Landschaftsarchäologie und regionale Siedlungsnetzwerke um Buto

Blick über Reisfelder des nordwestlichen Nildeltas. View over the rice fields of the north-western Nile Delta. © DAI Kairo // R. Schiestl

Ergebnisse

In den Feldkampagnen konnten zahlreiche neue Siedlungsplätze dokumentiert werden. Viele dieser Plätze waren modern überbaut oder eingeebnet, und an 21 Fundorten gelang der Nachweis von Siedlungsschichten nur durch Bohrungen. Die Auswertung der an der Oberfläche gefundenen Keramik sowie der Keramikfragmente aus den Bohrkernen lieferte die Grundlage der Datierungen. Der Kom Asfar wurde in der 3. Zwischenzeit (ca. 1070–664 v. Chr.) gegründet und stellt den damit ältesten untersuchten Fundplatz dar. In diese Zeit fiel auch eine neue Phase der Besiedlung in Buto (Tell el-Fara‘in). Hinweise auf Siedlungen vor dem 1. Jt. v. Chr. konnten nicht erbracht werden. Die Mehrheit der Siedlungen fiel in die römische und spätrömische Epoche (30 v. – 7. Jh. n. Chr.). Funde aus frühislamischer Zeit (8.–10. Jh.) in zahlreichen spätrömische Siedlungen legen eine Kontinuität in dieser Epoche nahe. Mittelalterliche Keramik (11.–15. Jh.) ist an wenigen Fundplätzen belegt, doch finden sich aus schriftlichen Quellen zahlreiche Hinweise auf den Bestand von Orten in dieser Zeit. Bohrungen im Bereich eingeebneter Siedlungsplätze in Feldern zeigten, dass Siedlungsmaterial unter dem heutigen Laufhorizont nur mehr in sehr geringem Ausmaß nachweisbar ist, maximal im Umfang von 0,5–1,0 m unter der Ackerscholle. Dies mag auf den ersten Blick überraschen, da durch die alluviale Sedimentierung des Deltas (grober Richtwert 1 m pro 1000 Jahre) selbst bei vergleichsweise jungen Fundplätzen aus römischer Zeit mit einer tieferen Lage und somit besseren Erhaltungsbedingungen zu rechnen wäre. Da diese Orte jedoch auf erhöhtem Untergrund, auf alluvialen Uferdämmen, gegründet wurden, blieben sie über dem Überschwemmungshorizont und somit exponiert. Dies führte in weiterer Folge häufig zur Einebnung, um das Areal für landwirtschaftliche Zwecke zu nutzen. Durch die Kombination von alten Karten, auf denen heute zerstörte Plätze verzeichnet sind, und Satellitenbildern, konnte erstmals der genaue Zusammenhang zwischen modernen Flurformen und Flurgrenzen einerseits und den Kanten ehemaliger Siedlungshügel andererseits nachgewiesen werden. Dies erlaubt die präzise Lokalisierung ehemaliger Siedlungshügel in der Landschaft und die Rekonstruktion ihrer einstigen Größe. Hierbei spielten Corona-Satellitenbilder eine entscheidende Rolle. Alle antiken Siedlungsplätze erfuhren seit 1968 eine Reduktion in ihrer Größe, doch das Ausmaß der Zerstörung betraf nicht alle Tells gleich. Ein entscheidender Faktor ist offenbar die Ausgangsgröße des Siedlungshügels. So konnte gezeigt werden, dass sehr kleine Siedlungsplätze (unter einem Hektar), die vermutlich Gehöfte und sehr kleine Dörfer repräsentieren, überdurchschnittlich häufig ganz eingeebnet worden sind, während größere Siedlungshügel zwar Dezimierungen erlitten, aber keine vollständigen Zerstörungen. Sehr kleine Fundplätze sind in archäologischen Surveys generell unterrepräsentiert. Umso bedeutender sind der Nachweis ihrer Existenz und ihre Verteilung in der Region. So ist annähernd die gesamte Skala antiker Siedlungsgrößen repräsentiert. Einen wesentlichen Erkenntnisgewinn lieferte die Auswertung des digitalen Höhenmodells TanDEM-X. Durch die hohe Auflösung zeichnen sich hier erstmals topografische Strukturen ab, die sich als Reste alluvialer Uferwälle deuten lassen. An ausgewählten Plätzen wurden quer zu diesen Uferwällen Bohr-Transekte gelegt, d. h. in einer Linie liegende Bohrungen, die den Nachweis erbrachten, dass es sich hierbei um ehemalige Nilarme handelt. Dadurch lässt sich die antike Landschaft in überraschender Gestalt dokumentieren: Die Region wird nicht von einem mächtigen Nilarm geprägt, sondern von einem fein verästelten System kleinerer Wasserstraßen. Diese sich in der Art eines Subdeltas verteilenden Arme stellten die Grundlage der regionalen Besiedlung auf breiter Basis dar. Alle Siedlungen aus griechisch-römischer Zeit sind auf alluvialen Uferwällen entlang dieser Nilarme errichtet worden. In diesem Zeitraum ist mit der Aktivität der Wasserstraßen zu rechnen. Es ist auffällig, dass der Zentralort Buto (Tell el-Fara’in) nicht an dieses System angeschlossen zu sein scheint. Dies trifft von den regional untersuchten Fundplätzen sonst nur auf den Kom Asfar zu, eine Siedlung, deren Gründung in der 3. Zwischenzeit (11. Jh.–7. Jh. v. Chr.) ebenfalls nachweislich vorptolemäisch ist. Es ist also mit einer grundlegenden Veränderung der Wasserlandschaft im Laufe des 1. Jts. v. Chr. zu rechnen. Diese Situation stellte jene Siedlungen, die nun von den neuen Wasserwegen abgeschnitten waren, vor eine Herausforderung. Die beiden genannten Orte wurden jedoch keineswegs aufgegeben, sondern hatten bis zur spätrömischen oder frühislamischen Zeit Bestand. Wie diese Siedlungen mit dem Dilemma der Flussverlagerung umgingen, ist noch nicht klar. Denkbar wäre z. B. die Errichtung von Stichkanälen, um eine Verbindung zum Wassernetz zu gewährleisten.

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