Deutsch-tunesische Forschungen in Simitthus / Chimtou (Tunesien)

© DAI // Ph. von Rummel

Forschung

Erste archäologische Ausgrabungen wurden am Ende des 19. Jahrhunderts von J. Toutain im Forumsareal und kurz darauf durch L. Carton in den Nekropolen unternommen, aber recht bald wieder eingestellt. Im Gegensatz zu anderen Ruinenstätten wie Thugga oder Sbeitla/Sufetula, wurden in Chimtou nie Freilegungen in großem Stil durchgeführt.

Im Jahre 1965 begannen in einer Kooperation zwischen der Römischen Abteilung des DAI und dem damaligen Institut National d'Art et d'Archéologie, dem heutigen Institut National du Patrimoine (INP), die ersten deutsch-tunesischen Gemeinschaftsgrabungen in Simitthus. Besonderes Interesse kam dabei zunächst der Erforschung des größten Steinbruchs des antiken Nordafrika, sowie seiner Entwicklungsgeschichte und technologischen Fragen zu, die zur Entdeckung eines Höhenmonuments aus der Zeit des Numiderreiches mit kaiserzeitlich-byzantinischen Umgestaltungsphasen führte. Am Djebel Bou Rfifa konnten zwei weitere kaiserzeitliche Heiligtümer, die Tempelbezirke der Dii Mauri und der Caelestis, sowie der in Nordafrika umfangreichste Komplex kleiner Felsreliefs, die wie das transformierte Heiligtum am Djebel Bou Rfifa dem Gott Saturn gewidmet waren, erfasst und dokumentiert werden.

Anhand luftbildarchäologischer Untersuchungen wurde in den 1970er Jahren ein über 20.000 m² großes Steinbruchlager ausfindig gemacht, das einen einmaligen Befund innerhalb des Römischen Reiches darstellt. Dabei handelt es sich um ein von der Stadt abgesondertes Areal der kaiserlichen Steinbruchverwaltung mit ihrer später zu einer 'Fabrica' für die Serienproduktion von Marmorobjekten umgewandelten ehemaligen Kaserne der Arbeitssklaven, dem sog. Ergastulum.

Die Forschungstätigkeiten konzentrierten sich seit den späten 1970er Jahren auf eine unter dem römischen Forum erhaltene Nekropole aus der vorrömischen Eisenzeit mit monumentalen und einfachen Grabbauten und einer Bestattungsaktivität vom mindestens 5. bis zum 1. Jh. v. Chr. Die Nekropole gehörte zu einer benachbarten Siedlung, deren erste Spuren in den frühen 1980er Jahren unter der Leitung von Christoph B. Rüger entdeckt wurden. 1983-1984 führte Friedrich Rakob Untersuchungen am sog. Kaiserkultbau, einer bedeutenden Tempelanlage des 1. Jhs. n. Chr., durch. Zudem erfolgten an einigen weiteren Stellen wie an den Heiligtümern der Dii Mauri und der Dea Caelestis, an verschiedenen hydraulischen Anlagen (Aquädukt, Wasserspeicher, castellum divisorium, Forumsnymphäum) und im nördlichen Wohnviertel Grabungen, die nur teilweise vorgelegt wurden. Die 2008 wieder aufgenommenen Forschungen verfolgen das grundlegende Ziel, die Altgrabungen aufzuarbeiten, mit neuen Fragestellungen zu konfrontieren und zu publizieren.

