Verbundprojekt 'Anden-Transekt'

Forschung

Im Verbundprojekt "Anden-Transekt" wird die vorspanische Umwelt- und Kulturentwicklung mit Hilfe modernster naturwissenschaftlicher und archäologischer Methoden erforscht. Das Untersuchungsgebiet liegt an der Westseite der peruanischen Anden, zwischen der Pazifikküste und dem Westrand des Altiplano. In einem vierdimensionalen Ansatz werden Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt im Verlauf der präkolumbischen Geschichte analysiert. Es gilt die Fragen zu beantworten, wie die autochthonen Gesellschaften Südamerikas naturbedingte Umbruchsituationen bewältigten, ob damit schubartig die Kulturentwicklung beschleunigt wurde und wie daraus neue Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens hervorgingen. Die modellartigen Rahmenbedingungen in Westperu, unter denen sich diese Prozesse vollzogen haben, lassen grundsätzliche Erkenntnisse für das Verständnis menschlicher bzw. gesellschaftlicher Entwicklung erwarten. Ein entscheidender Umbruch in der Menschheitsgeschichte war der Übergang von umherschweifenden Kleingruppen zu sesshaften Gemeinschaften. In Folge dieses Entwicklungsschrittes bildeten sich die sozialen Mechanismen und Produktionssysteme aus, die bis heute das Leben hochkomplexer und spezialisierter Gesellschaften bestimmen. Die Ursachen und der genaue Ablauf dieser Entwicklungsschritte in der Menschheitsgeschichte werden vor dem Hintergrund zunehmender Detailkenntnis globaler Umweltveränderungen während der vergangenen ca. 12.000 Jahre intensiv diskutiert. Vor allem in klimasensitiven Gebieten, zu denen auch die Trockengebiete der peruanischen Küste gehören, ist häufig eine Koinzidenz zwischen dramatischen Umweltveränderungen und kulturgeschichtlichen Umbrüchen zu beobachten. Vorstudien haben gezeigt, dass in den westlichen Zentralanden (Peru) bemerkenswerte zeitliche Parallelen zwischen der holozänen Umweltgeschichte und kulturellen Entwicklungsschüben präkolumbischer Kulturen auftraten, was einen kausalen Zusammenhang vermuten lässt. Das Arbeitsgebiet in Südperu bietet eine ideale "Versuchsanordnung der Natur", da hier von der Atacama-Küstenwüste bis auf den Altiplano eng benachbart sehr verschiedenartige Naturräume vorliegen. Diese Gebiete reagieren Klimaschwankungen gegenüber sehr sensitiv. Hier sind daher verschiedenste Geo-Archive (Sedimente, Böden, Landformen) zu finden, die paläoökologische Informationen speichern, in denen sich solche Schwankungen widerspiegeln. In Amerika entstanden Hochkulturen vollkommen unabhängig von den Entwicklungen in den verschiedenen, sich gegenseitig möglicherweise beeinflussenden Kulturräumen der Alten Welt. Neue Erkenntnisse über die Siedlungsgeschichte des präkolumbischen Amerikas können somit zum grundlegenden Verständnis der Entwicklung menschlicher Gesellschaftsstrukturen weltweit beitragen.

Geistes- und Naturwissenschaftler arbeiten in einem interdisziplinären Verbundprojekt eng zusammen, um die Menschheits- bzw. Kulturgeschichte und die Umweltgeschichte im Arbeitsgebiet zu erforschen. Dabei ergänzen sich die Teilprojekte, die sich der Erforschung der Umweltgeschichte widmen und solche, die sich archäologischen Fragestellungen zuwenden. Erkenntnisse über Klima- und Umweltveränderungen liefern Erklärungsansätze für kulturelle Umbrüche. Andererseits liefern aber auch Befunde und Funde aus der Archäologie, wie zum Beispiel Siedlungslage und -entwicklung oder Merkmale von Artefakten (Materialzusammensetzung, Herstellungstechnik, Altersstellung) wichtige Hinweise für die Klima- und Umweltrekonstruktion. Klima- und Umweltgeschichte sind in Geo-Archiven (Sedimenten, Böden und Landformen) gespeichert und werden mit geomorphologisch-bodenkundlichen und pollenanalytischen Methoden (Palynologie) erkundet und untersucht. Genaue numerische Datierungen werden mit naturwissenschaftlichen Methoden (Radiokohlenstoffdatierung, Lumineszenzdatierung) möglich. Die hieraus resultierenden Daten werden in einer paläoklimatischen Studie modelliert und visualisiert, um die Archäo-Landschaften der Vergangenheit zu verdeutlichen. Die Paläogenetik und die Analyse von Isotopen widmen sich Fragen von Populationsgenetik, Migration und Ernährung. Für die Erklärung des wirtschaftlichen Hintergrundes von Migrationsbewegungen früher Gesellschaften werden die materiellen Ressourcen erforscht. Untersuchungen zur Herkunft und Verarbeitung von Rohstoffen, insbesondere lithischer Artefakte, unter Verwendung moderner Verfahren der Materialanalytik werden von Geologen und Montanarchäologen geleistet.

