Die Geschichte des Osiriskultes in Abydos

Osirisfigur aus ungebranntem Lehm in-situ am Osirisgrab. © DAI Kairo // Fritz Barthel

Forschung

Insbesondere im Rahmen der Forschungscluster 4 und 6 des Deutschen Archäologischen Instituts untersucht das Osiris-Projekt die sekundäre Nutzung der Nekropole von Umm el-Qaab als zentraler Kultort des Osiris, insbesondere die kultische Kontinuität vom ausgehenden Alten Reich (um 2200 v. Chr.) bis zum frühen 6. nachchristlichen Jahrhundert sowie im Detail die rituellen Deponierungen am Heiligtum.

Ziel des Projektes ist - durch die Kombination aus archäologischen und textlichen Quellen unter Einbeziehung der topographischen Gegebenheiten und den in Bezug stehenden umgebenden sakralen Bereichen und Anlagen – einen umfassenden Versuch einer Rekonstruktion des aufwendigen Kultgeschehens am Osirisgrab zu erarbeiten.

Nachdem um 1870 Auguste Mariette den Platz für die Wissenschaft wiederentdeckte, wurden in Umm el-Qaab gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jhdts. intensive Grabungen durchgeführt durch Émile Amélineau (1895-99), W.M.F. Petrie (1899-1901), Édouard Naville und Eric Peet (1909-11). In kleineren, begrenzten Arealen forschten auch Henry Hall (1925) und später Walter B. Emery. Das gesamte etwa 150 x 600 m große Gebiet wurde bei den archäologischen Arbeiten nahezu umgepflügt. Neben den hohen originalen Hügeln aus Opferkeramik entstanden durch die Ausgrabungen bis zu 11 m hohe Halden aus Grabinventar, Votivmaterial, Schutt, Scherben und Abraum.

1977 begann das Deutsche Archäologische Institut mit einer Wiederaufnahme der Forschungen durch Werner Kaiser und Günter Dreyer. Das zunächst formulierte Ziel dieser Nachgrabung war in erster Linie, das Verständnis der Grabarchitektur zu erweitern.

Als sich im Herbst 2006 am DAI Forschungscluster formierten, gelang es auch ein Projekt aufzustellen, das sich mit den spezifischen Fragestellungen zum Osiriskult in Umm el-Qaab und Abydos beschäftigt. Die in diesem Kontext erfolgten Untersuchungen zeigen, dass das Potential dieser altheiligen Stätte noch lange nicht ausgereizt ist.

In Abstimmung mit den fortlaufenden Arbeiten des DAI zur Untersuchung der frühdynastischen Nutzung der Nekropole von Umm el-Qaab werden die osirianischen Funde und Befunde dokumentiert und ausgewertet. Hier gilt der archäologische Fokus derzeit in erster Linie auf den direkten Bereich um das Grab des Djer, der von alten noch immer fundreichen Halden überdeckt war.

Umm el-Qaab kann innerhalb der Sakrallandschaft Abydos nicht isoliert betrachtet werden. Das Osirisgrab ist durch mehrere Kult- und Prozessionsachsen an weitere Kultanlagen und sakrale Bereiche angeschlossen. Die gelungene Identifizierung mehrerer dieser Achsen im Laufe der vergangenen Jahre kann wiederum nur als erster Schritt angesehen werden. Die intensivere Untersuchung weiterer Punkte von Relevanz, dazu zählt vornehmlich der sogenannte Südhügel (etwa 150 m südwestlich des Grabes des Chasechemui) hat das Potential das Verständnis der Einbindung von Umm el-Qaab in die Kultlandschaft von Abydos erheblich zu verbessern.

Als erforderlich und ausgesprochen ergiebig hat sich die Aufarbeitung der Archivmaterialien und Funde der früheren Ausgräber des Platzes Amélineau, Petrie und Naville erwiesen. Insbesondere die bislang überwiegend unpubliziert gebliebenen Textfragmente auf beschrifteter Keramik, die aus den frühen Grabungen stammen, heute auf zahlreiche Museen verteilt sind und an Neufunde aus der DAI-Grabung anpassen, zeigen sich als historisch und religionshistorisch relevant.