Das übergeordnete Ziel ist die exakte Erfassung der Siedlungsstratigraphie nördlich des Forums, am sog. Kaiserkultbau sowie an weiteren öffentlichen Bauten der Stadt und deren Einbettung der Ergebnisse in die historische Entwicklung dieser tunesischen Region. Neben einer Vielzahl bisher nicht untersuchter Gebäude – nur einzelne Bereiche der Stadt sind bisher ausgegraben – konnten ein mehrphasiges Forum, ein Marktgebäude, mehrere Nekropolen, vier spätantik-byzantinische Kirchenbauten, drei Thermenkomplexe, ein 'Kaiserkultbau', mehrere Ehrenbögen, ein Nymphäum, sowie der Unterhaltung dienende Bauten wie Theater und Amphitheater identifiziert werden. Dieses Ensemble wird komplettiert von der in trajanischer Zeit errichteten größten antiken Brücke Nordafrikas, einer spätantiken, von Turbinen angetriebenen Getreidemühle und einem Aquädukt des 3. Jh. n. Chr. mit einem außerhalb der Stadt liegenden siebenschiffigen Hochdruckspeicher bzw. einem 'castellum divisorum', einem Wasserverteilungsbau im Zentrum der Stadt.

Während sich die früheren Untersuchungen den oben beschriebenen Komplexen widmeten, gilt die 2008 vom DAI wieder aufgenommene Tätigkeit einem um die Aufarbeitung der alten Grabungen entwickelten neuen Forschungsprogramm. Im Zentrum der Arbeiten stehen die Fragen nach der diachronen Entwicklung der Stadt mit Schwerpunkten in den bisher weitgehend unbekannten Früh- und Spätphasen der Siedlung.

Die Ziele des aktuellen Projekts sind sowohl die Publikation der älteren Resultate als auch deren Konfrontation mit neuen Fragen, denen beispielsweise durch die Erweiterung der Grabungsfläche Rechnung getragen wird. So bietet das Areal die Chance, im nordafrikanischen Binnenland in einem größeren Umfang Einblick in die Struktur einer Siedlung des 5.-1. Jhs. v. Chr. zu gewinnen, die eine fast Tell-artige Stratigraphie erzeugt hat. Neben der Klärung der Datierung der ältesten Siedlungsspuren am Ort interessiert sich das Projekt für das Alltagsleben in der vorrömischen Siedlung. Um auf diesem Feld neue Erkenntnisse zu gewinnen, werden Entwicklungen in der häuslichen Architektur untersucht. Die die Keramik wird petrografisch und unter Zuhilfenahme natuurwissenschaftlicher Analysemethoden untersucht. Parallel werden archäozoologische und archäobotanische Analysen durchgeführt, die Fragen nach Ernährung, Landwirtschaftsausrichtung und demographischen Entwicklungen klären sollen. Ein zentraler Punkt ist schließlich die Frage nach der etwaigen archäologischen Nachweisbarkeit des Wechsels von numidischer zu römischer Herrschaft im mittleren 1. Jh. v. Chr.

Der zweite zentrale Teilbereich der Untersuchungen widmet sich der kaiserzeitlichen Stadterweiterungen im Norden der Stadt und dem Ende der Stadtbesiedlung im Mittelalter. Hier bildet der sog. Kaiserkultbaus von Chimtou und seiner umliegenden Wohnbereiche einen zentralen Aspekt der archäologischen Forschungen. In diesem Areal lässt sich die Veränderung eines Tempels von der römischen Kaiserzeit, über die Spätantike bis in das Mittelalter beobachten. Hier soll die Frage behandelt werden, wie einer der größten paganen Tempelbauten in Nordafrika in eine christliche Basilika umgewandelt wurde, um dann im Mittelalter erneut umfassend umgebaut zu werden. Die Transformation eines zweiten Zentrums im nördlichen Stadtgebietes soll Aufschluss über die gesellschaftlichen Prozesse in den Übergangsphasen zwischen römischer Kaiserzeit, Spätantike und Mittelalter geben. Im Zuge der stratigraphischen Untersuchung nördlich des Forums und im Bereich des sog. Kaiserkulttempels will das Projekt erforschen, wann die öffentlichen Bereiche dieser Stadtviertel erste deutliche Umbaumaßnahmen und Niederlegungen zeigen, zudem in welchem zeitlichem Rahmen und mit welchen Brüchen und Kontinuitäten die Entwicklung bis hin zur Verdörflichung der ehemaligen Stadt im Mittelalter verläuft.