Späte Nomaden im Orchon-Tal – Die frühuighurische Hauptstadt Karabalgasun

Fragment des Inschriftensteins von Karabalgasun, im Hintergrund der 9 Meter hohe Wall der Zitadelle. © DAI KAAK // Anonym

Forschung

Forschungsziele

Im Gegensatz zum Leben der Uighuren in Ostturkestan, wo sich ein Teil des Stammes nach der Flucht aus Karabalgasun im Jahr 840 niederließ, ist das Leben der frühen Uighuren aus archäologischer Sicht kaum bekannt.

Ziel des Projekts ist, neben der komplexen Dokumentation einer einzigartigen Stadtsiedlung im östlichen Zentralasien, die Darstellung von Karabalgasun als Modell für eine frühstaatliche nomadische Stadtgründung. Die Transformation eines Nomadenvolkes zu einem Stadtvolk mit dominant agrarischer Grundlage bildete eine wesentliche Voraussetzung für das Überleben der uighurischen Kultur und ihre spätere Blütezeit in den Oasenstädten Ostturkestans.

Ansätze und Methoden

Die seit 2009 laufenden Ausgrabungen in Karabalgasun werden von Surveys im Umland sowie weiteren vermessungstechnischen, geophysikalischen, paläobotanischen und archäozoologischen Untersuchungen begleitet.

Angesichts der riesigen Stadtfläche von mehr als 32 km² ist eine rein grabungstechnische Erschließung nahezu unmöglich. Für eine Gesamtaufnahme wurde das Stadtareal deshalb am 13. August 2007 überflogen und ein Airborne Laserscanning (ALS) durchgeführt, das sich für die Grassteppe als bestmöglichstes Verfahren erwies. Dabei wurde die Erdoberfläche in einem etwa 43 km² großen Gebiet mit einem Laserscan abgetastet und eine sich kontinuierlich fortbewegende Linie von Messpunkten aufgezeichnet.

Aus den ca. 548 Millionen gemessenen Punkten wurde ein Geländemodell mit einer Rasterweite von 0,25 m errechnet. Damit lassen sich sowohl Höhenlinien generieren als auch ein in der Oberflächenzeichnung und im Relief sehr detailliertes Geländemodell erstellen, auf dem die Ausmaße der Stadt mit Mauer- und Gebäudestrukturen deutlich zu erkennen sind.

Der Laserscanplan dient als wesentliche Grundlage für die weiteren Untersuchungen.

Forschungsgeschichte

Bei der feierlichen Eröffnung der Forschungsstelle der KAAK in Ulaanbaatar 2007 wurde ein weiterer Kooperationsvertrag unterzeichnet, der sich an die Vereinbarung des Jahres 1999 mit der Konstituierung der MDKE anschließt – dies war das Gründungsjahr der MONDOrEx, der Mongolisch-Deutschen Orchon-Expedition.

Großzügige Förderung erfährt das Projekt von der Gerda Henkel Stiftung. Der Forschungsschwerpunkt der MONDOrEx liegt dabei auf der uighurischen Hauptsstadt Karabalgasun aus dem 8./9. Jahrhundert sowie auf ihrem Umland im Orchon-Tal zwischen Harhorin und Ögii Nuur.

Trotz kleinerer Grabungsschnitte aus dem Jahr 1948 unter der Leitung von Sergej Kiselev und auch heute noch oberirdisch sichtbarer Baustrukturen ist nur wenig über die nomadische Stadtgründung im Orchon-Tal bekannt.

Nach Vermessungsarbeiten der Technischen Hochschule Karlsruhe und Durchführung eines Airborne Laserscans im Jahr 2007 konnte im August und September 2009 erstmalig eine Grabungskampagne durchgeführt werden. Mit verschiedenen Untersuchungsschwerpunkten innerhalb der Stadt fand auch in den Folgejahren eine vermessungstechnische und archäologische Erschließung der als HB1, HB2 (sog. Palast- oder Tempelbezirk) und HB3 bezeichneten größeren umwallten Komplexe statt.

Forschungsfragen

Die Ausgrabungen in Karabalgasun widmen sich Fragen der Stadtplanung und -entwicklung sowie der Stadtgliederung. Eine zentrale Frage gilt der Entwicklung der uighurischen Identität, die sich auch in der Verwendung von Architektur manifestiert. Dabei stellen Kontakte zum China unter der Tang-Dynastie auf der einen Seite, auf der anderen aber auch in den sogdischen Raum wichtige Faktoren dar, die die uighurische Kultur in politischer, ökonomischer, religiöser Hinsicht beeinflusst haben. Wie sich diese Beziehungen auf die Herausbildung einer städtischen, aber dennoch nomadisch geprägten Organisation und Lebensweise ausgewirkt haben, ist ebenfalls Untersuchungsgegenstand.

Weitere Fragen zielen auf die Bedeutung der Stadt als politischer, wirtschaftlicher und religiöser Zentralort sowie die Bedeutung von Zentralorten für die Gliederung und Organisation nomadischer Herrschafts- und Lebensräume.

Abb. 4 Luftbild von Karabalgasun
Im Bildzentrum die weithin sichtbaren Überreste der Zitadelle, dahinter die sich ausdehnende Stadtanlage mit "Hauptstraße", links im Bild der Orchon. © DAI KAAK // M. Riemer
Abb. 7 Palaststadt
Die Palaststadt von Karabalgasun mit der Zitadelle im Vordergrund. © DAI KAAK // M. Riemer
Abb. 12 HB2 Zitadelle – Säulenhalle
Großer Raum in Südostecke der Zitadelle mit einer Reihe von Säulenbasen umgeben von bläulich-grauem Estrich (ehemaliges Laufniveau) und erhaltenen Mauer- sowie Wandverputzresten an der Ostwand, rechts die Mauer zum angrenzenden kleineren Raum im Westen. © DAI KAAK // Anonym
Abb. 18 HB2 Zitadelle Hof - Dämonenmaske
Tonmaske, vermutlich mit Wächterfunktion, aus den Versturzschichten des Gebäudes auf der Zitadelle. © DAI KAAK // H. Wittersheim
Abb. 19 HB2 Zitadelle Säulenhalle – Pfeilspitze
Fund aus der Säulenhalle in der Südostecke der Zitadelle. © DAI KAAK // Anonym
Abb. 21 HB2 Zitadelle – Hof
Im oberen Bildbereich das Podest des sog. Westsaales mit lotusverzierten Säulenbasen und graublauem Estrich, darunter der Tiefschnitt, in dem sich 2016 erstmals der oberste Steinring des Brunnenschachtes zeigte. © DAI KAAK // M. Riemer
Abb. 24 HB2 Zitadelle – Brunnen
Steinschacht mit Holzsubstruktion des ursprünglich 12 Meter tiefen Brunnens. © DAI KAAK // H. Rohland
Abb. 25 Bronzeglocke
Die Bronzeglocke wurde 2018 aus dem Brunnen im Zentrum der Zitadelle geborgen, chinesische Segensinschrift: „8-faches Glück und 6-fache Tugenden mögen die 10 Himmel erreichen“. © DAI KAAK // M. Riemer
Abb. 34 HB4 – Grabung im südlichen Bereich Karabalgasuns
Auf dem Laserscan zeigen sich halbkreisförmig angeordnete runde Erhebungen, von denen zwei näher untersucht wurden. © DAI KAAK // Arctron GmbH
Abb. 36 HB4 – Traufziegel
Derartige Traufziegel in allen bisherigen Grabungsarealen weisen auf eine chinesische Dachgestaltung hin. © DAI KAAK // M. Riemer