Die sabäische Stadtanlage von Sirwah

Blick über die Stadtanlage von Sirwah mit dem Almaqah-Tempel im Mittelgrund, Ansicht von Westen aus © DAI, Außenstelle Sanaa // Irmgard Wagner

Ergebnisse

Die archäologischen und bauhistorischen Untersuchungen in Sirwah konzentrierten sich vor allem auf die innerstädtischen Sakralkomplexe, die Fortifikation und die Infrastruktur innerhalb der Siedlung. Das größte der Heiligtümer ist der Almaqah-Tempel, dessen Hauptbauphase in die Mitte des 7. Jh. v. Chr. datiert. Er besitzt einen Vorgängerbau aus dem frühen 1. Jt. v. Chr. und bestand bis ins 3. Jh. n. Chr. Zahlreiche Kulteinrichtungen wie Altäre, Bankettbereiche für Kultmahlzeiten, Depots der Knochen von Opfertieren, eine Schatzkammer zur Aufbewahrung der Weihgaben sowie Hunderte von Votiven zeugen von einem intensiven Kultbetrieb. Mittelpunkt der Ritualhandlungen bildeten im Inneren des von einer noch bis zu 8 m hoch erhaltenen Halbovalmauer umgebenen Tempels zwei 7 m lange Monumentalinschriften. Sie berichten von den militärischen und zivilen Taten der sabäischen Herrscher Yithar´amar Watar bin Yakrubmalik (715 v. Chr.) und Karib´il Watar (685 v. Chr.). Die zentrale Aufstellung der Inschriften im Tempelinneren verdeutlicht den engen Zusammenhang zwischen Herrscherkult und Religion.

Bereits Anfang der 1990er Jahre wurden im Inneren des Almaqah-Heiligtums die Reste von acht steinernen Tischen mit Sitzbänken ausgegraben. Dieser Bereich war ursprünglich überdacht, wie Einlassspuren in den Bänken zeigen. Hier konnten ca. 130 Personen Platz nehmen. Ein weiterer Speisetrakt, der 2008 entdeckt wurde, befand sich in einem südlich an den Tempel angrenzenden Raum, der durch eine Tür mit diesem verbunden war. Erhalten haben sich Reste weiterer 14 Tische sowie Einlassspuren in den Fußbodenplatten, die die Standflächen der beidseitig der Bänke aufgestellten Sitzbänke markieren. Mit diesen mindestens 230 zusätzlichen Plätzen vermochte man insgesamt etwa 360 Personen im Tempel zu bewirten. Die räumliche Trennung der Bankettbereiche lässt die Nutzung durch unterschiedliche Bevölkerungsgruppen vermuten, doch kann dies bisher nicht zweifelsfrei belegt werden.

Die im Rahmen der Clusterforschung 4 „Heiligtümer“ durchgeführten Arbeiten haben vor allem die Erforschung der architektonischen Gestaltung der Sakralbauten Sirwahs und ihrer Kultinstallationen zum Ziel. Große Bereiche intra muros werden von Sakralbauten eingenommen. Die Vielzahl der nebeneinander existierenden und zu Beginn des 1. Jt. v. Chr. gegründeten Sakralbauten, neben dem Almaqah-Tempel gibt es noch den Athtar-Tempel „Mahliyum“, einen Podiumtempel unbekannter Weihung sowie einen weiteren Kultbau, zeugen davon, dass der Kultbetrieb eine entscheidende Rolle im städtischen Leben spielte. So scheint die gesamte Infrastruktur der Stadt auf die Organisation des Kultbetriebes ausgerichtet gewesen zu sein. Die Tempel waren einer vor Ort ansässigen Priesterschaft zugeordnet und spielten auch als Wirtschaftsfaktor für Stadt und Umland eine wichtige Rolle.

Der im nördlichen Stadtgebiet von Sirwah liegende Fünf-Pfeiler-Bau datiert anhand von 14C-Proben in die Zeit um 900 v. Chr. Das palastartige Gebäude wurde niemals überbaut und ließe somit komplett freilegen. Sein Erhaltungszustand ist für Südarabien spektakulär: An einigen Stellen steht der Bau von der Fundamentierung des Podiums bis zu den originalen hölzernen Deckenbalken des Erdgeschosses noch in einer Höhe von mehr als 10 m an. Das Gebäude repräsentiert die bisher älteste Stein-Holz-Konstruktion Südarabiens, die sich ansonsten erst ab der Mitte des 1. Jt. v. Chr. nachweisen lässt. In die Innen- wie Außenmauern des Fünf-Pfeiler-Baus verbaute man in regelmäßigen Abständen horizontale und vertikale Balken aus Akazienholz. Die Mauern waren mit Lehm verputzt, lediglich im Korridor wurde der Bereich zwischen den Holzbalken mit Kalksteinen verkleidet. Die architektonische Gestaltung der Fassade besteht aus monumentalen Eck- und Mittelrisaliten. Viele der Hölzer haben die finale Brandzerstörung des Gebäudes überstanden, an anderen Stellen geben zumindest Balkenlöcher die Lage der ehemaligen Hölzer an. Die Laibungen der Türen bestanden aus sorgfältig verzapften Holzbalken, deren Erhaltungszustand ebenfalls außergewöhnlich gut ist. Vom Inventar des Fünf-Pfeiler-Baus hat sich kaum noch etwas bewahrt. Fragmente von Opferplatten und Weihrauchaltären, Bruchstücke von Widmungsinschriften sowie möglicherweise für Opferhandlungen dienende Mulden in den Steinplatten des Bodens zeugen davon, dass der Bau zumindest in mittelsabäischer Zeit (2. Jh. v. Chr.-2./3. Jh. n. Chr.) auch eine sakrale Nutzung erfuhr.

