfernt durchgeführt wurde. Das Museum ist in Absprache mit der Grundschulleitung täglich für interessierte lokale Besucher*innen und Tourist*innen geöffnet. © DAI-KAAK // Mike Lyons