Forschung
Forschungen zur Urbanistik Selinunts
Spätestens seit dem 18. Jahrhundert bemüht sich die Altertumsforschung aus den Überresten der antiken Bebauung Selinunts in Zusammenschau mit den geomorphologischen Bedingungen am Ort eine möglichst genaue Vorstellung von der Gestalt der aus den Quellentexten so gut bekannten griechischen Kolonie zu gewinnen. Ein großer Schritt in der Erforschung des städtischen Gesamtgefüges gelang in den Jahren um die Jahrtausendwende einer Kooperation des DAI und der Soprintendenz Trapani unter der Leitung von Dieter Mertens. Neben der umfassenden Kartierung der sichtbaren Überreste und strategisch positionierten Ausgrabungen spielte dabei die großflächige geophysikalische Prospektion des innerstädtischen Raums unter Ausnahme des Südhügels und der Düne eine wichtige Rolle. In der geomagnetischen Kartierung, durchgeführt durch Harald Stümpel von der Christian-Albrechts Universität in Kiel, lassen sich zum ersten Mal die verschiedenen Straßensysteme in der nahezu kompletten Fläche nachvollziehen, sowie bebaute und weniger entwickelte Bereiche der Stadt identifizieren. Der auf der Grundlage dieser gesammelten Ergebnisse erarbeitete schematische Plan der archaisch-klassischen Stadt steht stellvertretend für den aktuellsten Wissensstand zur räumlichen Definition Selinunts und ist Ausgangspunkt des hier vorgestellten Projekts.
Neue Modelle einer antiken Siedlung
Ein deskriptives Modell, wie der schematische Plan des archaisch-klassischen Selinunt, reduziert als vereinfachte Abbildung der Wirklichkeit naturgemäß die Komplexität des Originals, um ausgewählte Merkmale darzustellen. Welche Merkmale bei der Modellbildung berücksichtigt werden, hängt vom jeweiligen Erkenntnisinteresse ab. Damit entspricht das Modell nicht dem Original, sondern es abstrahiert, transformiert und prognostiziert die Wirklichkeit.
Das Modell der archaisch-klassischen Stadt gilt es nicht zu korrigieren oder zu ersetzen, da es nicht falsch ist. Es erfüllt seinen spezifischen Verwendungszweck und muss erst dann verändert werden, wenn neue Erkenntnisse zum Original gewonnen werden, die relevant für die ausgewerteten Sachverhalte sind.
Mit diesem Projekt soll vielmehr die Basis geschaffen werden, um neue deskriptives Modelle zu generieren, die andere Sachverhalte betreffen, wie zum Beispiel unterschiedliche zeitliche Horizonte oder funkionale Kontexte. Dafür werden gezielt neue Daten generiert, die den bisherigen Datenbestand strategisch ergänzen. Dies geschieht durch eine Kombination verschiedener moderner Prospektionsmethoden und klassischer Grabung. So wird zum Beispiel zum ersten Mal ein systematischer, innerstädtischer Survey durchgeführt, der sich auf die großen Bereiche abseits der öffentlichen Zentren von Akropolis und Agora konzentriert. Die geophysikalischen Prospektionen widmen sich primär dem bisher unzugänglichen Bereich zwischen Südhügel und Manuzza-Plateau, wo sich seit dem Mittelalter eine große Wanderdüne abgelagert hat. Hier kommen neue Methoden zum Einsatz, die helfen sollen, diesen zentralen Teil der antiken Siedlung zu erschließen. Darüber hinaus werden im Tal des Modione der Verlauf der Stadtmauer und die Lage eines möglichen Hafenbeckens untersucht. Die Prospektionen werden durch geoarchäologische Rammkernsondagen auf großer Fläche ergänzt. Ins Detail führen schließlich die stratigraphischen Grabungen auf dem Manuzza-Plateau und in der Weststadt, die einen wesentlichen Beitrag zur diachronen Funktionsbestimmung leisten kann sowie zur Verifizierung und Präzisierung des historischen Narrativs.
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