Als das Bedürfnis oder die Notwendigkeit aufkam, die Ideen, die Vorstellungen, die religiösen Bilder um den insbesondere ab der 5. Dynastie an Bedeutung gewinnenden Gott Osiris zu verorten, den Kult mit einer realen Landschaft zu verbinden, fiel die Entscheidung nahezu zwangsläufig auf Abydos. Der Mythos um Osiris wurde verortet. Die Episoden und Plätze des Mythos wurden in der sakralisierten Landschaft gesucht und in sie hineinprojiziert. Die Bucht von Abydos ist eine mythologisierte Landschaft.

Das Grab des Gottes und mythischen Königs Osiris wurde in der Mitte der Nekropole der realen ersten Könige Ägyptens lokalisiert, dem Grab des Königs Djer aus der 1. Dynastie.

Die natürliche Topographie der Landschaft wurde zu einer religiös konnotierten Topographie, und an der altheiligen, religiösen Topographie der frühdynastischen Zeit, die die Königsgräber mit den ‚Talbezirken’ und dem Tempelbereich verband, orientierte sich nun in späterer Zeit auch der Verlauf der Osirisprozession; das trockene Flussbett wurde zum Prozessionsweg.

Die Verehrung des Osiris ist untrennbar verbunden mit der individuellen Hoffnung, an der jenseitigen Wiederauferstehung des verstorbenen Gottes teilhaben zu können. Dies begründet die zahllosen Dokumente und Relikte von Privatpersonen, die sich mittels Stele oder Kapelle an der Prozessionsachse angliederten.

Der Osirismythos übte indes auch direkten Einfluss auf die ägyptische Königsideologie und den Königskult aus. Der reale, legitime König wurde an die ehemals herrschende Göttergeneration angebunden, das väterliche Amt an den legitimen Sohn, mindestens den legitimierten Erben weitergegeben. Verbildlicht ist diese Erbfolge des Königsamtes und die Verortung der Übergabe des legitimen Königtums in Abydos in der Darstellung der Königsliste in den Tempeln Sethos I. und Ramses II. Diese Bedeutung des Osiriskultes begründet das Interesse bzw. die Notwendigkeit der Präsenz der meisten um Legitimation ihrer Herrschaft bemühten Pharaonen in Abydos und insbesondere am sakrosankten Areal des Gottesgrabes in Umm el-Qaab.

Bildostrakon mit der Darstellung eines Löwen, 19. Dynastie. Der Bildträger ist die Scherbe eines Steingefäßes der 1. Dynastie, Umm el-Qaab
Bildostrakon mit der Darstellung eines Löwen, 19. Dynastie © DAI Kairo // Fritz Barthel
Qaab-Keramikschälchen in einer in situ-Deponierung mit vegetatibeln Materialien vergesellschaftet © DAI Kairo // Ute Effland
Detail einer Osirisfigurine aus ungebranntem Nilschlamm nach der Restaurierung © DAI Kairo // Alexander Gatzsche
Miniaturstele, dekoriert mit der Gravur einer spielerischen Schreibung des Personennamens Siese © DAI Kairo // Ute Effland
Deponierung von Qaab-Schälchen am Grab des Chasechemui
In situ-Deponierung von Qaab-Schälchen am Grab des Chasechemui © DAI Kairo // Ute Effland
Der Einschnitt des Wadi im Südwesten der abydenischen Bucht galt als Eingang in die Unterwelt
Der Einschnitt des Wadi im Südwesten der abydenischen Bucht galt als Eingang in die Unterwelt © DAI Kairo // Ute Effland
Die Osirisfiguren aus Kupfer und Bronze sind 4-5 cm hoch, Umm el-Qaab
Kleine Osirisfiguren aus Bronze © DAI Kairo // Günter Dreyer
Keramikgefäß aus dem Mittleren Reich, Umm el-Qaab
Keramikgefäß aus dem Mittleren Reich © DAI Kairo // Julia Budka
Kleines Amulettblech aus Kupfer mit Osirisdarstellung, Umm el-Qaab
Amulettblech aus Kupfer mit Osirisdarstellung © DAI Kairo // Fritz Barthel
Luftbild des zentralen Areals von Abydos mit Osiris-Tempel und Umm el-Qaab (1)
Luftbild des zentralen Areals von Abydos mit Osiris-Tempel und Umm el-Qaab. © DAI Kairo // Luftbild um 1950, bearbeitet v. Andeas Effland