Wie passen sich Menschen an verschiedenste ökologische und klimatische Zonen auf kleinstem Raum an und welchen Einfluss haben Umwelt und längerfristige klimatische Schwankungen auf die Entwicklung von Gesellschaften? Wie bewältigten die autochthonen Gesellschaften Südamerikas naturbedingte Umbruchsituationen? Wurde die Kulturentwicklung durch sie schubartig beschleunigt? Und wie gingen daraus neue Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens hervor?

Das Verbundprojekt "Anden-Transekt" baut auf den Ergebnissen des von 2002 bis 2007 vom BMBF geförderten Projektverbundes "Nasca" auf. Im Rahmen dieses Projektes konnte im Forschungsgebiet am Andenfuß um den Ort Palpa eine unerwartet lange Siedlungsgeschichte nachgewiesen werden. Die geomorphologischen Untersuchungen ergaben, dass das Klima im Laufe der Zeit entgegen früherer Annahmen deutlichen Schwankungen unterworfen war, wobei Koinzidenzen zwischen wiederholten hygroklimatischen Umbrüchen und der Kulturentwicklung zu beobachten waren. In einem Pilotprojekt wurde der Untersuchungsraum am Andenfuß auf die Oberläufe der bislang untersuchten Flusssysteme bis in die Hochlandregion der Anden zwischen 3.000 und 5.000 Meter über dem Meeresspiegel ausgedehnt. Die Prospektionen in den Jahren 2006 und 2007 in dieser bisher archäologisch unerforschten Hochlandregion ergaben eine unerwartet große Zahl archäologischer Fundplätze.

Die Küstenregion wird von dem Projekt Bajo Rio Grande bearbeitet. Seit 2008 werden die archäologischen Prospektionen und Ausgrabungen im Rahmen des Verbundprojektes "Anden-Transekt" fortgesetzt und die Funde in Zusammenarbeit mit den naturwissenschaftlichen Teilprojekten untersucht. Ein Pilotprojekt des Geographischen Instituts der Universität Heidelberg befasst sich seit 2005 mit der Rekonstruktion der hochglazialen bzw. der jungdryaszeitlichen Vergletscherung in der Westkordillere der Anden. Die Untersuchungen sind ein Schlüssel zum Verständnis markanter Geländeformen und klimatischer Prozesse am Andenfuß und haben gleichzeitig weit reichende Implikationen für die Interpretation der initialen Besiedlungsgeschichte Südamerikas.

Der umfangreiche Bestand an archäologischen Informationen zu Siedlungen am Andenfuß wird ergänzt durch Ausgrabungen an dem Fundort Pernil Alto. Dort werden Reste einer Siedlung aus dem Archaikum (4. Jahrtausend v. Chr.) mit zahlreichen Gräbern freigelegt. Im Hochland wird die Siedlungsprospektion fortgesetzt. Bisher wurden etwa 200 neue Fundplätze dokumentiert. Repräsentative Siedlungen werden topographisch vermessen, und an mehreren Plätzen unterschiedlicher Zeitstellung werden Testgrabungen durchgeführt. Gleichzeitig werden geomorphologische und palynologische Untersuchungen an Hochmooren vorgenommen, die eine Rekonstruktion des Paläoklimas im Hochland erlauben. Aus den laufenden Feldforschungsvorhaben werden Proben für die Isotopenanalytik und für paläogenetische Untersuchungen entnommen.