Im Nordwesten von Sirwahs erhebt sich der sog. Verwaltungsbau, der sich aus einem über 10 m hohen, steinernen Podium und einem davor gelagerten Hof mit U-förmig umlaufendem Gebäude zusammensetzt. Die aufgehenden Bauwerke haben sich in beiden Fällen nicht erhalten, doch öffnete sich das U-förmige Gebäude mit einer Pfeilerstellung auf den offenen Hof. Das Podium war zudem in den Verlauf der Stadtmauer integriert. Inschriften und 14C-Daten belegen eine Nutzung der Anlage vom 2. Jh. v. Chr. bis in das 3. Jh. n. Chr. mit verschiedenen Umbauphasen. Die Funde, die Inschriften sowie architektonische Vergleiche erlauben eine Deutung als Gebäudekomplex mit administrativer Funktion.

Die 780 m lange Stadtmauer von Sirwah zeichnet sich im Vergleich zu anderen südarabischen Befestigungsanlagen durch ihre äußerst heterogene Struktur, Konstruktionsweise und Materialität aus. Die frühesten Phasen der Stadtmauer können nach jetzigem Kenntnisstand bis ins 10. Jahrhundert v. Chr. datiert werden. Hervorzuheben ist die Integration von sakralen und profanen Baustrukturen in die Befestigungsanlage, zu denen der Almaqah-Tempel, das Verwaltungsgebäude sowie ein repräsentatives Wohnhaus zählen. Auffallend ist, dass nur Teilbereiche der Stadtmauer in einer solchen Qualität ausgeführt wurden, dass sie eine repräsentative Außenwirkung besessen haben. Daneben lässt sich an der südwestlichen Stadtmauer das Phänomen der Bauweise in Segmenten beobachten. Tore können bisher lediglich im Bereich des Almaqah-Tempels lokalisiert werden. An Stellen, an denen weitere Zugänge ins antike Stadtgebiet zu vermuten sind, fanden sich Wasserauslässe, die das Stadtgebiet nach starken Regenfällen entwässerten. Bemerkenswert ist, dass bereits in mittelsabäischer Zeit Teile der Stadtmauer als Wohn- bzw. Wirtschaftsbereiche genutzt wurden.

Über das Stadtgebiet hinaus erstreckten sich die Untersuchungen auf die antike Oasenwirtschaft sowie die Dokumentation archäologischer Fundstätten. Um einen ersten Überblick über die Ausdehnung der präislamischen Kulturlandschaft zu gewinnen, fanden zunächst Auswertungen von Fernerkundungsdaten in Form von Satelliten- und Luftbildern statt. Aufbauend auf diesen Ergebnissen wurden gezielt Geländebegehungen durchgeführt. Bodenkundliche, sedimentologische und geoarchäologische Untersuchungen der Universität Tübingen im Umfeld des Almaqah-Tempels versuchen die Frage zu klären, welche Umweltbedingungen zur Zeit der sabäischen Besiedlung vorherrschten. Eingebunden in das Projekt ist zudem die Kartierung antiker Steinbrüche einschließlich der notwendigen Fazies-Analysen, die eine stratigraphische und paläographische Korrelation von Bausteinproben zu existierenden geologischen Formationen der Region ermöglichen. 

Das epigraphische Material aus Sirwah verteilt sich bisher vor allem auf zwei Perioden, auf die frühsabäische Zeit (8. bis 5. Jh. v. Chr.) sowie die ersten beiden nachchristlichen Jahrhunderte während der mittelsabäischen Zeit. Die Zeitspanne dazwischen ist auch in archäologischer Hinsicht kaum belegt. Nach einer erneuten zwei Jahrhunderte währenden prosperierenden Phase zu Beginn unserer Zeitrechnung verliert Saba im ausgehenden 3. Jh. n. Chr. vollständig seine Unabhängigkeit. Nun kontrolliert Himyar mit seiner im südlichen Hochland gelegenen Hauptstadt Zafar das Gebiet um Marib und Sirwah. Zahlreiche himyarische Widmungsinschriften in Marib bezeugen, dass Himyar die alten Kultzentren der ehemaligen Hauptstadt zur Machtlegitimation zu nutzen beginnt. Anders war die Situation in Sirwah, was nur eine lokale Bedeutung innehatte und damit seine ursprüngliche Funktion innerhalb des Reiches verlor. Dies drückt sich im Fehlen jeglicher himyarischer Widmungsinschriften in den Kultbauten Sirwahs aus. Die vollständige Aufgabe der Heiligtümer in Sirwah erfolgte wohl sehr rasch, Ursache dafür war die Hinwendung der Herrscher zu monotheistischen Religionen. So fehlen in Sirwah die in Marib nachweisbaren Widmungen an die neue monotheistische Gottheit Rahmanan „der Barmherzige“, der auch als „Herr des Himmels“, bzw. „Herr des Himmels und der Erde“ angerufen wird. Dies war dann offenbar auch der Grund für den endgültigen Niedergang von Sirwah - die grundlegende Verbindung zwischen der Stadt und den offiziellen Kulthandlungen in den polytheistischen Heiligtümern hatte zu existieren aufgehört.